Rheinland-Pfalz Baden-Württemberg Fachkräftemangel und KI - So leben wir in zehn Jahren
Durch Arbeitskräftemangel und Digitalisierung werden sich viele Bereiche unseres Lebens stark verändern. Wie werden wir in zehn Jahren leben, das haben wir einen Zukunftsforscher gefragt.
Wenn die Boomer in Rente sind, werden LKW-Fahrer fehlen, die unsere Waren transportieren und Busfahrerinnen, die uns in die Stadt fahren. Schon heute mangelt es an Verkaufspersonal oder Pflegekräften. Die "Verrentungswelle" wird alle gesellschaftlichen Bereiche treffen. Darin sind sich Wirtschaftswissenschaftler einig. Und doch sehen Zukunftsforscher die Zukunft keineswegs schwarz, aber sie wird uns in ein ganz neues Zeitalter führen.
SWR Aktuell: Sven Gábor Jánszky, Sie sind Zukunftsforscher und Geschäftsführer des Instituts 2b AHEAD Think Tank GmbH. Sie beraten Firmen und Organisationen, wie sie sich an die Herausforderungen der Zukunft anpassen können. Wie wird sich unsere Arbeitswelt durch Fachkräftemangel und Digitalisierung verändern?
Sven Gábor Jánszky: Die vielleicht wichtigste Konsequenz in den nächsten 10 bis 15 Jahren für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland: Es wird mehr “Projektarbeiter und -arbeiterinnen" geben. Nach unseren heutigen Studien werden etwa 40 Prozent der Erwerbstätigen gezielt für Projekte eingestellt werden. Ist das Projekt zu Ende, wechseln sie zum nächsten und mit hoher Wahrscheinlichkeit in ein anderes Unternehmen. Sie springen sozusagen alle 18 Monate von Unternehmen zu Unternehmen.
Und sie tun das freiwillig, weil sie bei jedem neuen Arbeitsverhältnis ein bisschen mehr verdienen oder weil sie sich persönlich weiterentwickeln können. Und die zweite Konsequenz, die liegt auf der technologischen Seite. All die Jobs, die heute Routinetätigkeiten sind. Ich nehme mal als Beispiel einen Steuerberater, der Zahlen in Kästchen einträgt, oder einen Übersetzer, der einen Text in eine andere Sprache übersetzt. Die werden andere Tätigkeiten machen müssen, weil Künstliche Intelligenz diese Aufgaben viel schneller und in vielen Fällen sogar präziser machen kann als ein Mensch.
Die Zukunftsforschung untersucht nach wissenschaftlichen Kriterien mögliche zukünftige Entwicklungen und zwar auf technischem, sozialem und wirtschaftlichem Gebiet. Die Forschenden müssen dabei streng zwischen Wissen und Vermutung unterscheiden. Sie müssen auch Widersprüche in ihre Untersuchungen mit einbeziehen und stützen sich auf Berechnungen und Computersimulationen, um zu bewerten, wie sich Trends entwickeln können. Zukunftsforschung kann man an mehreren deutschen Hochschulen studieren, unter anderem an der Freien Universität Berlin.
SWR Aktuell: Ein Viertel der Busfahrer in Rheinland-Pfalz kommt in den nächsten Jahren ins Rentenalter. Und es wird kaum möglich sein, alle zu ersetzen. Bei den Taxifahrerinnen und -fahrern sind es sogar ein Drittel. Wie werden wir uns in zehn Jahren fortbewegen, in der Stadt, auf dem Land. Wie kommen wir von A nach B?
Jánszky: Die Antwort, die sieht man sehr, sehr klar. In San Francisco, aber auch in anderen Städten fahren schon heute “Robotaxis”. Künstliche Intelligenz hat im Bereich von Mobilität schon heute dazu geführt, dass im kompletten Stadtgebiet von San Francisco ganz normal im Verkehr Autos fahren, die keinen Fahrer haben. Und ehrlich gesagt: Das, was da in San Francisco geht, das geht auch in Mainz.
