Tödlicher Schuss an Tankstelle Mord aus Hass auf das politische System
Lebenslange Haft: Der Prozess um den tödlichen Schuss auf einen jungen Tankstellen-Mitarbeiter im Streit um die Maskenpflicht ist zu Ende. Für das Gericht steht fest: Es war ein Mord aus Hass auf das politische System.
Fast drei Wochen war die Tat damals her, die Michaela R. ihren Sohn nahm: Alexander, 20 Jahre alt, erschossen während seines Aushilfsjobs am Verkaufstresen einer Tankstelle im rheinland-pfälzischen Idar-Oberstein. Bei der Trauerfeier stand die Mutter oben hinter dem Pult auf der Bühne in der Messehalle, vor ihr 400 mitfühlende Zuhörer. Obwohl sie selbst eindrucksvoll gefasst wirkte, hielt sie eine tief bewegende Rede, die alle Anwesenden noch stärker ergriff, als dass es der Anlass der Zusammenkunft sowieso schon tat: "Bitte haltet ihn als den tollen Menschen in Erinnerung, der er war. Und nicht als den Jungen, der an der Tankstelle sein Leben lassen musste. Denn er war so viel mehr als das." Ihr Sohn ist tot - allein, weil er einen Kunden auf die damals geltende Maskenpflicht aufmerksam machte.
Fast genau ein Jahr nach der Tat hat das Landgericht Bad Kreuznach nun sein Urteil verkündet: Der Angeklagte Mario N. muss wegen Mordes lebenslang ins Gefängnis. Laut Gericht lag ein vorwiegend "politisches Motiv" der Tat zugrunde: Hass auf ein etabliertes System. Die Urteilsbegründung geht damit gewissermaßen auch mit Verschwörungserzählungen und der Stimmungsmache gegen Corona-Schutzmaßnahmen ins Gericht: "Der Angeklagte ist der Überzeugung gewesen, dass er ein Recht auf Widerstand und auch ein Recht auf die Tötung von Menschen hat."
Radikalisierung im Protestmilieu
Jene Überzeugung, jener Hass nährte sich offensichtlich aus dem Protestmilieu, in dem Mario N. - 50 Jahre alt, Softwareentwickler, Asthmatiker, dem Alkohol zugewandt - über Jahre in einer gewissen Art Geborgenheit fand: "Man hat endlich eine Gemeinschaft gefunden. Man hat Ideale, die man jetzt teilen kann mit anderen. Man bestärkt, man befeuert sich gegenseitig. Auf diese Art kann Radikalisierung erblühen und sich auch verschärfen", erklärt Ursula Gasch, die Leiterin des Instituts für Gerichts- und Kriminalpsychologie Tübingen, in der ARD-Dokumentation "Maskenmord an der Tankstelle". "Dann muss allerdings schon neben einer Meinung noch etwas Gewaltlegitimierendes dazukommen."
Mario N. fand diesen legitimierenden Moment wohl im Verhalten jenes 20 Jahre alten Kassierers, den er als Handlanger der "Systempolitik" und ihrer in seinen Augen unsinnigen Corona-Maßnahmen verstand: "Es ist doch so: Jeder trägt Mitverantwortung, der diesen Kram mitmacht", sagte Mario N. nach der Tat.
Ein junger Mann stirbt, weil sein Mörder es nicht aushalten mochte, zwei Minuten lang von der Ladentür bis zum Verkaufstresen und zurück eine Corona-Schutzmaske im Gesicht zu tragen? "Das war in seiner Eskalation etwas, das darüber hinausgegangen ist, was man an Beleidigungen und Gewalt bisher erlebt hat", erklärt Josef Holnburger. Er ist "Political Data Scientist", verbindet also Politikwissenschaft mit Datenauswertung und beschäftigt sich mit verschwörungsideologischen Gruppierungen und ihren Gefahren.
Der Tankstellenmord von Idar-Oberstein sei ein Höhepunkt dieser Gewalt in der Corona-Protestbewegung gewesen, meint Holnburger. "Es gab auch Gewalt gegen Polizisten, gegen Ärzte, gegen Menschen, die das in der Bahn durchgesetzt haben. Deswegen ist es leider kein Einzelfall bezüglich der Gewalttätigkeit, allerdings ein Höhepunkt."
Und jene Protestmilieu-Heimat, die Mario Ns. Hass zuvor befeuert hatte, fand in seiner Tat nun wiederum neuen Brennstoff: Zahlreiche Kommentare beklatschten den Mord mitsamt verwirrten Legitimierungsversuchen von Gewalt: "Kein Mitleid. Die Leute mit dem Maskenscheiß nerven" oder "Wenn jetzt die Regierung nicht zurückrudert, wird es noch mehr Tote geben".
Gefährliche Frustration
Die Corona-Schutzmaßnahmen sind inzwischen reduziert, Mario N. käme mittlerweile auch ohne FFP2-Maske an sein Bier, dessen Kaufabsicht ihn damals zur Tankstelle führte. Doch das Feuer des Hasses gegen Staat und Politik in bestimmten Milieus ist noch nicht erstickt: "Wir haben die Situation, dass die Maske nur das Vordergründige ist, warum Verschwörungsideologen auf die Straße gehen. Sie wollen einen Umsturz des Systems", erklärt Holnburger.
Doch jene Enttäuschten, die sich alleingelassen wähnen, erfahren anscheinend gerade noch mehr Enttäuschung, weil sie alleingelassen werden: "Die Personen, die zum radikalisierten Kern gehörten, sind mittlerweile frustriert, dass nicht mehr so viele Menschen zu ihren Demonstrationen kommen", sagt Forscher Holnburger. "Und so eine Frustration ist sehr gefährlich." Der Rechtsstaat müsse mehr Schutz bieten und nicht weiterhin vernachlässigen, dass Radikalisierung online sich auch offline niederschlage, kritisiert Holburger und fordert: "Das Internet muss endlich als gesellschaftlicher Raum wahrgenommen werden, sodass Straftaten dort genau so vehement verfolgt werden."
Nach der Tat sahen sich die Angehörigen von Mario N. übrigens ebenso Hass ausgesetzt, wie dem, den er zuvor selbst gesät hatte. Mutter Michaela R. beeindruckte bei der Trauerfeier zum Tod ihres Sohnes nicht nur mit ihrer Gefasstheit, sondern auch damit, dass sie die Angehörigen des mutmaßlichen Täters in Schutz nahm: "Auch sie sind nur Opfer. Diese Menschen haben nicht den Abzug gedrückt. Hass bringt uns nicht weiter im Leben. Hass verbittert nur."