Ein Mann liest einen Text vor der Helenenstatue.
Mittendrin

Wuppertal Auf den Spuren des Kolonialismus

Stand: 27.03.2023 15:34 Uhr

Die Initiative "Decolonize Wuppertal" setzt sich kritisch mit der Kolonialgeschichte der Stadt auseinander - damit das Zusammenleben heute besser wird. Dafür nehmen sie die Bürger mit auf einen besonderen Spaziergang.

"Fällt Ihnen zum Thema Völkerschau, Menschenzoo etwas ein?", fragt Phyllis Quartey in die Runde. Im ersten Augenblick vielleicht eine ungewöhnliche Frage für einen Spaziergang an einem sonnigen kalten Sonntagmorgen im Zentrum Wuppertals. Doch ihre etwa 30 Zuhörerinnen und Zuhörer sind nicht überrascht. Denn deshalb sind sie hier: Sie wollen erfahren, was zur Zeit des Kolonialismus, im 18. und 19. Jahrhundert, in ihrer Stadt passiert ist - und wie es noch heute nachwirkt.

"Das waren Veranstaltungen und Shows, wo Menschen aus anderen Ländern ausgestellt worden sind", antwortet eine junge Frau. "Zur Attraktion von Weißen." Phyllis Quartey von der Initiative "Decolonize Wuppertal" nickt und ergänzt: "Die Shows haben viel mit Stereotypen und Klischees gearbeitet. Es sollte sehr wild aussehen, so dass der westliche Mensch sieht, dass er zivilisierter und besser ist." Viele der Betroffenen seien verschleppt oder unter falschen Versprechungen angeheuert worden, erklärt sie weiter.

Und an diesem Ort, heute das Rex Kino in Wuppertal Elberfeld, früher das Theater Eden, hätten solche Völkerschauen stattgefunden. "Wir sind mit den heutigen Besitzern in Kontakt getreten", ergänzt Meieli Borowsky-Islam. "Wir haben gefragt, ob es denn möglich wäre, so etwas wie eine Gedenktafel anzubringen." Damit jeder Passant erkennen kann, was hier einst geschah. Die Besitzer hätten sich offen gezeigt, jetzt sei man im Austausch. "Mal schauen, was sich daraus entwickelt."

Phyllis Quartey

Phyllis Quartey beim Stadtspaziergang in Wuppertal.

Rassistische Denkmuster durchbrechen

Erinnern und erklären, welches Menschenbild in der Zeit des deutschen Kolonialismus entstanden ist, das ist "Decolonize Wuppertal" wichtig. Vor zwei Jahren gründete Borowsky-Islam mit zwei Freunden die Initiative. Sie bewarben sich mit ihrer Idee um ein Bürgerbudget - und gewannen, bekamen 20.000 Euro als Unterstützung. So konnten sie ihre Stadtspaziergänge realisieren.

"Wir möchten durch die Geschichte dahin kommen, dass die Leute verstehen, dass Kolonialismus dazu beigetragen hat, dass immer noch rassistische Stereotype und Denkmuster existieren", erklärt sie. "Und dass immer noch Leute davon ausgehen, dass manche Menschen weniger Wert sind als andere."

#mittendrin in Wuppertal: Kritischer Umgang mit Kolonialgeschichte bei Rundgängen

Caroline Hoffmann, WDR, tagesthemen, tagesthemen, 17.03.2023 22:15 Uhr

Es geht auch um die Frage, wie man heutzutage mit dem damaligen Unrecht umgehen sollte. Deshalb erzählt "Decolonize" von Sussy Dakaro, und rollt ein Plakat mit Bildern von ihr aus. Ihr richtiger Name ist nicht bekannt. Sie wurde im Jahr 1883 mit wohl 14 Jahren aus Australien verschleppt, und auch in Deutschland als "Wilde" vorgeführt. Mit 17 kam sie nach Wuppertal und starb hier kurz nach ihrer Ankunft an Tuberkulose. Ihr Schicksal spielt jetzt wieder eine Rolle: Wie ihre sterblichen Überreste nach Australien gebracht werden sollen, bestimmen nun nicht deutsche Behörden allein, sondern ihre Nachfahren.

Dirk Jädke und Meieli Borowsky-Islam.

Dirk Jädke und Meieli Borowsky-Islam in Wuppertal.

Wirtschaftliche Blüte durch Kolonialismus

Die Gruppe spaziert weiter. Neben der Unterstützung von Kolonialisten durch Wuppertaler geht es auch um die Profite der alten Industriestadt durch die damaligen Warenströme. "Ich denke, dass es in jeder Stadt solche Geschichte gibt", erklärt "Decolonize"-Mitgründer Dirk Jädke die Auswahl dieses Themas für den Spaziergang. "Wir hatten sehr viel Textilhandel. Dabei hat Wuppertal durch den Kolonialismus profitiert, sonst hätte es diese Blütezeit für Elberfeld und Barmen gar nicht gegeben."

"Decolonize" organisiert nicht nur den Spaziergang. Sie planen auch Materialien für den Schulunterricht, wollen Lesungen und Konzerte veranstalten - das alles in ihrer Freizeit. Außerdem setzen sie sich für die Umbenennung von Straßen und Geschäften mit kolonialen Bezügen ein. Gerade ist in der Stadt eine Diskussion um den Namen der Mohrenapotheke entbrannt. Unbekannte hatten sie beschmiert, den Namen durchgestrichen.

"Decolonize Wuppertal" lehnt solchen Vandalismus ab, die Diskussion um den Namen aber finden sie richtig. "Es geht darum, was für Symbole in der Öffentlichkeit präsent sind und was die mit den Menschen, die in dieser Stadt leben, machen. Darüber muss man diskutieren" , sagt Urs Lindner von der Initiative. "Wenn man zu dem Schluss kommt, dass es eben rassistische Symbole sind, dann ist die Frage, ob man die heute noch braucht. Unserer Meinung nach braucht man sie nicht."

Mitglieder der Gruppe "Decolonize Wuppertal" sitzen an einem Tisch zusammen.

Die Gruppe "Decolonize Wuppertal" plant auch Materialien für den Schulunterricht und will Lesungen und Konzerte veranstalten.

Auch positiv erinnern

Nach knapp zwei Stunden endet der Spaziergang am Denkmal der Wuppertalerin Helene Stöcker. Sie kämpfte nicht nur für die Rechte der Frauen, sondern auch gegen den Kolonialismus - doch das ist weniger bekannt. "Decolonize Wuppertal" möchte auch positiv erinnern.

Den Teilnehmern hat der Spaziergang gefallen. "Ich fand es toll, weil ich viele neue Dinge gehört und entdeckt habe", sagt Barbara Lucas. Und Lara Christiansen ergänzt: "In meiner Schullaufbahn hat Kolonialisierung überhaupt keine Rolle gespielt, und deshalb fand ich es spannend, etwas dazu zu lernen. Gerade auch mit dem Bezug auf Wuppertal." Einmal im Monat bietet "Decolonize" den Wuppertalern ein anderes Bild ihrer Stadt - und hofft, sie damit auch nachhaltig zu verändern.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichteten die tagesthemen am 17. März 2023 um 22:15 Uhr.