Plan von Lauterbach RKI soll Coronatest-Betrug aufdecken
Ein Referentenentwurf aus dem Gesundheitsministerium sorgt für Kopfschütteln: Da die Kassenärztlichen Vereinigungen sich weigern, Coronatests auf Betrug zu überprüfen, will der Minister die Aufgabe nun dem RKI übertragen.
Der Aufschrei war groß, als im Mai 2021 Recherchen von NDR, WDR und "Süddeutscher Zeitung" millionenschwere Betrugsfälle in mehreren Corona-Testzentren enthüllten. Der damalige Gesundheitsminister Jens Spahn erklärte, den Betrug bekämpfen zu wollen. Als Karl Lauterbach das Gesundheitsministerium Ende 2021 übernahm, gab es noch immer kein Konzept im Kampf gegen den mutmaßlichen Massenbetrug in Corona-Schnelltestzentren. Lauterbach kündigte Ende Juni seinerseits an, dass nun endgültig Schluss sein solle mit dem Betrug.
Doch der Gesundheitsminister wurde kalt erwischt - von den Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen). Die Organisationen, die hauptsächlich dazu da sind, in jedem Bundesland das Geld der Krankenkassen an niedergelassene Ärztinnen und Ärzte zu verteilen, waren bisher damit beauftragt, die Abrechnung der Schnelltests zu prüfen und erklärten nun, dass sie dies künftig nicht mehr machen wollten.
"Aufgrund der Erfahrungen in der Vergangenheit können wir nicht darauf vertrauen, dass alle Teststellen die Leistungen korrekt erbringen", schrieben die Vorstände der KVen in einem gemeinsamen Brief an Lauterbach. Deshalb könne man es künftig "nicht verantworten, sehenden Auges Auszahlungen auf Abrechnungen zu leisten, deren Richtigkeit wir nicht ansatzweise prüfen können".
Referentenentwurf des Gesundheitsministeriums
Lauterbach sagte daraufhin in Gesprächen, dass dann eben das Robert Koch-Institut (RKI) die Abrechnungsprüfung machen solle. Auf den Plan, wie das konkret aussehen soll, warteten die Beteiligten sechs Wochen lang vergeblich. Erst am Dienstagabend schickte das Gesundheitsministerium nun einen Referentenentwurf an die Beteiligten, der NDR, WDR und "Süddeutscher Zeitung" vorliegt.
Demnach soll das RKI künftig die Abrechnungsdaten analysieren, "statistische Ausreißer" identifizieren, die Gründe für einen Gratis-Test ebenso prüfen wie die Positivrate der Schnelltests. Entdecke das RKI Unregelmäßigkeiten, solle es die örtlichen Gesundheitsämter und die zuständige Kassenärztliche Vereinigung unterrichten, so der Plan des Ministeriums.
RKI ist weisungsgebunden
Das RKI ist eine wissenschaftliche Behörde, deren Aufgabe das Erkennen und die Bekämpfung von Infektionskrankheiten ist. Mit Abrechnungsbetrug hatte das Institut bisher nie zu tun. Allerdings ist das RKI dem Gesundheitsministerium unterstellt. Es ist weisungsgebunden und kann Aufträge von Lauterbach nicht ablehnen.
Offiziell teilt die RKI-Pressestelle mit, dass sie "Expertise in Statistik und Mathematik" habe und Anomalien entdecken könne. Unter der Hand hört man aber, dass die Idee, nun für die Prüfung von Schnelltest-Betreibern zuständig zu sein, eine "Luftnummer" sei - man habe weder die Ressourcen noch die fachlichen Kenntnisse dafür.
Keine weiteren Gelder fürs RKI
In dem Entwurf aus dem Hause Lauterbach steht zwar, dass beim RKI für die Abrechnungsprüfung Kosten "in nicht quantifizierbarer Höhe" entstehen, doch Geld soll das RKI keines für die neue Aufgabe bekommen. Ministeriumssprecher Andreas Deffner teilt auf Anfrage mit: "Eine finanzielle Kompensation ist nicht vorgesehen." Das erstaunt, denn die KVen erhalten für jeden Coronatest seit Mai eine Pauschale von 2,5 Prozent der Abrechnungssumme, zuvor waren es sogar 3,5 Prozent.
Da die Bürgertests den Staat bisher rund zwölf Milliarden Euro gekostet haben, flossen auf dieses Weise allein für die Auszahlung und Kontrolle rund 400 Millionen Euro an die KVen. Die sollen, auch wenn sie künftig gar nicht mehr die Bürgertests überprüfen sollen, dennoch weiter die Pauschale in Höhe von 2,5 Prozent erhalten. "Eine Veränderung der Verwaltungskostensätze der Kassenärztlichen Vereinigungen ist nicht vorgesehen", teilt Lauterbachs Ministerium mit.
Die Beteiligten haben nun bis zum 22. August Zeit, Anmerkungen zu dem Referentenentwurf zu machen.
"Da sehe ich schon die Faxgeräte glühen"
Beim Landeskriminalamt Berlin leitet Jörg Engelhard ein Kommissariat, das sich nahezu ausschließlich mit dem Abrechnungsbetrug bei Coronatests befasst. Er schätzt den Schaden durch betrügerische Bürgertests bundesweit mittlerweile auf mehr als eine Milliarde Euro. Die geplante Neuregelung aus dem Gesundheitsministerium hält der Ermittler für wenig sinnvoll.
"Das RKI soll dem örtlichen Gesundheitsamt Hinweise geben, wenn Daten auffällig sind. Dann aber müsste das Gesundheitsamt eine handfeste Prüfung machen und zum Beispiel die Adressen der Getesteten anfordern", sagt Engelhard. "Da sehe ich schon die Faxgeräte glühen." Für ihn sei es unverständlich, warum man die Aufgabe der Abrechnungsprüfung einem Institut wie dem RKI übertrage, das damit keinerlei Erfahrung habe.
Zudem sei unklar, wer sich denn um die vermutlich vielen Millionen fingierter Tests aus der Vergangenheit kümmere. "Hier geht es um einen Milliardenbetrag an Steuerverschwendung, der bisher nur unzureichend aufgearbeitet wird."
Für ein falsches Signal hält es Engelhard auch, dass die KVen zwar von der Aufgabe der Prüfung entbunden werden, aber weiterhin die gleiche Vergütung bekommen sollen wir bisher. "Das wirkt auf mich wie ein Geschenk an die KVen und ist in sich nicht logisch, weil sich zwangsläufig die Frage stellt, wie werthaltig die Prüfung bisher war, wenn künftig auch ohne Prüfung das gleiche Geld gezahlt wird."
KVen haben vielerorts Zahlungen vorerst eingestellt
Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) selbst fürchtet bereits, in Haftung genommen zu werden für unterlassene Abrechnungskontrollen. So prüft die Staatsanwaltschaft Berlin derzeit, ob die Vorstände der dortigen Kassenärztlichen Vereinigung sich möglicherweise wegen Untreue strafbar gemacht haben, weil sie die Abrechnungen zu lasch oder gar nicht kontrollierten.
Vielerorts haben KVen derzeit die Auszahlung der Beträge an die Schnelltestzentren eingestellt und warten erstmal die neue Verordnung ab. Während in den zurückliegenden Monaten bis zu einer Milliarde Euro pro Monat an die Schnelltestzentren überwiesen wurden, waren es im vergangenen Monat nach jüngsten Zahlen nur 152 Millionen Euro.