Geschäft mit Schutzkleidung "Jeder versucht, sich zu bereichern"
Im Zuge der Corona-Krise versuchen offenbar zunehmend Firmen, die Not von Kliniken auszunutzen, an Schutzkleidung zu kommen. WDR, NDR und SZ zeigen, wie vor allem mit Atemschutzmasken versucht wird, Geschäfte zu machen.
Auf dem Markt der medizinischen Schutzausrüstung herrscht Chaos. Seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie versucht das Personal in Heilberufen verzweifelt, Atemschutzmasken und Kittel zu besorgen, die benötigt werden, damit sich Mitarbeiter und Patienten bei der Behandlung vor einer Ansteckung mit dem SARS-CoV-2 Virus schützen.
Doch der Preis ist in die Höhe geschnellt, bereits bestellte Ware wird nicht geliefert, das verfügbare Material ist häufig mangelhaft, neue - oft unseriöse - Anbieter versuchen, von der Krise zu profitieren. "Hier muss tatsächlich der Staat einspringen. Das ist nichts, was der Markt auch nur im Ansatz lösen könnte", sagt der SPD-Politiker Karl Lauterbach. Die jetzt vom Bundesgesundheitsministerium vorgeschlagenen Maßnahmen hält er für unzureichend. Er fordert die Schaffung einer Bundesagentur, die Firmen in Deutschland mit der Produktion beauftragt.
Versorgungslage dramatisch
Ein Team von WDR, NDR und "Süddeutscher Zeitung" hat in der vergangenen Woche mit Krankenhäusern, Apotheken, Pflegediensten, Einkaufsgemeinschaften aber auch Produzenten und Händlern von medizinischer Schutzausrüstung gesprochen sowie Angebote und Zertifikate ausgewertet.
Obwohl in China, wo der Großteil der Ausrüstung hergestellt wird, die Produktion wieder angelaufen ist und sogar gesteigert wurde, ist die Versorgungslage in Deutschland dramatisch: Manchen Krankenhäusern geht bereits die Ausrüstung aus, Pflegedienste und Arztpraxen fürchten, ihre Patienten nicht mehr behandeln zu können und ebenfalls in Krankenhäuser überweisen zu müssen. In vielen Einrichtungen näht das medizinische Personal die Atemschutzmasken bereits selbst.
"Es ist Wildwest"
Überall wird die fehlende Koordinierung der Landes- und Bundesregierungen kritisiert. "Es ist Wildwest. Jeder versucht jetzt, sich zu bereichern, die Not der Krankenhäuser auszunutzen", sagt Olaf Berse, Geschäftsführer von Clinicpartner, einer bundesweiten Einkaufsgemeinschaft für Krankenhäuser, Alten- und Pflegeeinrichtungen. Die Angebote seien zum Teil regelrecht kriminell. Filter sind nicht funktionsfähig, die Zertifikate gefälscht. Dies gefährde Patienten und Personal, die glauben, geschützt zu sein, obwohl sie es eigentlich nicht sind, sagt Berse.
Auch Michael Dischinger, Leiter des Einkaufes am St.-Antonius-Hospital in Eschweiler, erhält rund 50 Angebote pro Tag, darunter einige, auf denen die chinesischen Produktionsstätten geschwärzt und damit nicht überprüfbar sind. Zertifikate sind aus dem Internet kopiert. Lediglich einmal habe er ein Muster erhalten, die Maske hatte aber nicht einmal einen Herkunftsstempel. "Das war eine bessere Kaffeefiltertüte mit zwei Gummibändern".
E-Mails, die Kliniken, Apotheker und Pflegedienste erhalten, sind von Händlern, die vor der Pandemie Kinderspielzeug, Neoprenanzüge oder Modeschmuck aus China importiert haben. Teilweise behaupten sie, "ehrenamtlich" helfen zu wollen. Aus China direkt kommen Angebote - natürlich gegen Vorkasse - die in Wahrheit Spam sind.
Berichte über Betrugsfälle in ganz Europa
Die Gewerbeaufsicht in Niedersachsen warnt vor einem "Fall von Betrug" durch einen fiktiven Arzneimittelgroßhändler aus Bremen. Die Firma verschicke ein gefälschtes Zertifikat, betroffene Firmen sollen sich an lokale Polizeibehörden wenden. Auch Europol berichtet von einem Betrugsfall, bei dem dringend benötigte Ware für mehr als sechs Millionen Euro in Singapur bestellt, jedoch nie geliefert wurde. Ähnliche Berichte gäbe es aus ganz Europa.
