Interview

Juristin über Menschenhandel "Mehr Rechte für Opfer"

Stand: 30.07.2014 18:02 Uhr

Weltweit den Menschenhandel bekämpfen - dazu rufen die UN auf. In Deutschland steht die Zwangsprostitution im Fokus. Im Interview mit tagesschau.de beklagt Juristin Heike Rabe die lückenhafte Faktenlage. Von einer Verschärfung des Prostitutionsgesetzes hält sie wenig.

tagesschau.de: Wer wird Opfer von Menschenhandel? Handelt es sich dabei vor allem um die sogenannte Zwangsprostitution?

Heike Rabe: In Bezug auf den Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung fällt auf, dass der Anteil der Frauen steigt, die aus den EU-Ländern kommen. Das liegt daran, dass die EU ständig größer geworden ist. Dabei handelt es sich meist um Frauen, die mit ganz unterschiedlichen Motiven selbstorganisiert nach Deutschland kommen oder nach Deutschland gebracht werden. Zum Teil wollen diese Frauen gar nicht in der Prostitution arbeiten, zum Teil treffen sie auf unwürdige Arbeitsbedingungen. Deutschland ist Ziel- und Transitland für Menschenhandel.

Zur Person
Heike Rabe ist Volljuristin und seit 2009 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Deutschen Institut für Menschenrechte. Sie leitete von 2009 bis Mitte 2013 das Projekt "Zwangsarbeit heute - Betroffene von Menschenhandel stärken". Seit Anfang 2014 beschäftigt sie vor mit der Frage, wie sich Opfer von Menschenhandel und geschlechtsspezifischer Gewalt rechtlich wehren können.

tagesschau.de: Die mediale Aufmerksamkeit richtet sich in Zusammenhang mit Menschenhandel auf eben den Bereich der Zwangsprostitution. Entspricht das den Fakten?

Rabe: Nein. Die Wahrheiten, die medial verbreitet werden, sind keine empirisch belegbaren Wahrheiten. Es ist durch nichts belegt, dass Deutschland das größte Bordell Europas ist. Es ist durch nichts belegt, dass Prostituierte auch immer Opfer von Menschenhandel sind. Und es ist auch nicht belegt, dass daran das Prostitutionsgesetz von 2002 schuld ist. Tatsache ist aber: Bei der anstehenden Novellierung dieses Gesetzes werden Maßnahmen diskutiert, die die Rechte der  Prostituierten einschränken. Dazu zählen zum Beispiel verpflichtende Gesundheitsmaßnahmen .

"Prostitution ins Wirtschaftsleben überführen"

tagesschau.de: Was muss die Novelle Ihrer Meinung nach leisten?

Rabe: Ich halte es für eine hohe Bürde, dass ein Prostitutionsgesetz die Bekämpfung des Menschenhandels leisten soll. Das Prostitutionsgesetz von 2002 sollte ursprünglich die Arbeitsbedingungen und die soziale Absicherung von Prostituierten über Renten- und Sozialversicherungsansprüche verbessern, die sich freiwillig für diese Arbeit entschieden haben. Dieser Weg muss meiner Meinung nach fortgesetzt werden: eine vollständige und mit anderen Tätigkeitsfeldern gleichberechtigte Überführung der Prostitution ins Wirtschaftsleben.

tagesschau.de: Auf Anfrage der Linksfraktion hat die Bundesregierung bekanntgegeben, dass im vergangenen Jahr 625 Menschen Opfer von Menschenhandel mit dem Ziel der sexuellen Ausbeutung geworden sind; ein leichter Anstieg gegenüber 2012. Wie aussagekräftig ist diese Zahl?

Rabe: Die Zahl stammt aus dem Lagebild des Bundeskriminalamts, das jedes Jahr erstellt wird und auf der Polizeistatistik basiert. Folglich handelt es sich nicht um erwiesene, sondern um potenzielle Opfer, in deren Fällen ermittelt wurde. Ein solches Ermittlungsverfahren wird von der Polizei durchgeführt und dann an die Staatsanwaltschaft und das Gericht weiter gegeben. Ob also ein Ermittlungsverfahren mit einer Anklage endet oder gar in einem Schuldspruch, geht aus dem Lagebild des BKA nicht hervor.

Darüber hinaus ist Menschenhandel ein sogenanntes "Kontroll-Delikt". Die Polizei deckt Menschenhandel nur dann auf, wenn sie mit Spezialisten danach sucht. Betroffene wenden sich in der Regel nicht von sich aus an die Behörden. Man kann noch nicht einmal davon ausgehen, dass es  tatsächlich ein riesiges Dunkelfeld gibt. Das bedeutet aber nicht, dass die Situation nicht dramatisch sein kann. Wir wissen es nur einfach nicht.

