Ryke Geerd Hamer (Archivbild: 09.09.1997)
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"Germanische Neue Medizin" Gefährlicher Medizin-Mythos breitet sich aus 

Stand: 14.03.2025 06:00 Uhr

Eine pseudomedizinische Bewegung findet immer mehr Anhänger in sozialen Medien und Chatgruppen: die "Germanische Neue Medizin". Die Anhänger lehnen Wissenschaft und Schulmedizin ab. Das kann auch tödliche Folgen haben.

Von Niko Kappel, BR 

Wenn Caro* als Kind Zahnschmerzen hatte, dann gingen ihre Mutter und ihr Stiefvater nicht mit ihr zum Arzt. Sie legten stattdessen eine CD ein. Darauf war nur ein Lied. Ein Mann sang es, mit monotoner Stimme. Dieses Lied, "Das Studentenmädchen", sollte gegen die Zahnschmerzen helfen. Der Sänger hieß Ryke Geerd Hamer. Ein ehemaliger Arzt und Begründer einer Bewegung, die sich Germanische Neue Medizin nennt. Caro wuchs in dieser Bewegung auf, ihre Familienmitglieder sind glühende Anhänger von Hamer, der im Jahr 2017 verstarb. Seine Idee aber lebt weiter. Anhänger verbreiten seine Ideologie über zahlreiche Telegram-Kanäle. Zwei dieser Kanäle haben jeweils um die 50.000 Mitglieder. Die "Germanische Neue Medizin" wird vor allem im deutschsprachigen Raum praktiziert, aber auch in den USA und in Indien.

Laut Ryke Geerd Hamer sollte die "Germanische Neue Medizin" nicht weniger als die Revolution der Medizin sein. Eine komplett neue Art, Krankheiten zu verstehen. Jede Krankheit soll durch einen seelischen Konflikt entstehen. Um wieder gesund zu werden, muss man laut Hamer nichts tun, außer diesen Konflikt zu lösen. Ärzte sind nicht mehr nötig, auch keine Schmerzmittel oder Chemotherapien.

Ohne wissenschaftliche Begründung

Ryke Geerd Hamer begründete die Germanische Neue Medizin Anfang der 1980er-Jahre. Er war ein Arzt, seine Approbation wurde ihm inzwischen entzogen. Hamer nannte seine Methode "die größte Entdeckung der Menschheitsgeschichte". Monatelange Recherchen eines Teams des Bayerischen Rundfunks zeigen ein anderes Bild. Die Germanische Neue Medizin ist eine gefährliche Pseudomedizin. Viele Menschen, die daran glaubten, sind gestorben. Mehrere Betroffene erzählen, dass Verwandten, wegen des Glaubens an Hamers Ideologie ihre Krebserkrankungen nicht behandeln ließen. 

Expertinnen und Experten warnen vor der "Germanischen Neuen Medizin" als alternative Behandlungsmethode. Die Deutsche Krebsgesellschaft veröffentlichte 2024 ein Statement, in dem es heißt: "Bei der sog. 'Germanischen Neuen Medizin' von Herrn Hamer handelt es sich um eine in der Biographie und Träumen von Herrn Hamer begründete Theorie ohne wissenschaftliche oder empirische Begründung". Die deutsche Onkologin Jutta Hübner warnt ebenfalls vor der Bewegung. "Meine ärztlichen Kollegen und ich sind immer wieder entsetzt, dass so mit dem Leben und dem Vertrauen unserer Patienten umgegangen wird", sagt sie. 

Antisemitische Verschwörungserzählungen

Aber an Hamers Ideologie ist nicht nur die Ablehnung der Wissenschaft problematisch. Sie basiert auf einem antisemitischen Weltbild. Das spürt auch Caro in ihrer Kindheit. Ihre Schulklasse plante eine Exkursion in eine KZ-Gedenkstätte. Caro wollte nicht mit. "Damals dachte ich, warum soll ich da hinfahren? Ist doch eh alles nur Kulisse", sagt Caro heute. Ihre Familie leugnete den Holocaust.

Diese Haltung kommt von Ryke Geerd Hamer selbst. Der Gründer der "Germanischen Neuen Medizin" war überzeugter Antisemit. In einem Interview mit dem BR aus dem Jahr 2010 sagte er, Juden würden die "Germanische Neue Medizin" praktizieren und sie dem Rest der Weltbevölkerung vorenthalten. 2013 behauptete er in einem Video auf seiner Website: "Die Presse gehört einer gewissen Religionsgemeinschaft und alles gehört dieser Religionsgemeinschaft. Die Universitäten, die Banken geben einfach alles. Und nun diese größte Entdeckung der Menschheitsgeschichte".

Zeit seines Lebens war Hamer davon überzeugt, dass das jüdische Volk die Welt beherrsche und wichtige Entdeckungen und Erfindungen vor dem Rest der Bevölkerung geheim hielt. Eine antisemitische Verschwörungserzählung.

Kontakt zum "Oberrabbiner"

Hamer sprach in Zusammenhang mit dem jüdischen Volk oft über einen Mann, den er einen Oberrabbiner nennt. Viele seiner antisemitischen Aussagen stützte er auf diese Person. Der Mann heißt Iwan Götz. 2008 lud ihn Hamer zu sich nach Hause ein. Dort soll Iwan Götz ein Dokument unterschrieben haben, das die Verschwörungsmythen Hamers gegen die Juden bestätigt. Nur: Iwan Götz ist gar kein Jude. Er ist ein Antisemit, Holocaustleugner und Anhänger der "Reichsbürger"-Bewegung. Das Politikmagazin Panorama hat ihn 2023 zu Hause in Mecklenburg besucht. "Hitler wurde von Juden finanziert", sagte Götz da. 

Als Caro 12 Jahre alt war, bekam ihre Mutter Brustkrebs. Wegen ihres Glaubens an die "Germanische Neue Medizin" ließ sie ihn nicht mit einer Chemotherapie behandeln. Caro erinnert sich, dass sie ihre Mutter oft gegen die Schmerzen massieren musste und dass ihr Stiefvater die CD mit dem Lied "Das Studentenmädchen" einlegte. Für Caros Mutter blieb das die einzige Behandlung. Nach langer und schwerer Krankheit verstarb sie. "Wäre die Germanische Neue Medizin nicht gewesen, wäre meine Mutter heute noch am Leben", ist Caro heute überzeugt.  

*Name von der Redaktion geändert 

Mehr über die "Germanische Neue Medizin" gibt es in der neuen Staffel "Seelenfänger - Diagnose Tod" zu hören - dem Podcast des Bayerischen Rundfunks, der sich mit Sekten und neureligiösen Kulten beschäftigt.