Ein Infusionsbeutel wird in einem Krankenhaus aufgehängt.

Pharmaskandal um Krebsmedikamente Gericht verurteilt Händlerin zu Haftstrafe

Stand: 30.01.2025 10:02 Uhr

Der Prozess um einen der größten Krebsmedikamentenskandale Deutschlands endet mit einer Haftstrafe für die Hauptangeklagte. Doch die genaue Herkunft der vertriebenen Medikamente bleibt ungeklärt.

Von Caroline Walter, MDR

Mit starrem Blick verfolgte Susanne K., Geschäftsführerin von Lunapharm, die Urteilsverkündung im Potsdamer Landgericht. Drei Jahre und sechs Monate lautet das Strafmaß für diesen besonders schweren Fall des Handels mit gefälschten Arzneimitteln, das die Vorsitzende Richterin verkündete. Neben der Haftstrafe wird ein Firmenvermögen von rund einer Million Euro eingezogen, dazu noch 368.000 Privatvermögen. Ihr Mitangeklagter, Gunter K., erhielt eine Geldstrafe von 180 Tagessätzen wegen Beihilfe.

Medikamente wurden "gewaschen"

Die Staatsanwaltschaft Potsdam hatte in über 30 Verhandlungstagen ein raffiniertes Konstrukt des illegalen Arzneimittelhandels offengelegt. Die Hauptangeklagte Susanne K. soll in den Jahren 2017 und 2018 mit ihrem Geschäftspartner Mohamed H. in 23 Fällen Krebsmedikamente aus Griechenland unrechtmäßig nach Deutschland importiert haben. Die Lunapharm-Chefin bezog in erheblichem Umfang hochpreisige und empfindliche Krebsmedikamente von einer griechischen Apotheke, die Mohamed H. ohne Großhandelserlaubnis als Umschlagplatz für seine kriminellen Aktivitäten genutzt haben soll.

Rechtlich gelten Arzneimittel auch dann als gefälscht, wenn ihre Herkunft, also die Vertriebswege, falsch angegeben oder verschleiert werden. Das Gericht folgte der Anklage, dass Susanne K. den Handel trotz eines ausdrücklichen Verbots der Brandenburger Arzneimittelaufsicht Anfang 2017 fortgeführt habe. Zur Verschleierung der tatsächlichen Vertriebswege sei ein Pharmahändler aus Zypern zwischengeschaltet worden. "Die Medikamente wurden regelrecht gewaschen", fasste es die Staatsanwaltschaft in ihrem Plädoyer zusammen.

Vorgetäuschtes Geschäft

Der zypriotische Pharmahändler sollte mit seiner Firma lediglich als Fassade für die Behörden fungieren. Seine Rolle beschränkte sich offenbar darauf, Pro-Forma Rechnungen und Lieferscheine für die Medikamente auszustellen, während das tatsächliche Geschäft weiterhin zwischen Susanne K. und Mohamed H. abgewickelt wurde. Doch der Geschäftsmann aus Zypern wollte bereits nach kurzer Zeit nicht mehr mitspielen. Als Kronzeuge vor Gericht erklärte er, dass Mohamed H. sich weigerte, die Herkunft seiner Medikamente offenzulegen. Dies sei der Grund gewesen, warum er die Reißleine gezogen habe.

Das System lief dennoch weiter: Neue Rechnungen und Lieferscheine mit seinem Firmenstempel wurden anscheinend gefälscht. Die Krebsmedikamente bezog Susanne K. weiter aus Griechenland, wie Frachtpapiere belegen, auf denen als Absender nur der Flughafen in Athen angegeben wurde. Bis zuletzt schob sie die Verantwortung auf ihre Geschäftspartner ab. Das Gericht sah dies anders: Susanne K. habe ihre Geschäftspläne über die gesetzlichen Regeln zum Arzneimittelhandel gestellt, deren Einhaltung für den Schutz von Patienten grundlegend sind.

Risiko durch lückenhafte Lieferketten

Die 57-jährige Lunapharm-Chefin demonstrierte eine erstaunliche Sorglosigkeit im Umgang mit den von Mohamed H. angebotenen Krebsmedikamenten. Ihre Anwälte mussten letztlich eingestehen, dass ihre Mandantin nicht wisse, ob die Ware legal gewesen sei oder nicht, noch hätte sie die genauen Vertriebswege gekannt. Die Geschäftsabwicklung erfolgte vorwiegend über WhatsApp-Nachrichten, wo beide Angebote, Preise und Lieferdetails aushandelten.

In den sichergestellten Chat-Protokollen fanden sich Fotos von teuren, empfindlichen Krebsmedikamenten, die auf Küchentischen, Betten und Autositzen präsentiert wurden. Die Staatsanwaltschaft bezeichnete dies als "ein grotesk unangemessenes Ambiente". Die Fotos gewährten Einblicke in Wohnungen "zwielichtiger Schieber" und ein kriminelles Umfeld, das an Drogenhandel erinnere. Das Gericht unterstrich bei der Urteilsverkündung, dass Susanne K. bei solchen Umständen nicht von einem seriösen Händler ausgehen konnte.

