Das Ökodorf Sieben Linden aus der Vogelperspektive
mittendrin

Ökodorf Sieben Linden Wie umweltbewusst leben funktionieren kann

Stand: 19.08.2024 15:56 Uhr

Nachhaltig leben - in einem kleinen Dorf in der Altmark ist das nicht mehr nur ein Wunsch, sondern Realität. Seit fast 30 Jahren versuchen die Menschen in Sieben Linden, gemeinsam einen Weg dafür zu finden.

Von Marie-Kristin Landes, MDR

Gesang hallt durch Sieben Linden. Gut versteckt zwischen Sträuchern und dem hohen Schilf eines Teiches haben sich im Amphitheater Gäste und Bewohner des Ökodorfs versammelt. Mit einem Kanon starten sie in den Tag. Das gemeinsame Plenum mit Musik und Austausch ist wesentlicher Teil des alljährlichen Sommercamps. Etwa 240 Menschen sind dafür aus ganz Deutschland angereist. Das diesjährige Motto: "Joy of missing out" - also die Freude, etwas zu verpassen.

Auf den großen steinernen Stufen sitzt auch Simone Bitsch. "Morgens ist es einfach super, mal für eine Stunde alle zusammen zu holen, ein paar Infos zu geben, ein paar inspirierende Gedanken mitzugeben." Danach geht es für alle in die Workshops - Biodanza, Keramik oder Atem nach der Wim-Hof-Methode.

Vor allem aber geht es um den Austausch über ein nachhaltiges, ökologischeres Leben. "Ich habe entschieden, wenn ich etwas brauche, das zu hinterfragen und bevor ich etwas Neues kaufe, über eine Internetplattform bei den Nachbarn zu besorgen", sagt eine junge Frau in das Mikrofron, das durch die Reihen gereicht wird.

Eine andere Sommercamp-Besucherin ergänzt: "Ich hab festgestellt, dass ich ganz oft ganz viel rumrödel im Haushalt und dies noch und jenes und ich möchte das gerne sein lassen, um mehr Zeit für meine Kinder zu haben."

Das Sommerfest im Ökodorf Sieben Linden

Beim Sommercamp im Ökodorf Sieben Linden geht es um den Austausch über ein nachhaltiges, ökologischeres Leben.

120 Hektar Nachhaltigkeit

Simone Britsch selbst lebt seit mehr als 20 Jahren mit ihrer Familie in Sieben Linden und organisiert das jährliche Sommercamp mit. "Vor 21 Jahren, als ich kam, war für mich auch schon fünf vor zwölf was die ökologische Situation betraf", erzählt sie. "Ich habe gesehen: Überall auf der Erde brennt es und ich möchte etwas tun, möchte aber auch selber nachhaltig leben."

Ganz bewusst habe sie damals, als sie noch in Lüneburg lebte, mit ihrem Mann nach einem Ort wie Sieben Linden gesucht. "Die Menschen, die das gegründet haben, waren einfach extrem mutig. Hier war nicht viel Infrastruktur."

Sieben Linden ist ein 1997 gegründetes Ökodorf in der sachsen-anhaltinischen Altmark. Auf 120 Hektar Wald, Acker, Garten und Bauland leben heute etwa 100 Erwachsene und mehr als 40 Kinder.

Die Wohnhäuser sind aus Strohballen und Lehm gebaut. Es gibt wassersparende Komposttoiletten. Über Solarenergie wird ein Großteil der Strom- und Warmwasserversorgung gedeckt. Zwischen den Wohnhäusern ist Platz für Gräser, Blühpflanzen, Insekten und Vögel.

Das Ziel von Sieben Linden: ein möglichst kleiner ökologischer Fußabdruck. Eine Gemeinschaft, die nachhaltig in allen Bereichen lebt. 1997 kaufte eine Gruppe aus etwa 15 Personen einen baufälligen, verlassenen Bauernhof samt Grundstück und baute ihn über die Jahrzehnte zu einem Ökodorf aus, das nur ein Drittel der Ressourcen im Vergleich zum durchschnittlichen Privathaushalt in Deutschland benötigt.

Simone Britsch

Simone Britsch lebt seit mehr als 20 Jahren in Sieben Linden.

Eine Gemeinschaft in allen Bereichen

Vor allem aber gibt es kein Privateigentum an Grund und Boden. In den Wohnhäusern leben viele in Gemeinschaften zusammen. Als vierköpfige Familie wohnt Simone Britsch derzeit noch in einer eigenen Haushälfte. Sobald alle Kinder ausgezogen sind und sie weniger Platz benötigen, werden sie und ihr Mann entweder in eine kleinere Wohnung eines Hauses ziehen oder mit neuen Mitbewohnern zusammen.

