Atom-Moratorium endet heute Ein Stillstand, der Bewegung brachte
In dieser Woche endet das von Kanzlerin Merkel im März verkündete Atom-Moratorium. Seitdem hat sich einiges getan: Es gibt einen Konsens zum schnellstmöglichen Atomausstieg. Die ursprünglich beschlossene Laufzeitverlängerung wird gekippt, sieben Atommeiler und der in Krümmel sollen abgeschaltet werden.
Von Jens Borchers, HR, ARD-Hauptstadtstudio
Das von der Bundeskanzlerin gewünschte Ergebnis soll sein: Die ursprünglich beschlossene Laufzeitverlängerung wird gekippt. Die sieben Atommeiler plus der in Krümmel gehen mit großer Wahrscheinlichkeit nie wieder ans Stromnetz. Und Deutschland will sich als erste große Industrienation daran versuchen, seine Energiewirtschaft auf erneuerbare Energien umzustellen. In den vergangenen drei Monaten hat sich ganz schön viel verändert in Deutschland.
Der große Konsens zum schnellen Ausstieg
Das Wichtigste vorneweg: Es gibt wieder einen Konsens. Alle fünf im Bundestag vertretenen Parteien wollen schnellstmöglich raus aus der Kernenergie. Das war vor dem Moratorium anders. Da wollten zwei Parteien erst im vergangenen September die Laufzeiten der Atomkraftwerke verlängern und dann aussteigen. CDU und FDP argumentierten, Atomkraft müsse Brückentechnologie sein. Die sei dringend nötig, sagte damals auch Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) und lobte die Laufzeitverlängerung: "Ein großer Wurf, der sich langfristig orientiert."
Damit ist auch schon klar, was sich noch verändert hat. Der Begriff langfristig bedeutet: Ein halbes Jahr - und einen Kernkraftwerks-Unfall lang. Anschließend lobt der Umweltminister den galoppierenden Ausstieg: "Das Ergebnis, glaube ich, ist konsistent, es ist konsequent und es ist klar." Damit haben wir jetzt und das gab's vorher noch nie, einen Fünf-Parteien-Konsens zum schnellstmöglichen Ausstieg. Gut, es gibt noch Unterschiede, wie schnell schnellstmöglich sein sollte, aber wir wollen mal nicht kleinlich sein.
Düstere Prognosen oder Panikmache?
Was sich außerdem geändert hat: Vorwürfe, die bisher nur an die Adresse der Grünen gerichtet waren, treffen nun die schwarz-gelbe Koalition. Kurt Lauk, Präsident des Wirtschaftsrates der CDU, malt angesichts der Politik seiner Parteivorsitzenden Angela Merkel düstere Prognosen an die Wand: "Wir können uns nicht leisten, dass in Intensivstationen in Krankenhäusern der Strom ausfällt und die Notaggregate nicht rechtzeitig anspringen."
Solche Warnungen kommen auch von großen Energiekonzernen wie RWE. Wenn deren Vertreter jetzt in Fernseh-Talkshows vor massiven Stromausfällen warnen - dann bemerkt man noch eine Veränderung. Umweltminister Röttgen wirft dann nolens volens hochrangigen RWE-Managern Panikmache vor. Sein Argument: Die RWE hätten ja nicht vor dem "Licht-aus-Effekt" gewarnt, als sie damals den Ausstiegsvertrag mit Rot-Grün gemacht hätten: "Das wäre ja dann ein wirkliches Verbrechen gewesen, was Ihre Firma gemacht hat mit der damaligen Regierung. Sie können doch jetzt nicht das beklagen, was Sie selber verabredet haben in dem sogenannten Konsens."
"Schleudern und Kehrtwenden"
Was sich noch verändert hat: Die Republik hat erstmals einen grünen Ministerpräsidenten. Ob trotz des Moratoriums oder wegen des Moratoriums - das ist offen. Aber es gibt ihn. Nur Jürgen Trittin, Fraktionschef der Grünen im Bundestag, nutzt in alter Macho-Manier abgegriffene Bilder weiblicher Fahrpraxis, um die Bundeskanzlerin zu schelten: "Merkel bleibt Merkel. Sie glauben immer noch, man käme vorwärts, wenn man gleichzeitig bremst und Gas gibt. Gnädige Frau - damit kommt man nur ins Schleudern und ist zu abrupten Kehrtwendungen gezwungen."
Abrupte Kehrtwendungen - die sieht auch der CDU-Wirtschaftsmann Lauk am Ende des Moratoriums und mahnt deshalb: "Zu viele Wenden machen schwindelig!" Und bevor das geschieht, schlage ich ein neues Moratorium vor. Wir sollten jetzt mal ein Wenden-Moratorium beschließen. Zumindest in der Energiepolitik.