Ein dekorierter Glühweinstand auf einem Weihnachtsmarkt.

Schleswig-Holstein Kommentar: Frühe Weihnachtsmärkte - Plädoyer für den Advent

Stand: 18.11.2024 11:43 Uhr

Die Weihnachtsmärkte öffnen in diesem Jahr teilweise vor Totensonntag. NDR Redakteurin Mechthild Mäsker findet das traurig. Wir lassen uns hetzen von Verkaufsinteressen und ökonomischem Zwang, kritisiert sie in ihrem Kommentar.

Von Mechthild Mäsker

"Was hat Advent mit Religion zu tun?" Diese Frage ploppt auf, kaum dass ich die Worte Advent - Religion - Bedeutung in meine PC-Suchmaske tippe. In der Tat - was hat das miteinander zu tun? Mit dem Blick auf das geschäftige Treiben, das uns jetzt in den kommenden Wochen bevorsteht, wenig bis nichts, würde ich sagen.

Denn Advent, per Definition: "Advent (lateinisch adventus "Ankunft"), eigentlich adventus Domini (lat. für Ankunft des Herrn), bezeichnet die Jahreszeit, in der die Christenheit sich auf das Fest der Geburt Jesu Christi, Weihnachten, vorbereitet. Zugleich erinnert der Advent daran, dass Christen das zweite Kommen Jesu Christi erwarten sollen." Das ist heutzutage vor allem Budenzauber, Geschenkerausch, Punschkoma, Weihnachtsmarkttreiben und Musikgedudel. Ökonomische Hochsaison, statt ökumenisches Gut.

Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich genieße Weihnachtsmärkte, Weihnachtsbäckerei, Weihnachtslichter, mit denen wir uns den Advent seit Jahrzehnten immer doller ausschmücken. Von Herzen! Und die tollen Weihnachtskonzerte, Weihnachtsmärchen, Weihnachtsgeschichten. Ich liebe das alles und schwelge darin! Aber inzwischen entfernen wir uns, in einem schleichenden Prozess seit Jahrzehnten, von dem, was eigentlich vor vielen Jahrhunderten begann als Adventstradition. Nämlich die Zeit für innere Einkehr, das Erwarten von etwas Besonderem, ein Besinnen und ein Erleben von religiöser Gemeinschaft.

Religiosität ist "out"

Aber wie das so ist mit religiösen Festen - das ist halt in unserer säkularisierten Gesellschaft nur noch für einen kleinen Teil der Bevölkerung relevant. Weihnachten feiern wir die Geburt Christi? Ostern ist das Fest der Auferstehung? Pfingsten kommt der Heilige Geist? Wer weiß das schon oder will was davon wissen.

Klar ist: Der Advent beginnt hierzulande weit vor dem 1. Advent, wenn allerspätestens Mitte September in den Discountern die ersten Lekbuchen und Weihnachtsmänner auftauchen, massenhaft. Aber als Traditionalistin kaufe ich Lebkuchen erst Mitte November und wenn ich sie kurz vor dem Weihnachtsfest noch kaufen will, sind bestimmte Sorten gar nicht mehr im Regal. Als Traditionalistin stelle ich den Adventskranz erst zum 1. Advent auf und den Tannenbaum erst am 4. Advent (oder 23. Dezember). Und höre am liebsten Weihnachtsmusik vom 20. Dezember bis nach dem 2. Weihnachtstag, aber dann geht es ja nur noch von CD oder ähnlicher Technik, denn musikalisch endet Weihnachten im Radio etwa mittags am 1. Weihnachtstag. "Danach will das keiner mehr hören", sagt der Musikchef, was kein Wunder ist, denn wir werden ja in Geschäften und auf Märkten seit Ende November damit vollgedudelt. Und ja, es gibt bekannterweise andere Länder dieser Erde, in denen der Kommerz dieser Zeit zum Jahresende, nach den vielen Totengedenktagen im November, noch viel höhere Wellen schlägt in klingenden Kassen als bei uns. 

Weihnachtsmärkte vorgezogen

Apropos Ende November. Wir verkürzen offenbar lieber diesen Gedenkmonat mindestens um ein Wochenende: Das tut schon richtig weh, jedenfalls mir als überzeugter Christin, wenn immer mehr Weihnachtsmärkte schon am Wochenende vor dem 1. Advent beginnen. Da ist für uns Christen ja Totensonntag. Oder Ewigkeitssonntag. Oder Christkönig. Jedenfalls der letzte Sonntag im Kirchenjahr. Und am 1. Advent beginnt das neue Kirchenjahr mit der Erwartung auf Christi Geburt in wenigen Wochen. Aber es lässt sich halt schon an diesem Wochenende schön viel Geld verdienen auf den Weihnachtsmärkten. Zwei Tage, die wir dann doch nicht stillhalten können vor der Shopping-Hochsaison. Ähnlich wie bei der Diskussion zu Ostern, ob es an Karfreitag vielleicht doch mal einen einzigen (!) Tag im Jahr geben kann, für Stille, Innehalten, ist auch zum Advent offenbar Geschäftigkeit geboten.