Alles ist genossenschaftlich organisiert und alle müssen - unabhängig von ihren Jobs - mitarbeiten. Es gibt Pflichtdienste, die alle erledigen müssen, und ehrenamtliche Dienste wie das Füttern der Alpakas, die zur Landschaftspflege eingesetzt werden. Dafür hat sich Simone entschieden.

"Es gibt immer so denke ich 45 bis 50 die Leute, die im Ökodorf ihr Erwerbsleben, ihren Schwerpunkt haben und ein paar Menschen wie zum Beispiel Ärzte, Sozialarbeiterinnen, Lehrerinnen, die pendeln auch nach draußen und arbeiten dort", erklärt Bitsch.

Sie selbst hat eigentlich Ökologie- und Umweltbildung studiert und arbeitet mittlerweile für das Ökodorf als Bildungsreferentin. "Ich habe eine Anstellung beim Verein und wir haben ein Tagungshaus und Seminare." Längst strahlt das Dorf immer mehr in die Region aus. Es bietet Seminare und wöchentliche Yogakurse an und vermietet ein Seminarhaus für Tagungen.

Der Garten im Ökodorf Sieben Linden

Das Ökodorf versorgt sich zu etwa 75 Prozent mit Gemüse, Obst, Kartoffeln und Kräutern selbst.

Gemeinschaft bedeutet auch, Meinungen auszuhalten

Herzstück von Sieben Linden ist der Garten. Das Dorf versorgt sich zu etwa 75 Prozent mit Gemüse, Obst, Kartoffeln und Kräutern selbst. Was dann noch fehlt, wird im Biogroßmarkt gekauft. Sich selbst zu versorgen ist aber auch eine Herausforderung, gerade im Winter. Neben einem Kühlwagen experimentiert das Ökodorf gerade mit einem aus Strohballen gebauten Kühlhaus für Gemüse.

"Das Obst und Gemüse haltbar zu machen für den Winter, das ist für uns eine richtig große Fragestellung", sagt Britsch. "Einkochen ist der Klassiker, viel einfrieren wollen wir auf Grund des hohen Energieaufwands nicht." Um das ganze Dorf mit Gemüse und Obst aus dem Garten zu versorgen, arbeiten acht Menschen fest im Gartenteam, viele weitere helfen mit.

Der 32-jährige Sascha Roth ist neu im Team. 14 Stunden die Woche arbeitet er im Garten, die restliche Zeit widmet er sich der Musik. "Ich für die Maschinenwartung, Wege freischneiden, Gartentore, alles so zuständig." Mit seiner Partnerin wohnt der Werkzeugmechaniker momentan noch in einem Bauwagen auf dem Gelände.

"Ich hab das Ökodorf kennengelernt und mir ziemlich schnell gedacht: Hier zu wohnen ist, glaube ich, eine Herausforderung", sagt Roth. Erst vor einem halben Jahr ist er vom Ruhrgebiet nach Sieben Linden gezogen - nach einer längeren Kennlernphase, ob es wirklich passt. "Viele Menschen, viele Meinungen und viele Diskussionen, aber es hat auch echt viel Schönes und Gutes und tut gut."

Sascha Roth

Sascha Roth ist neu im Team des Ökodorfs Sieben Linden.

Inspiration holen beim Sommercamp

Beim Sommercamp kocht das Küchenteam wie jeden Tag ein veganes oder vegetarisches Mittag- und Abendessen. Mit einem Gong wird zum Essen gerufen. Wer seinen Teller mit Salat, Kartoffelbrei und verschiedensten Gemüsebeilagen gefüllt hat, bahnt sich den Weg vom Versorgungszelt zu einem der für das Sommercamp aufgestellten Tische auf dem Dorfplatz.

"Also mein Gefühl ist, dass Orte wie das Ökodorf immer wichtiger werden, weil wir einfach in einer Zeit leben, die von Krisen so gehetzt ist", sagt Simone Britsch während des gemeinsamen Essens mit Sommercampgästen. Sie hat den Eindruck, dass sich mehr Menschen für ihre Art zu leben, überhaupt für Nachhaltigkeit interessieren.

"Wir sind einfach so ein ganz lebendiges, aber irgendwie auch in sich ruhendes Beispiel dafür, dass ein nachhaltiges Leben für alle möglich ist und da darf man sich gern eine Scheibe abschneiden oder mal reinschnuppern." Das bedeute nicht, dass Sieben Linden perfekt wäre. "Aber wir sind auf dem Weg und das finde ich wichtig."