"Menschenhandel ist Menschenrechtsverletzung"

tagesschau.de: Ist Menschenhandel mit dem Ziel sexueller Ausbeutung immer Zwangsprostitution?

Rabe: Ich vermeide den Begriff „Zwangsprostitution“, denn Prostitution ist eine Beschäftigung, die man legal und als abhängige Beschäftigung in Deutschland ausüben kann – wie bei anderen Arbeitgebern und Arbeitnehmern auch. Menschenhandel mit dem Ziel sexueller Ausbeutung ist eine Menschenrechtsverletzung. Sie liegt dann vor, wenn Frauen in ihrer sexuellen Integrität verletzt werden und sich aus einer hilflosen Lage nicht selbst befreien können. Wenn Prostituierte aber zum Beispiel "nur" schlecht bezahlt werden, handelt es sich um Ausbeutung in der Prostitution. Diese Unterscheidung ist wichtig, damit Gesetze, Vorschriften und Maßnahmen auch greifen. 

tagesschau.de: Welche Bereiche in Zusammenhang mit Menschenhandel halten Sie für ähnlich problematisch, die aber öffentlich nicht angemessen diskutiert werden?

Rabe: Zum Beispiel ist Menschenhandel zur Arbeitsausbeutung seit 2005 Bestandteil des Strafgesetzbuchs. Aber in der Bekämpfung fehlt es einfach noch an Strukturen. In Zusammenhang mit sexueller Ausbeutung gibt es zum Beispiel in fast jedem Bundesland Vernetzungsgremien, in denen Nichtregierungsorganisationen und staatliche Stellen kooperieren. Die "Bund-Länder-AG Menschenhandel" macht Ähnliches auf Bundesebene. Das Thema Arbeitsausbeutung wird in diesen Gremien nicht behandelt.

"Wohin verschwindet das Geld?"

tagesschau.de: Weltweit ist der Menschenhandel ein Riesengeschäft, bei dem bis zu 40 Milliarden Dollar pro Jahr bewegt werden sollen. Halten Sie diese Zahl für realistisch?

Rabe: Diese Summe ist schwer zu  verifizieren. Genau so wenig kann ich verifizieren, ob es tatsächlich um die unglaublich hohen Gewinnspannen geht, die in Zusammenhang mit Menschenhandel genannt  werden. Verglichen wird immer mit denen im Waffen- oder Drogenhandel. Ich frage mich nur, wohin dieses Geld verschwindet. Wenn die Betroffenen ihre Ansprüche gerichtlich geltend machen, um Schadenersatz, Schmerzensgeld oder entgangenen Lohn einzuklagen, ist plötzlich kein Geld mehr da.

Ab und zu bekommen Frauen in solchen Verfahren ein paar tausend Euro zugesprochen. Das ist nichts, verglichen mit dem, was ihnen rechtlich zusteht, wenn sie jahrelang Freier bedient haben oder jahrelang Opfer von Vergewaltigung wurden. Bekämpfung von Menschenhandel muss also auch die Vermögensseite berücksichtigen. Die Strafverfolgungsbehörden können zum Beispiel Vermögenswerte sicherstellen oder beschlagnahmen, die aus Straftaten stammen.

"Opferschutz weiter entwickeln"

tagesschau.de: Das heißt: Das, was bisher passiert, ist nicht ausreichend?

Rabe: Ich kann mir noch zahlreiche Maßnahmen vorstellen, die über die reine Strafverfolgung hinaus gehen. Zum Beispiel ist der Opferschutz nicht weit genug entwickelt. So müssen Frauen, die nicht aus der EU kommen und keinen rechtmäßigen Aufenthaltstitel haben, Deutschland in der Regel sofort verlassen, wenn sie im Bordell oder auf der Straße aufgegriffen werden.

Bleiben dürfen sie nur, wenn und solange sie kooperieren und in einem Strafverfahren gegen die Täter aussagen. Es kann aber zwei, drei Jahre dauern, bis ein Verfahren abgeschlossen ist. In dieser Zeit stehen die Frauen  ohne Perspektive, ohne Job, ohne Familie da, um dann, nach dem Verfahren, doch ausreisen zu müssen. Wer, bitte, wendet sich denn in einer solchen Situation hilfesuchend an die Strafverfolgungsbehörden?

Das Interview führte Ute Welty, tagesschau.de

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 30. Juli 2014 um 17:00 Uhr.