Der frühere Häftling der JVA Gablingen, Gunter E.
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Bayern Gewalt in Gablingen schlimmer als vermutet? Der Fall Gunter E.

Stand: 06.04.2025 06:54 Uhr

Für die Richterin war klar: Gunter E. hat einen Wärter der JVA Gablingen attackiert. Doch Fotos und Arztberichte werfen Fragen auf. Sie zeigen einen schwer verletzten Häftling mit Knochenbrüchen. Gab es mehr Gewalt gegen Gefangene als vermutet?

Von Andreas Herz

Am Morgen des 7. Januar 2023 öffnen zwei Wärter die Zellentür des Gefangenen Gunter E.. Weil er eine Geldstrafe nicht bezahlen konnte, ist er in Gablingen eingesperrt. Über das, was danach passiert, gehen die Erzählungen auseinander.

Die eine Version stammt von JVA-Bediensteten. Sie berichten, dass Gunter E. wegen seiner Unterbringung unzufrieden war. Wegen der "aufbrausenden Art" des Gefangenen wollten sie das Gespräch beenden und die Zellentür schließen. Gunter E. habe die Tür jedoch festgehalten und schließlich einem Beamten ins Gesicht geschlagen. Der Gefangene wird niedergerungen und fixiert. Dabei habe er "massiven Widerstand geleistet". So steht es in Akten, die dem BR vorliegen. Die Krankenabteilung der JVA vermerkt eine "leichte Rötung" an der linken Wange des Beamten.

Häftling: "Wurde gezielt und hemmungslos verprügelt"

Gunter E. berichtet gänzlich anderes. Seine Version beginnt mit einem Zettel, der ihm unter der Tür hindurchgeschoben worden sei. "Du scheiß Nazi" hätte darauf gestanden. Gunter E. bittet die Aufseher, den Vorfall zu dokumentieren und an die Leitung der JVA weiterzuleiten. Doch das sei nicht passiert. Gunter E. wird in einen anderen Zellenblock verlegt.

Als dann am Morgen des 7. Januar die beiden Beamten seine neue Zelle öffnen, habe er erneut über den Zettel sprechen wollen. Die Zellentür habe er mit der Hand offengehalten, da sie sonst automatisch zufällt. Einer der beiden Beamten habe ihm daraufhin "einen unerwarteten Hieb auf die Stirn" versetzt. Gunter E. stolpert nach eigener Aussage gegen das Stockbett. Der Beamte habe ihm nachgesetzt und ihn "gezielt und völlig enthemmt" verprügelt. Zunächst auf Gesicht und Kopf, dann auf Brust, Leber, Niere und Hals.

Knochenbrüche und Blutergüsse

Anschließend habe man ihn sofort in einen der "besonders gesicherten Hafträume" (bgH) gesperrt. Dort klagt Gunter E. über Schmerzen, wie aus der internen Protokollliste hervorgeht. Später wird er von einem der Gefängnisärzte untersucht. Fotos, die dem BR vorliegen, zeigen Blutergüsse auf seinem Körper. Der Zustand seiner Zähne ist dokumentiert, ein Foto zeigt ein blutunterlaufenes und geschwollenes Auge.

Und es gibt Röntgenbilder, die innere Verletzungen belegen: "Fraktur 7 + 8 Rippe", also ein zweifacher Rippenbruch. Das steht in einem Arztbrief, der dem BR ebenfalls vorliegt. Womöglich wurde auch die Niere des Gefangenen verletzt. "Farbe von Urin bräunlich", heißt es weiter. Ein Indiz für Blut im Urin. Ein HNO-Arzt vermerkt Einblutungen der Stimmlippen. Eine häufige Folge von Schlägen gegen den Kehlkopf.

Gericht: Häftling schuldig, Wärter unschuldig

Der Gefangene informiert die damalige stellvertretende Leiterin der JVA Gablingen über seine Version des Vorfalls. Also diejenige Frau, die samt der von ihr geführten JVA-Sicherungsgruppe (SIG) im Zentrum des Gablinger JVA-Skandals steht. Der Brief des Häftlings liegt dem BR vor. "Unsere Mandantin hat sich pflichtgemäß darum gekümmert, dass der Sachverhalt aufgeklärt und von den zuständigen Instanzen weiter behandelt wird", schreibt der Anwalt der früheren Vize-Chefin dem BR.

Fest steht: Gunter E. wird nach dem Vorfall vor dem Amtsgericht Augsburg angeklagt. Wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte und Körperverletzung. Das Gericht glaubt den Aussagen der JVA-Bediensteten, dem Häftling nicht. Gunter E. wird schuldig gesprochen. Das Urteil ist rechtskräftig. Das Ermittlungsverfahren gegen einen der Wachmänner wird eingestellt - wegen "erwiesener Unschuld". Von den Verletzungen des Häftlings ist im Urteil nirgends zu lesen.

Nach JVA-Razzia: Betroffene Ermittler

Angesichts der Vorwürfe gegen die JVA Gablingen erscheint der Fall nun in einem neuen Licht. Nach BR-Informationen gehen die Ermittler derzeit rund 200 möglichen Delikten nach. Der Verdacht reicht von Falschaussagen bis hin zu Gewalt gegen Häftlinge und das Wegsperren in den bgH-Zellen. Dort sollen Gefangene teils wochenlang grundlos und komplett nackt eingesperrt worden sein. Ermittelt wird gegen 17 Bedienstete, darunter die frühere Leitung.

Im Oktober 2024 wurde die JVA Gablingen erstmals durchsucht, um Beweise zu sichern. Was Ermittler in der Folge vorfinden, hat etliche nach BR-Informationen sehr betroffen gemacht. In Whatsapp-Chats der JVA-Bediensteten sollen Übergriffe auf Gefangene beschrieben worden sein.

Staatsanwaltschaft nimmt eingestellte Ermittlungen wieder auf

Über so schwere Verletzungen wie bei Gunter E. war in der Causa Gablingen bislang öffentlich nichts bekannt. Zugleich zeigt der Fall, wie schwer die Arbeit der Ermittler in manchen Fällen ist: Videoaufzeichnungen aus der Zelle gibt es nicht. Sollten sich also keine neuen Belege finden, stehen weiter die Aussagen der Beamten gegen die des Häftlings.

Der Fall Gunter E. wirft aber auch die Frage auf, ob nicht auch andere Häftlinge von einigen Gablinger JVA-Beamten womöglich schwer verletzt worden sind. Und ob es nicht weitere Ermittlungen gegen Wachmänner gab, die womöglich zu früh eingestellt wurden.

Bayerns Justizminister Georg Eisenreich (CSU) teilte dem Justizausschuss des Landtags mit, dass die Staatsanwaltschaft Augsburg einige eingestellte Ermittlungsverfahren wieder aufgenommen hat. Das könnte auch im Fall Gunter E. geschehen: "Dies hat die Staatsanwaltschaft im Blick und wird abhängig vom Ergebnis der Ermittlungen eine Wiederaufnahme von Amts wegen prüfen", so ein Sprecher der Augsburger Behörde. Bislang habe die frühere Leitung der JVA alle erhobenen Vorwürfe zurückgewiesen. Bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens gelte für alle Beschuldigten der JVA die Unschuldsvermutung.

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Quelle: Mittags in Schwaben 07.04.2025 - 12:05 Uhr