Auf eine Tür ist ein Blatt geklebt mit der Aufschrift: "Bis auf Weiteres: Keine Neuaufnahmen von Patienten"

Hessen Hausärztemangel in Hessen: Klagen über zu viel Bürokratie

Stand: 26.10.2024 19:50 Uhr

In Hessen fehlen 200 Hausärzte. Die übrigen kämpfen nicht nur mit überfüllten Praxen, sondern mit zunehmendem Verwaltungsaufwand. Die Bundesregierung will die Bürokratie abbauen - offen ist, ob die Maßnahmen greifen.

Von Emal Atif und Jeannie Lukaszewicz

"Ich war eine begeisterte Landärztin", erzählt Ulrike Koock aus Büdingen (Wetterau). Doch schon mit 43 Jahren steigt sie aus. Die aktuellen Bedingungen seien für sie nicht mehr tragbar, sagt sie dem hr: "Ich habe für mich entschieden, dass ich das so nicht möchte und schaffe."

In den vergangenen Jahren sei die Freude an der Medizin immer mehr zur Frustration geworden, erzählt Koock. Viel Zeit gehe für Anträge, Formulare und Bürokratie verloren - Zeit, die sie nach eigener Aussage lieber in die Patientenversorgung investieren würde. "Nach jeder Sprechstunde sitzt man bis zu zwei Stunden und bearbeitet Anträge, Formulare oder Anfragen von Krankenkassen", beschreibt die Ärztin den Alltag in der Gemeinschaftspraxis, wo sie noch arbeitet.

Honorarobergrenze für Behandlungen

In Büdingen fehlen insgesamt sechs Hausärzte. Auf einen Arzt kommen dort bis zu 2.500 Patienten. Neben der personellen und bürokratischen Überlastung sei das auch ein finanzielles Problem, denn es gebe Honorarobergrenzen für Behandlungen, legt Hausärztin Susanne Passat dar. Sie teilt sich die Praxis mit ihrer Kollegin Ulrike Koock.

"Das System beruht auf Berechnungen, die festlegen, dass eine Einzelpraxis etwa 1.200 Patienten versorgen soll", sagt Passat. Doch schon nach etwa zehn Tagen habe sie bereits rund 900 Patienten gesehen. Die Folge: Ab einem bestimmten und eher frühen Punkt im Monat arbeite man praktisch unbezahlt weiter.

Reformen laut Bundesregierung auf dem Weg

Anfang des Jahres kündigte das Bundesgesundheitsministerium (BMG) eine Gesundheitsreform an, die die 30 Jahre alten Honorarobergrenzen abschaffen soll. Das könnte die Versorgung auf dem Land verbessern. Doch das das Gesetz lässt immer noch auf sich warten. Ob und wann es kommt, ist noch offen.

Eine Überlastung der Hausärzte durch zu viel Bürokratie erkennt auch das BMG, wie eine Sprecherin am Freitag dem hr mitteilte: "Der Abbau unnötiger Bürokratie im Gesundheitswesen ist für die Bundesregierung ein zentrales Vorhaben dieser Legislaturperiode." Dennoch müssten die Dokumentation und die Nachvollziehbarkeit der Behandlungsprozesse gesichert bleiben.

Aktuell bereitet das Ministerium von Karl Lauterbach (SPD) nach Angaben seiner Sprecherin einen Gesetzentwurf zur Bürokratieentlastung im Gesundheitswesen vor, der im Herbst vorgestellt werden und auch die Arbeit der Hausärzte entlasten soll. Susanne Passat aus Büdingen hält das für dringend nötig, um den Beruf wieder attraktiver zu machen.

200 Hausärzte fehlen in Hessen

Der Hausärztemangel bleibt in Hessen ein drängendes Problem, wie die Kassenärztliche Vereinigung Hessen (KVH) bestätigt: "200 Hausärzte fehlen im Land." Ein Hauptgrund dafür sei, dass zu wenig ausgebildet werde. "In der Weiterbildung gibt es nur eine 20-Prozent-Quote für Hausärzte", sagte Armin Beck von der KVH dem hr. Derzeit gibt es laut KVH knapp 4.200 Hausärzte in Hessen.

Das Bundesgesundheitsministerium sieht das Problem besonders in ländlichen und strukturschwachen Regionen. Dort seien die Nachbesetzungen teils schwierig. Dieses Problem sei die Bundesregierung bereits in der vergangenen Legislaturperiode mit einer sogenannten Landarztquote angegangen.

Die Quote erlaubt den Ländern, bis zu zehn Prozent der Medizinstudienplätze an Bewerber zu vergeben, die sich verpflichten, nach der Ausbildung für einige Jahre in unterversorgten Gebieten zu arbeiten.

Einen flächendeckenden Hausärztemangel könne die Bundesregierung jedoch nicht erkennen, hält die BMG-Sprecherin fest. KVH-Sprecher Beck ergänzt, dass die Situation sich in den vergangenen Jahren verbessert habe.

Zuspruch für den Ausstieg

Von einer Verbesserung spüre man zumindest in Büdingen nichts, findet die bisherige Landärztin Koock. Für ihre Entscheidung zum Ausstieg habe sie viel Zuspruch von ebenfalls überlasteten Kolleginnen und Kollegen erhalten, sagt sie: "Sie gratulieren mir und sagen, dass sie dem Beruf schon lange den Rücken kehren wollen, aber noch keinen Plan B haben."

Die alleinerziehende Mutter will sich erst mal auf ihre Kinder fokussieren und auf ihrem Blog Aufklärungsarbeit betreiben, wie sie erzählt. Eine Rückkehr als Hausärztin könne sie sich zwar vorstellen - aber nur unter besseren Bedingungen.