Weniger Einnahmen Dämpfer bei der Steuerschätzung
Manche Politiker hatten sich von der Steuerschätzung viel erhofft. Doch Bund, Länder und Kommunen müssen in den nächsten Jahren mit weniger Einnahmen auskommen als gedacht. Das engt den Spielraum für die Ampel ein.
Es ist schon eine kleine Überraschung - und ein Dämpfer für alle, die darauf spekuliert hatten, höhere Steuereinnahmen könnten helfen, den Streit um den Bundeshaushalt zu lösen. Zwar können Bund, Länder und Kommunen Jahr für Jahr mit mehr Steuern rechnen, aber die neue Steuerschätzung fällt niedriger aus im Herbst.
Allein der Bund wird demnach bis zum Jahr 2027 rund 70 Milliarden Euro weniger einnehmen als noch vor wenigen Monaten prognostiziert. Im kommenden Jahr zum Beispiel kann Finanzminister Christian Lindner (FDP) für den Bund mit 390 Milliarden Euro Steuereinnahmen rechnen - das sind 13 Milliarden weniger als im Herbst angenommen.
"Kalte Progression" sorgt für Korrektur
Der Hauptgrund für diese Korrektur: Inzwischen sind einige neue Steuergesetze in Kraft getreten. Unter anderem sollen damit die Auswirkungen der Inflation für die Steuerzahler gelindert werden - Fachleute sprechen von der "Kalten Progression". Solche Gesetzesänderungen dürfen von den Steuerschätzern immer erst dann berücksichtigt werden, wenn sie formal vom Gesetzgeber beschlossen sind - das war bei der Herbst-Schätzung noch nicht der Fall.
Vor diesem Hintergrund meint Finanzminister Lindner, eigentlich dürfe niemand von den Ergebnissen überrascht sein. Wohlwissend, dass Politiker von SPD und Grünen auf höhere Steuereinnahmen gehofft hatten. In ihre Richtung geht denn auch Lindners Botschaft, die er, um die Wirkung zu verstärken, bei seinem Pressestatement mit Kunstpausen versieht: "Was ist nun die Konsequenz aus den vorgelegten Zahlen? Keine. Das Schätzergebnis ermöglicht gegenüber den bisherigen Planungen keinerlei neue finanzielle Handlungsspielräume."
Neue Zahlungen helfen nicht im Haushaltsstreit
Dabei schwelt innerhalb der Ampel-Koalition seit Monaten der Streit ums Geld. Lindners Kabinettskollegen und Fachpolitiker der Ampel wünschen sich deutlich höhere Ausgaben, zum Beispiel für die Bundeswehr, Verkehrsinvestitionen, eine Krankenhausreform oder die geplante Kindergrundsicherung. Nach Einschätzung von Lindner müssen jetzt klare Prioritäten gesetzt werden. Schließlich fehlten ohnehin etwa 20 Milliarden Euro im Bundeshaushalt 2024. Soll heißen: Wenn mehr Geld für die Bundeswehr gebraucht wird - ein Vorhaben, das Lindner durch die Betonung der notwendigen Folgen der "Zeitenwende" zumindest indirekt unterstützt, dann müsse eben anderswo gespart werden.
Die Gespräche darüber aber brauchen Zeit. Deshalb werde sich das Bundeskabinett nicht wie ursprünglich geplant Ende Juni mit dem Haushalt für das kommende Jahr beschäftigen, sondern erst später. Diese Ankündigung Lindners empört Oppositionspolitiker wie den CDU-Haushälter Christian Haase: Die über Monate andauernde "Uneinigkeit und Lethargie in der Haushaltspolitik" sei ein Trauerspiel und sollte schnellstmöglich überwunden werden.
Kritik an Lindner auch von Ampel-Politikern
Kritik kommt aber auch von Haushaltspolitikern der Ampel. So fordert der Grünen-Politiker Sven-Christian Kindler von Lindner, baldmöglichst den Zeitplan für den Etatentwurf der Bundesregierung vorzulegen; der Entwurf selbst müsse rechtzeitig vor der parlamentarischen Sommerpause vorliegen.
Doch Lindner will sich auch auf hartnäckiges Nachfragen der Journalisten nicht festlegen. Er verstehe das Interesse an einem konkreten Datum und nach Streichlisten, sagt dann aber - nichts.
Wohl aber bleibt er bei der definitiven Absage an höhere Schulden und höhere Steuern, wie sie angesichts der neuen Steuerschätzung zum Beispiel der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) fordert: Hohe Vermögen und Einkommen müssten stärker belastet werden, sagt DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell. Ähnlich reagiert der Linken-Finanzpolitiker Christian Görke auf die neuen Zahlen: Die Regierung müsse "Millioneneinkommen und Milliardenvermögen stärker zur Kasse ziehen."
Lindner: Deutschland hat kein Einnahmeproblem
Lindner hält dagegen: Es sei falsch, gerade in einer konjunkturell kritischen Situation die wirtschaftliche Erholung und die Attraktivität für private Investitionen durch höhere Steuern zu schwächen. Ohnehin habe Deutschland trotz der neuen Steuerschätzung kein Einnahmeproblem. In dieser Einschätzung wird Lindner vom Präsidenten des Steuerzahlerbundes, Reiner Holznagel, unterstützt. Holznagel verweist auf eine jüngste Studie der OECD, wonach Deutschland Vizeweltmeister bei Steuern und Abgaben sei.
2025, so die aktualisierte Steuerschätzung, dürften die Steuereinnahmen in Deutschland jedenfalls erstmals die Marke von einer Billion Euro übersteigen. Mit dieser Zahl hatte Finanzminister Lindner vor kurzem sogar schon für das kommende Jahr gerechnet. Insofern enthielt die neue Schätzung auch für ihn an einer Stelle eine kleine Überraschung.