Blutplasma-Handel Dollar gegen Gesundheit
Tausende Mexikaner überqueren regelmäßig die Grenze in die USA, um für Geld Blutplasma zu spenden. Eine Recherche von SWR, NDR und SZ zeigt, wie Pharmafirmen das Wohlstandsgefälle zwischen den Ländern nutzen. Auch Deutschland profitiert davon.
Menschliches Blutplasma ist ein wichtiger Rohstoff der Pharmaindustrie. In den vergangenen Jahren hat sich weltweit ein Milliardenmarkt darum entwickelt. Gespeist wird er vor allem aus den USA. An der Grenze zwischen den USA und Mexiko hat sich ein regelrechter Spendentourismus entwickelt. Mindestens 10.000 Mexikaner pro Woche überqueren die Grenze, um in den USA zu spenden - gegen Geld. Das zeigt eine Analyse von firmeninternen Dokumenten, die Reporter von SWR, NDR und "Süddeutscher Zeitung" (SZ) vorliegen. Über den Exportweg gelangt das Plasma aus den USA auch nach Deutschland.
Ein Jahr lang haben Reporter im Umfeld der Konzerne in den USA, Mexiko und Europa recherchiert und dazu Dutzende Spender, ehemalige und aktuelle Mitarbeiter befragt. Aus deren Schilderungen und internen Unterlagen aus der Branche ergibt sich das Bild eines Marktes, der Profit über den Spenderschutz stellt und systematisch in Kauf nimmt, dass Menschen sich gesundheitlichen Gefahren und juristischen Risiken aussetzen.
Unterschiedliche Vorschriften in verschiedenen Ländern
Im Gegensatz zu einer Vollblutspende wird bei der Plasmaspende nur der flüssige Bestandteil des Blutes entnommen. Daraus lassen sich Arzneien gegen chronische Immunerkrankungen, zur Krebstherapie und für die Notfallmedizin herstellen. Plasma wird vom Körper zügig regeneriert, ein Mensch kann daher deutlich häufiger Plasma als Vollblut spenden.
Während der Europarat bislang vorschlägt, dass Spender 33 Mal im Jahr Plasma spenden sollten und Deutschland bis zu 60 Spenden zulässt, darf ein US-Spender zwei Mal pro Woche, also 104 Mal pro Jahr spenden. Anders als in Deutschland ist in US-Spendenzentren kein Arzt dauerhaft vor Ort, und zentrale Blutwerte der Spender werden deutlich seltener überprüft. Das so gewonnene Plasma darf, trotz der unterschiedlichen Standards, dennoch nach Deutschland und Europa importiert werden.
US-Firmen locken Mexikaner mit Geld
So ermöglicht die US-Gesundheitsbehörde FDA einen lukrativen Markt für kommerziell betriebene Spendenzentren. Dort werden Spender mit hohen Geldsummen und Bonusprogrammen gelockt, um möglichst häufig Blutplasma abzugeben. Während in Mexiko das Spenden gegen Geld verboten ist, locken bis zu 400 US-Dollar im Monat für Dauerspender in den USA.
Zum Vergleich: Der Mindestlohn in der Grenzstadt Ciudad Juarez liegt bei umgerechnet rund neun US-Dollar am Tag. Mexikanische Spender werden in spanischer Sprache mit Flyern, in sozialen Medien oder im Radio angesprochen. Wer Freunde oder Bekannte zu einer Spende animiert, kann ebenfalls eine finanzielle Belohnung bekommen.
Dauerspender gefährden ihre Gesundheit
Das Wohlstandsgefälle erzeugt in vielen Fällen eine finanzielle Abhängigkeit, die dazu führt, dass Dauerspender womöglich Vorerkrankungen und gesundheitliche Beschwerden bei der Spende verheimlichen, um die Bonuszahlungen nicht zu verlieren. Das vermuten ehemalige Mitarbeiter der Plasmakonzerne.
"Ich würde die Kulisse mit der einer Fabrik vergleichen", sagte eine Insiderin über die grenznahen Spendezentren des spanischen Pharmakonzerns Grifols. Grifols-Mitarbeiter von fünf Zentren entlang der Grenze schätzten, dass bis zu 90 Prozent der Spender dort aus Mexiko kommen. Das Unternehmen gehört zu den wichtigsten Akteuren im Plasmageschäft. Auf Anfrage sagte die Firma: "Unsere oberste Priorität ist immer Gesundheit, Sicherheit, Wohlergehen und Würde unserer Spender." Woher ein Spender komme, sei unerheblich.
