Saarland Auschwitz-Überlebende Esther Bejarano: „Für mich das Schlimmste, was ich erleben musste“
Kleine Frau mit großer Stimme: Heute vor 100 Jahren wurde Esther Bejarano in Saarlouis geboren. Nachdem sie Auschwitz und den Holocaust überlebt hatte, engagierte sie sich in Schulen und auf Bühnen lautstark und musikalisch gegen Antisemitismus. Eine Erinnerung.
Mit Informationen von Alice Kremer und KNA
„Mir leben ejbig“, sang Esther Bejarano einst mit ihrer Musikgruppe „Coincidence“. Ein Lied, 1943 komponiert und uraufgeführt im Ghetto der litauischen Hauptstadt Vilnius. Eines ihrer Lieblingslieder. Esther Bejarano war eine der wenigen Holocaust-Überlebenden. Am 10. Juli 2021 starb sie im Alter von 96 Jahren in Hamburg. Heute wäre die gebürtige Saarlouiserin Esther Bejarano 100 Jahre alt geworden.
Die Anfänge in Saarlouis
Esther Bejarano – damals noch Esther Loewy – wurde am 15. Dezember 1924 als jüngste Tochter von vier Kindern in Saarlouis geboren. Krümel nannte man sie damals, weil sie immer die Kleinste war. Schon als Kind begeisterte sich Bejarano für Musik. Ihr Vater arbeitete als Oberkantor in Saarbrücken. Bejarano hörte immer gerne bei den Gesangsproben mit.
Als das Saarland 1935 an das Deutsche Reich angegliedert wurde, nahmen die Repressalien gegen Juden immer weiter zu. Die einzige Nichtjüdin, die damals den Kontakt zur Familie Loewy nicht abbrach, war ihr Hausmädchen Katharina Müller, genannt Kätchen. Daher wurde Esther Bejaranos Verbindung zu Kätchen immer stärker. Bis ins hohe Alter wohnte Katharina Müller noch im Saarland.
Bejarano überlebte Auschwitz und Zwangsarbeit, wurde später ins Konzentrationslager Ravensbrück eingesperrt und floh auf einem Todesmarsch. Ihre Eltern wurden ermordet.
Musik zum Massenmord
Ihr Wunsch, Musikerin zu werden, hat sich zwar erfüllt. Aber ihr Leben ist anders verlaufen, als sie es geplant hätte. Die Nazis missbrauchten ihr musikalisches Talent. Mit 18 Jahren wurde sie nach Auschwitz deportiert. Dort spielte sie Akkordeon im „Mädchenorchester“. Wenn ein neuer Zug ankam, musste das Orchester am Tor stehen und Musik machen.
„Die Menschen haben uns manchmal zugewunken, haben wahrscheinlich gedacht: Wo Musik gespielt wird, wo man Musik hört, da kann’s ja nicht so schlimm sein“, erinnerte sie sich in einem SR-Interview 1982. „Und all diese Menschen sind dann ins Gas gegangen, und das war eigentlich für mich das Schlimmste, was ich erleben musste in Auschwitz. Abgesehen von allem Schrecklichen war das das Schlimmste.“
Langer Weg zur Aufklärung
Nach dem Krieg fand Bejarano ihre Form der Auseinandersetzung in der Musik. Mit Gesang und Besuchen in Schulen versuchte sie, sich gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus einzusetzen. Das sah sie als Aufklärungsarbeit an.
Nach dem Zweiten Weltkrieg ging sie jedoch zuerst einmal nach Israel, kehrte aber 1960 mit ihrem Ehemann Nissim nach Deutschland zurück und ließ sich nach kurzen Aufenthalten in Saarbrücken und Saarlouis schließlich in Hamburg nieder. Das hatte zwar auch gesundheitliche Gründe, den eigentlichen Ausschlag aber gab ihr Mann. Der sah die Verbreitung von Chauvinismus in Israel mit Sorge und empfand die kriegerische Auseinandersetzung, den Sinaikrieg, als nicht notwendig.
Es dauerte lange, bis Esther Bejarano überhaupt über ihre Vergangenheit gesprochen hat. Erst 1978, als sie in die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes eintrat, lernte sie Menschen kennen, die ihr Mut und Kraft gaben, ihre Geschichte zu erzählen. „Das, was sie im Lager gesehen hatte, trieb sie ihr ganzes Leben immer wieder zu den Menschen hin“, erklärte der Exekutiv-Vizepräsident des Internationalen Auschwitz-Komitees, Christoph Teubner, anlässlich des Todes Bejaranos 2021.
Quer durch alle Genres
Anfangs trat Esther Bejarano mit ihrer Tochter Edna auf, später spielte sie mit Sohn Joram – unter anderem auf dem Gelände des früheren Gestapolagers Neue Bremm in Saarbrücken mit der deutsch-türkisch-italienischen Rapgruppe „Microphone Mafia“. Mit der Band nahm sie vor zwölf Jahren auch ein gemeinsames Album auf: „Per la vita“, zu deutsch „Für das Leben“. Mit dabei war auch das italienische Widerstandslied „Bella Ciao“. Innerhalb von nur drei Jahren gab die Band mehr als 170 Konzerte.
Ob jiddische Musik oder Rap – Esther Bejarano kannte auch musikalisch keine Grenzen. Alle Lieder, egal in welchem Genre, sollten vor allem für Frieden, Freiheit und Völkerfreundschaft beitragen.
Kritik am Staat
Dabei kritisierte Bejarano auch immer wieder das öffentliche Versagen staatlicher Behörden und Institutionen im Umgang mit Rechtsextremismus, etwa 2015 in der ZDF-Satiresendung „Die Anstalt“, in der es um den „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) und Beate Zschäpe ging. „Wer gegen Nazis kämpft, kann sich auf den Staat nicht verlassen“, sagte Bejarano damals. Und sie setzte sich lautstark dafür ein, dass der 8. Mai, der Tag der Befreiung Deutschlands vom Naziregime, zum Feiertag wird.
Was sie den Menschen angesichts des massiv gestiegenen Antisemitismus in Europa wohl heute sagen würde? In einem Fernsehinterview erzählte sie einmal: „Ich habe immer gesagt: Ich muss mich rächen an diesen schrecklichen Nazis. Ich glaube, das ist meine Rache, dass ich eben in die Schulen gehe und erzähle, dass so etwas nie, nie wieder geschehen darf.“
Zum 100. Geburtstatg veranstaltet die Stadt Saarlouis im Esther-Bejarano-Haus eine öffentliche Geburtstagsfeier für ihre Ehrenbürgerin.
Über dieses Thema hat auch SR kultur Der Nachmittag am 13.12.2024 berichtet.