Zu ihrer Verteidigung hatte die Angeklagte vorgetragen, dass H. seine Quellen geheim gehalten habe. Dazu stellte die Vorsitzende Richterin klar: "Wir finden das nicht beruhigend. Der ganze Arzneimittelhandel in Europa ist darauf aufgebaut, dass man die Vertriebswege nachvollziehen kann". Dies sei hier nicht gegeben. Es bestehe ein erhebliches Maß an abstrakter Gefährdung, so das Gericht.

Unter dem Radar

Diese mangelnde Transparenz im Pharmahandel scheint dabei ein systemisches Problem darzustellen. Etliche Händler, die Arzneimittel im Ausland beschaffen, wissen anscheinend nicht, aus welchen Quellen die Medikamente letztlich stammen. Im Prozess sagten mehrere Zeugen aus, dass es gängige Praxis im länderübergreifenden Arzneimittelhandel sei, dass Vorlieferanten einfach nicht genannt würden und man dies stillschweigend akzeptiere. Es gibt also viele Zwischenhändler in den Lieferketten, die unter dem Radar agieren.

Das birgt erhebliche Sicherheitsrisiken, so Arndt Sinn, Strafrechtsexperte von der Universität Osnabrück. "Wenn die Lieferketten nicht lückenlos nachvollziehbar sind, gerade bei hochpreisigen Medikamenten, öffnet dies Tür und Tor für kriminelle Machenschaften", warnt er. In Europa seien Medikamentendiebstahl und -fälschungen ein wiederkehrendes Problem. Eine lückenlose Rückverfolgbarkeit der Lieferketten sei daher unerlässlich.

Die Gesundheitsrisiken durch gefälschte oder unsachgemäß gehandelte Medikamente würden oft unterschätzt. Diese reichten von falscher Lagerung über mangelhafte Transportbedingungen bis hin zu komplett wirkstofffreien Fälschungen - mit potenziell lebensbedrohlichen Folgen für schwerkranke Menschen.

Behörden: Überfordert und überlastet

Der Lunapharm-Prozess wirft ein grelles Licht auf das Verhalten der Behörden. Die zuständige Arzneimittelaufsicht führte über Jahre hinweg offenbar nur oberflächliche und zu wenige Kontrollen bei Lunapharm durch. In der Folge gelangten Hunderte Krebsmedikamente ungeklärter Herkunft und Qualität direkt zu Patienten. Diese wurden vorher nie überprüft oder kontrolliert.

Erst ARD-Recherchen hatten 2018 den Skandal und das Versagen der Kontrolleure ans Licht gebracht. In Griechenland waren zuvor zahlreiche Verdächtige verhaftet worden, darunter Mohamed H., dessen Netzwerk die Arzneien aus dem griechischen Gesundheitssystem entwendet haben soll.

Die deutsche Justiz steht der zunehmenden internationalen Arzneimittelkriminalität überfordert gegenüber. Eine Ermittlerin der süddeutschen Kriminalpolizei räumt im vertraulichen Gespräch ein, dass solche Delikte oft "stiefmütterlich behandelt" würden. "Das hat niemand wirklich im Blick, trotz des enormen Schadenspotenzials", betont sie. Auch das Landgericht Potsdam tat sich mit dem Verfahren schwer. Drei Jahre lang blieb die Lunapharm-Akte unbearbeitet. Die Vorsitzende Richterin verwies auf Personalmangel und Überlastungsanzeigen. Der folgende Prozess zog sich dann auch noch über 16 Monate hin.

Die Lücken im System offenbart am Ende auch das Verhalten des zweiten Hauptangeklagten Mohamed H. Er legte gleich bei Prozessbeginn ein Attest über seine Reise- und Verhandlungsunfähigkeit vor, woraufhin sein Verfahren ausgesetzt wurde. Eine Recherche des ARD-Politikmagazins FAKT deckte vor wenigen Monaten auf, dass H. durchaus verhandlungsfähig sein könnte und seinen illegalen Medikamentenhandel offenbar einfach weiterführt - unbehelligt von den Behörden.

Neue Ermittlungen

Wie FAKT exklusiv erfuhr, hat die Staatsanwaltschaft Frankfurt jetzt neue Ermittlungen gegen ihn aufgenommen. Auch sein Verfahren am Landgericht Potsdam könnte wiederaufgenommen werden.

Das harte Urteil gegen Susanne K. sende das richtige Signal, so Strafrechtsexperte Arndt Sinn. Es sei wichtig, denn damit trete die Arzneimittelkriminalität endlich aus dem Schatten und werde zu Recht als gefährlich wahrgenommen. Susanne K. verschwand ohne ein Wort nach dem Prozess und wollte das Urteil nicht kommentieren. Sie legte Revision ein.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete rbb24 Brandenburg aktuell am 29. Januar 2025 um 19:30 Uhr.