Die Prognose von uns Zukunftsforschern sagt, technologisch geht es, wirtschaftlich ist es sogar günstiger. Ja, jetzt setzt es doch einfach bitte mal um. Wir müssen nur ein bisschen von unserer, wie soll ich sagen, von unserer kleinen Behäbigkeit weg, die wir Deutschen so haben, und auch manchmal unserer Regulierungswut. Erst mal 30 Jahre diskutieren bevor es dann wirklich auf die Straße kommt. Das müssen wir ein bisschen verkürzen und dann kriegen wir es auch hin, die in Rente gehenden Taxi- und Busfahrer zu ersetzen.
Wir werden weniger in Supermärkte gehen und das meiste, das wir brauchen, online kaufen. Sven Gábor Jánszky, Zukunftsforscher von Institut 2bAHEAD
SWR Aktuell: In Baden-Württemberg werden immerhin autonom fahrende Busse getestet, in Friedrichshafen und Mannheim. Aber die Beschäftigten werden ja auch in anderen Bereichen fehlen, zum Beispiel auch im Verkauf. Wie werden wir in zehn, fünfzehn Jahren einkaufen?
Jánszky: Die Zukunft des Einkaufs ist relativ klar zu beschreiben. Wir werden weniger in Supermärkte oder in Geschäfte gehen und dort auf Menschen treffen. Wir werden das meiste, das wir brauchen, online bestellen und uns liefern lassen, höchstwahrscheinlich von Robotaxis, die dann auch keinen Fahrer mehr brauchen.
Es wird immer noch Geschäfte geben, aber das sind dann spezielle Geschäfte, und die Lebensmittel werden einen höheren Preis haben. Denn ich zahle dann nicht nur für die Ware, sondern auch das Erlebnis.
- Sven Gábor Jánszky (geb.1973) ist Diplom-Journalist und hat an der Universität Leipzig Journalistik und Politikwissenschaften studiert.
- Er ist Geschäftsführer des Zukunftsforschungsinstituts 2b AHEAD mit 25 Mitarbeitenden. Das Institut analysiert wissenschaftliche Trends, erstellt Zukunftsbilder und berät Unternehmen, Banken und Versicherungen bei deren Zukunftsprojekten.
- Als Autor hat er mehrere Bücher veröffentlicht, die sich mit Zukunftsfragen befassen. Er ist Mitautor von wissenschaftlichen Fachbüchern zu den Themen Digitalisierung, Informationsmanagement und Internet.
SWR Aktuell: Das ist vielleicht die Zukunft in einer Großstadt, aber Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg sind ländlich geprägt.
Jánszky: Das ist logistisch oder technologisch überhaupt kein Problem mehr. Wenn man auf dem Dorf lebt, dann dauert es länger, bis der Lieferdienst die Ware bringt. Aber selbstverständlich, das gibt es alles schon. Da muss man nur schauen, was es in der Welt gibt. Und nicht sagen, in Deutschland geht das nicht. Selbstverständlich geht das auch in Deutschland.
SWR Aktuell: Aber das Einkaufen heute ist ja auch eine Tätigkeit, bei der man andere Menschen trifft und in Kontakt kommt. Ihre Zukunftsvision klingt nach großer Vereinsamung.
Jánszky: Es wird natürlich immer noch Orte geben, wo Menschen hingehen und mit anderen sprechen können. Wir Zukunftsforscher sagen dazu Identitätsort. Einige Menschen haben die Identität in sich: Ich bin besonders bio oder besonders öko. Andere sehen sich als heimatverbunden oder besonders sportlich. Und mit hoher Wahrscheinlichkeit werden in unseren Städten Orte entstehen, an denen Menschen mit diesen Interessen zusammenkommen können. Das kann ein Häuserblock sein, wo es zum Beispiel Musikinstrumente zu kaufen gibt und gleichzeitig Kurse oder Konzerte stattfinden, wo es ein Musikcafé gibt.
SWR Aktuell: Okay, schauen wir uns die Gesundheitsversorgung an und ganz speziell die Situation der Boomer, die dann alle alt werden. Wie werden sie leben in zehn Jahren?
Jánszky: Also, zunächst können wir davon ausgehen, dass sich das Pflegebedürftig-Werden weiter nach hinten verschiebt. Die Boomer werden länger gesund und aktiv sein als die Generationen vor ihnen. Insofern gehen wir Zukunftsforscher nicht davon aus, dass es ein besonders großes Versorgungsproblem geben wird.
SWR Aktuell: Aber irgendwann ist es so weit, dann sind auch sie pflegebedürftig.
