
Saarland Häusliche Gewalt: Arbeit mit Tätern dient auch dem Opferschutz
Beratungsstellen spielen bei der Hilfe für Betroffene häuslicher Gewalt eine wichtige Rolle. Ein wichtiger Baustein ist dabei auch die Arbeit mit den Tätern. Was sich zunächst widersprüchlich anhört, dient tatsächlich der Prävention.
Anne Staut
2486 Fälle häuslicher Gewalt sind im vergangenen Jahr im Saarland registriert worden. Die Mehrheit der Betroffenen sind nach wie vor Frauen. Um den Betroffenen zu helfen, gibt es im Saarland etwa die Interventionsstelle des Sozialdiensts katholischer Frauen Saarland.
Perspektive richtet sich an Täter
Einen anderen Ansatz, um häusliche Gewalt einzudämmen, verfolgt die Beratungsstelle Perspektive, die es im Saarland inzwischen seit fast neun Jahren gibt. Sie richtet sich nicht an die Opfer häuslicher Gewalt, sondern setzt stattdessen bei den Tätern an.
Seither hat sich bei der Beratungsstelle einiges getan. Denn gestartet ist Perspektive 2016 mit einem Angebot von nur rund 15 Stunden pro Woche. "Seit Sommer letzten Jahres sind wir aufgrund einer Stundenaufstockung durch das Sozialministerium bei 65 Stunden, verteilt auf zwei Personen", sagt Jörg Ewering, der Projektverantwortliche der Beratungsstelle und Diplompsychologe.
Das Sozialministerium hatte im vergangenen Jahr 182.500 Euro an Haushaltsmitteln für die Beratungsstelle Perspektive vorgesehen und sie damit deutlich erhöht. Denn 2023 waren noch 68.600 Euro dafür eingeplant. Für 2025 belaufen sich die Mittel nun auf 189.000 Euro. Das geht aus einer Antwort auf einer Landtagsanfrage der CDU hervor. Damit sollte das bisherige Angebot ausgebaut werden.
Rund 40 Teilnehmer pro Jahr
Das ist auch geschehen. Zum Beispiel können inzwischen mehr Beratungsgruppen angeboten werden. Zum Start gab es noch eine wöchentliche Gruppe. Seit Ende 2024 sind es zwei Gruppen – eine trifft sich vormittags, eine andere abends. Maximal zehn Personen können pro Gruppe betreut werden. Bis es soweit ist, durchlaufen die Teilnehmer aber mehrere Stationen.
"Zunächst gibt es ein Vorgespräch, dann drei bis fünf Einzeltermine und erst dann gehen die Teilnehmer in die Gruppe", sagt Ewering. Nicht jeder Teilnehmer kann in die Gruppe aufgenommen werden, zum Beispiel aufgrund seiner Arbeitszeiten.
Im Laufe der Jahre sei die Nachfrage gestiegen. "In den letzten drei Jahren waren es rund 40 Teilnehmer pro Jahr", so Ewering. Die Zahl bezieht sich hierbei auf diejenigen, die tatsächlich den kompletten Weg durchlaufen haben.
Jeder kann sich an die Beratungsstelle wenden
Wie die Täter zu der Beratungsstelle kommen, ist unterschiedlich. "Wir haben einen komplett offenen Zugang", erläutert Ewering. Das heißt sie können auch als sogenannte Selbstmelder ohne Zuweisung durch eine Institution auf Perspektive zugehen. Diese würden mehr oder weniger aus eigenem Antrieb kommen. Teilweise aber auch durch den Einfluss ihrer Partnerin.
"Die Teilnahme ist aufgrund der Finanzierung durch das Sozialministerium kostenlos. Dadurch sind die Hürden kleiner", so der Diplompsychologe. Die Beratung könne den Tätern aber auch auferlegt werden etwa im Rahmen eines Strafprozesses oder als familiengerichtliche Auflage.
Die Beratungsstelle betreibt zudem auch viel Netzwerkarbeit und hält etwa Seminare für angehende Polizisten. Dadurch würden diese auf das Angebot aufmerksam und könnten betroffenen Familien direkt den Kontakt weitergeben.
Welchen Schaden richtet meine Gewalt an?
In den Gruppen sprechen die Teilnehmer dann über ihre Erfahrungen. Dabei gehe es darum, den Tätern aufzuzeigen, welche Konsequenzen ihre Gewalt habe. Vielen werde erst dabei bewusst, welchen Schaden sie angerichtet haben – etwa auch bei ihren Kindern.
Am Anfang würden sich die Täter meist rechtfertigen und ihr Vorgehen verharmlosen. Insgesamt seien die Teilnehmer aber gut erreichbar, berichtet Ewering von seinen Erfahrungen. Vor allem, wenn die Täter den Kontakt zu ihren Kindern zu verlieren drohen, wirke das oft verändernd.
Gewaltbilanz ziehen
Auch Gewaltbilanzen werden in den Gesprächen aufgestellt. Das heißt, die Täter sollen die Vor- und Nachteile, die ihnen ihr Verhalten gebracht hat, gegeneinander abwägen.
"Sie sollen erkennen, dass Gewalt ihnen kurzfristige Vorteile gebracht hat, indem sie zur einseitigen Interessendurchsetzung oder zur Beendigung von Konflikten geführt hat, damit aber schwerwiegende und langfristige Nachteile verbunden sind", heißt es in einer Infobroschüre der Bundesarbeitsgemeinschaft Täterarbeit Häusliche Gewalt, die das Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend 2023 veröffentlicht hat.
Ziel: erneute Gewalt verhindern
Das primäre Ziel sei es, erneute Gewalt zu verhindern. "Die Täterarbeit dient deshalb auch dem Opferschutz", so Ewering. Inwieweit die Täter langfristig nach Beendigung ihrer Teilnahme ihr Verhalten ändern, lasse sich aber nur schwer einschätzen, da es kaum Möglichkeiten gebe, dies zu erfassen.
Das deckt sich auch mit den Ergebnissen von Studien wie etwa dem Abschlussbericht der Wissenschaftlichen Begleitung der Interventionsprojekte gegen häusliche Gewalt (WiBIG) aus dem Jahr 2004. In Band drei heißt es dort: "Über eine Nachhaltigkeit der Erfolge der begleiteten Täterprogramme kann an dieser Stelle keine Aussage gemacht werden. Hier ist weiterführende Forschung erforderlich."
Dennoch kommt der Bericht zu dem Ergebnis, dass bei Teilnehmern von Täterprogrammen Verhaltensmodifikationen bewirkt werden können, die zu weniger physischer Gewalt gegenüber ihren Partnerinnen führen. "Dadurch ist Täterarbeit als sinnvolle Ergänzung zu bisherigen Maßnahmen/Angeboten im Interventionskontext gegen häusliche Gewalt einzustufen."
Täter in Selbstständigkeit entlassen
Die meisten Täter sind etwa ein Jahr bei der Beratungsstelle "Perspektive". Man könne aber auch länger in der Gruppe bleiben, wenn der Platz reiche. Und auch danach werden die Täter nicht alleine gelassen.
Die Beratungsstelle steht auch für eine mögliche Nachsorge zur Verfügung – etwa wenn die Täter weiter Beratung wollen, in einer neuen Beziehung sind oder das Gefühl haben, rückfällig zu werden. "Letztendlich geht es aber darum, die Täter in die Eigenverantwortung zu entlassen", so Ewering.
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