Ich komme mir schon ziemlich blöde vor, wenn ich in Diskussionen im Freundeskreis oder auch in der Familie die Fahne der Christenheit schwenke und sage: Ohne die christliche Religion und Tradition hätten wir ja all diese Feste und Feiertage überhaupt nicht. Und müssten sie doch, wenn wir ohnehin nichts auf sie geben, folgerichtig alle wieder abschaffen, oder?

Kommerz statt Herz?

Mir werden dann viele Argumente entgegen gehalten: "Die Leute wollen doch endlich ihre tollen Weihnachtsmärkte, die Nachfrage ist da!" oder "Wir (Marktbeschicker/Veranstalter/Händler/Kunsthandwerker) brauchen die Einnahmen dringend!" oder "Wir machen einen großen Teil unseres Jahresumsatzes nun mal im Weihnachtsgeschäft!" oder "Kirche ist doch sowieso total out, die kümmert sich ohnehin nicht um uns" (wahlweise werden dazu Missbrauch, Gier, veraltete Moral, überholtes Denken oder schlicht Nichtinteresse an Kirche argumentativ nachgeschoben). Also: selbst schuld, die Kirchen, dass sie bedeutungslos werden.

Ich kann diese Einwände tatsächlich sachlich nachvollziehen und mir vorstellen, wo das Denken jeweils herkommt. Aber mich bewegen diese Einwände trotzdem nicht zu einem anderen Gedanken als diesem: Muss das denn wirklich sein, so früh? Erinnern Sie sich noch an die öffentliche Debatte um die Bezeichnung "Wintermarkt" statt "Weihnachtsmarkt" vor einigen Jahren? Da wurde die christliche Tradition beschworen, der Vorschlag mit Abscheu und Empörung zurückgewiesen, der Untergang des christlichen Abendlandes heraufbeschworen. Aber wenn wir die christliche Tradition ohnehin immer weiter aufweichen, uns um Totensonntag oder den eigentlichen Advent nicht scheren, dann wäre es eigentlich konsequent, das ganze Gedöns "Wintermarkt" zu nennen. Ehrlicherweise.

Mechthild Mäsker, Leiterin des Regionalstudios NDR 1 Welle Nord in Lübeck

Der vorgezogene Advent verkürzt den Gedenkmonat November. NDR Redakteurin und überzeugte Christin Mechthild Mäsker findet das traurig.

Zeit für Besinnung

Die Adventszeit endet an Heiligabend. Eine Zeit der Besinnung geht über in die Zeit der großen Freude, Christ ist geboren. Die Weihnachtszeit beginnt in der Heiligen Nacht und endet am 2. Februar, dem Fest Mariä Lichtmess. Da sind wir in den Supermarktregalen aber schon kurz vor der Invasion von Schokohasen, Tulpen oder Narzissen und viele möchten am liebsten schon Erdbeeren naschen.

Wir geben uns einfach nicht mehr die Zeit, die Muße, den Lauf der Jahreszeiten, der Monate mit ihrem jeweils typischen Charakter, voll auszukosten. Für Besinnung und Nichtstun haben wir schon gar keine Zeit. Wir lassen uns hetzen von Verkaufsinteressen und ökonomischem Zwang, von Tun und Machen und Schaffen. Und beschweren uns zugleich, dass die Zeit irgendwie immer schneller rast. Wir haben verlernt, die Erwartung zu leben, verlernt, zwei Tage länger einfach mal die Vorfreude noch zu genießen, auf den Start der Weihnachtsmärkte zu warten am Montag nach Christkönig oder Totensonntag. Ist das nicht traurig?

Anmerkung der Redaktion: Liebe Leserin, lieber Leser, die Trennung von Meinung und Information ist uns besonders wichtig. Meinungsbeiträge wie dieser Kommentar geben die persönliche Sicht der Autorin/des Autors wieder. Kommentare können und sollen eine klare Position beziehen. Sie können Zustimmung oder Widerspruch auslösen und auf diese Weise zur Diskussion anregen. Damit unterscheiden sich Kommentare bewusst von Berichten, die über einen Sachverhalt informieren und unterschiedliche Blickwinkel möglichst ausgewogen darstellen sollen.

Dieses Thema im Programm:
NDR 1 Welle Nord | Nachrichten für Schleswig-Holstein | 18.11.2024 | 17:00 Uhr