Jánszky: Aber der Punkt, auf den ich hinaus will, den die meisten heute noch nicht vor Augen haben, ist ein technologischer. Schon heute stellen etwa 30 Unternehmen in der Welt sogenannte humanoide Roboter her und sagen, dass sie Ende 2025 in den Verkauf gehen. Die Roboter sehen aus wie ein Mensch, können laufen, die Spülmaschine ausräumen, kochen, bedienen, sauber machen. Und mit denen kann man sogar reden.
Für uns Zukunftsforscher sind humanoide Roboter der am meisten unterschätzte Trend. Sven Gábor Jánszky, Zukunftsforscher von Institut 2bAHEAD
Das Ding kostet ungefähr 15.000 US-Dollar. Ganz schön teuer, aber wenn der tatsächlich all die Tätigkeiten macht und ich viele Kosten spare, die ich für Haushaltshilfe und Pflege ausgebe, dann rechnet sich das vielleicht sogar. Also, wir reden über das Jahr 2030 oder 2035. Das klingt für die meisten noch ein bisschen nach Science Fiction, ist aber für uns Zukunftsforscher der am meisten unterschätzte Trend in dieser Zeit.
SWR Aktuell: Und werden die alten Menschen dann eher in Heimen untergebracht sein? Oder wird man künftig länger zu Hause gepflegt werden? Wenn es humanoide Roboter gibt und die womöglich von der Krankenkasse bezahlt würden, wäre das vielleicht sogar günstiger.
Jánszky: Wenn wir Zukunftsforscher die Trendsignale richtig interpretieren, dann geht der Trend in der Pflege von älteren Menschen ganz klar dahin, die Menschen so lange wie möglich zu Hause zu haben.
SWR Aktuell: Schauen wir uns noch den Bereich Sicherheit an. Bei der Polizei fehlen Kräfte, bei den Sicherheitsdiensten. Das Schutzbedürfnis der Menschen ist auch größer geworden. Wird es in der Zukunft noch so viele öffentliche Feste geben?
Jánszky: Menschliche Sicherheitsdienste werden immer teurer. Und jetzt gibt es zwei Möglichkeiten. Volksfeste, große Veranstaltungen finden immer seltener statt, weil das nicht mehr bezahlbar ist. Oder, die zweite Möglichkeit, Sicherheit wird günstiger hergestellt durch KI-gestützte Kameraüberwachung. Das können fest installierte Kameras sein oder Drohnen.
Aber das widerspricht, zum Teil zumindest, unserem allgemeinen Datenschutzverständnis. Wir werden abwägen müssen, entweder diese Feste fallen aus oder wir akzeptieren, dass da Sicherheit hergestellt wird durch Datenüberwachung. Die Wahrscheinlichkeit ist relativ hoch, dass die Mehrheit die Überwachung akzeptieren wird für mehr Sicherheit.
Wir werden nicht mehr zu Kontakten gezwungen, sondern müssen es wollen. Sven Gábor Jánszky, Zukunftsforscher von Institut 2bAHEAD
SWR Aktuell: Ich muss zugeben, das hört sich alles ein bisschen unheimlich an. Wir müssen nicht mehr raus unter die Menschen, werden dadurch vielleicht weniger Kontakte haben. Welche Herausforderungen sehen Sie für die Menschen.
Jánszky: Wir werden nicht mehr zu Kontakten gezwungen, sondern wir müssen es wollen. Das heißt: Die wichtigste Kompetenz, die wir uns und der nächsten Generation, unseren Kindern antrainieren müssen, ist – ich nenne das mal Selbstmanagement. Wir müssen unsere Zeit ganz bewusst strukturieren und uns bewusst entscheiden, jetzt mach ich das und dann das. Und das wird einigen sehr, sehr leicht fallen, die sowieso bewusst leben, und anderen, die sich nach äußeren Regeln richten, denen wird es schwer fallen. Aber wir werden viel mehr Zeit haben, die wir selbst gestalten können. Sie merken, ich versuche, das sehr positiv darzustellen. Warum? Weil die Chancen, die da drinstecken, für die Menschen aus meiner Sicht wirklich sehr positiv sind.
SWR Aktuell: Herr Jánszky, vielen Dank für das Gespräch.