Aber auch seriöse Anbieter können nur zu völlig übersteigerten Preisen liefern: Aus internen E-Mails eines Zwischenhändlers, der in Nordrhein-Westfalen rund 20 Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen beliefert, lässt sich das Ausmaß der Preisexplosion nachvollziehen. Bis Mitte Februar konnte die Firma die hochwertigen FFP2-Atemschutzmasken noch zum Preis von 0,45 Euro pro Stück beziehen. Innerhalb weniger Tage stiegen die Preise erst auf zwei Euro, dann auf mehr als fünf Euro pro Stück.
Zuletzt erfolgte erneut ein drastischer Preisanstieg. Ein Fax eines Pharmagroßhändlers landete bei den Einkäufern der Firma. Darin hieß es: "Die Nachfrage nach FFP2-Masken ist in den letzten Tagen wieder deutlich gestiegen." Um diesem Nachfrageanstieg zu begegnen, habe man "erhebliche Mengen" eingekauft. "Sichern Sie sich Ihre Mengen, bevor diese wieder vergriffen sind." Die Masken wurden jetzt zum Preis von 13,52 Euro angeboten - pro Stück. Außerdem: "Bestellung nur in 10er-Mengen".
Einkaufspreis von Masken um 3000 Prozent gestiegen
Innerhalb weniger Tage kletterte damit der Einkaufspreis von FFP2-Atemschutzmasken um 3000 Prozent - von 0,45 Euro auf 13,52 Euro. Vor allem die Logistik aus China ist ein Problem. Der Transport ist im Zuge der Pandemie fast zum Erliegen gekommen. Außerdem ist die Versorgungslage in anderen Ländern zum Teil noch verheerender, beispielsweise in Spanien oder den USA. Sie alle konkurrieren um die Schutzausrüstung.
Einkäufer fordern daher die Bereitstellung von Bundeswehrflugzeugen, um große Mengen Schutzausrüstung kurzfristig aus China zu transportieren. Tatsächlich versuchen die Bundesregierung und Gesundheitsminister Jens Spahn in Berlin, die Situation wieder in den Griff zu bekommen. Der Staat kommt aber kaum hinterher. Schutzausrüstung, die an die Bundesländer verteilt wurde, kam offenbar lediglich in geringen Mengen in den Kliniken und Arztpraxen an, benötigt werden Millionen.
An einigen Orten in Deutschland machen diejenigen, die helfen wollen, die Erfahrung, dass Regierungsstellen, die die Beschaffung regeln sollen, nicht erreichbar sind oder auf Angebote nicht antworten. Jetzt stellt die Regierung drei Milliarden Euro zusätzlich für Schutzkleidung, Beatmungsgeräte und anderes mehr bereit. Um die Beschaffung zu beschleunigen, hat Spahn ein sogenanntes Open-House-Verfahren für Masken und Kittel gestartet. Der Staat soll zentral und zu festen Preisen ankaufen - sofern ein Hersteller mindestens 25.000 Masken oder Kittel liefern und einen Mindeststandard garantieren könne.
SPD-Gesundheitspolitiker Lauterbach fordert, dass der Bund die Produktion von Schutzausrüstung zentral steuert.
Anbieter im Vorteil
Verteilt werden soll das Material dann über die Bundesländer und die Kassenärztlichen Vereinigungen. Doch Open-House-Modelle funktionieren eigentlich nur, wenn der Markt funktioniert, das heißt, wenn Angebot und Nachfrage in einer Balance sind. Wenn die Nachfrage - wie derzeit - viel höher ist als das Angebot, hat ein Anbieter eigentlich keinen Grund auf die niedrigeren Open-House-Preise einzugehen, solange er seine Ware an anderer Stelle für ein Vielfaches loswerden kann.
Der SPD-Politiker Lauterbach fordert, dass der Bund auch die Produktion zentral steuern muss, über eine Bundesagentur, die Firmen in Deutschland beauftragt. Aus seiner Sicht könnten so in wenigen Monaten etwa ausreichend Atemschutzmasken hergestellt werden, ohne auf Lieferungen aus dem Ausland angewiesen zu sein.