US-Plasma kommt auch nach Europa
Unternehmensfreundliche Gesetze in den USA sorgen dafür, dass das Land zum wichtigsten Player im weltweiten Plasmamarkt geworden ist. 41 Millionen Liter haben US-amerikanische Zentren im vergangenen Jahr gesammelt, rund die Hälfte wurde exportiert - vor allem nach Europa. In Deutschland wurden 2018 mehr als 3,2 Millionen Liter Plasma durch Spenden gewonnen.
Gut 800 Spendezentren haben in den USA aktuell eine Lizenz der Gesundheitsbehörde, 43 davon befinden sich in der Nähe zur mexikanischen Grenze. Interne Unterlagen zeigen: Die Grenzzentren gehören, auch wenn sie nur einen kleinen Teil der Plasmaindustrie ausmachen, zu den produktivsten des Landes. Die Unterlagen geben Einblick in die Auslastung der Grifols-Zentren über zwei Wochen im Jahr 2018. Sie belegen, dass das wichtigste Grenzzentrum in dieser Zeit pro Tag rund 600 Spenden annahm, während der Durchschnitt aller Zentren bei etwa 170 Spenden am Tag lag.
Drei Firmen beherrschen den Plasmamarkt
Es sind vor allem drei Unternehmen, die den Spendenmarkt an der Grenze unter sich aufgeteilt haben: Neben Grifols betreibt dort der australische Konzern CSL mehrere Zentren, zu dem auch die deutsche CSL Behring gehört und die Firma BPL, die Großbritannien mit Blutplasma versorgt.
Keine der Firmen war zu einem Interview bereit. Auf einen ausführlichen Fragenkatalog antworteten sie mit allgemeinen Stellungnahmen. Alle Konzerne sagten, dass sie sich an alle gesetzlichen Vorgaben hielten. CSL erklärte, man arbeite "täglich hart daran, die Sicherheit von Spendern, unserer Mitarbeiter und des Plasmas sicherzustellen".
Deutschland Drehscheibe für Plasma
Nach Deutschland gelangten 2018 mehr als sechs Millionen Liter Blutplasma aus den USA, vor allem weil große Pharmafirmen das Plasma hier weiterverarbeiten - für den inländischen Markt und den erneuten Export. Auch aus den Grenzzentren landet Plasma in Deutschland.
Zahlen des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI), Deutschlands Behörde für die Sicherheit biomedizinischer Arzneimittel, zeigen, dass die Spendenbereitschaft hierzulande seit einigen Jahren stagniert, während der Bedarf stetig wächst. Der Verbrauch steigt auch, weil immer neue Arzneien auf Grundlage von menschlichem Blutplasma auf den Markt kommen.
Dauerspender gefährden Gesundheit
Pharmazeutisch verwerten lassen sich aus dem Blutplasma vor allem die Immunglobuline, Proteine, die die Abwehrkräfte des Körpers bilden. Regelmäßiges Plasmaspenden bedeutet also, dem Körper in häufiger Abfolge die Abwehrkräfte zu entziehen.
Wozu das führen kann, zeigt das Beispiel von zwei mexikanischen Dauerspendern, die Reporter ein Jahr lang begleitet haben. Genesis, 21 Jahre alt, spendet seit drei Jahren regelmäßig in den USA. Sie kämpft häufig mit Schwindel, fühlt sich schwach, und verliert an Gewicht, ohne dies zu wollen, berichtet sie. "Ich bin ständig müde und habe kaum noch Kraft, leichte Dinge anzuheben, und habe Probleme mit meinen Muskeln", sagt Genesis. Ihr Vater Gamaliel ist seit neun Jahren Dauerspender. Er glaubt, gesundheitlich gut damit zurecht zu kommen.
Eine Blutanalyse zeigt, dass beide an einem Mangel an Immunglobulinen leiden. Vor allem das wichtige Immunglobulin G liegt bei beiden unterhalb des Grenzwerts, mit dem sie in Deutschland hätten Plasma spenden dürfen. In den USA wird dieser Wert nur alle vier Monate überprüft und es gibt keinen gesetzlich festgeschriebenen Mindestwert, beide dürfen also weiterhin spenden.
Permanente Schäden möglich
Es sei "sehr unwahrscheinlich", dass Genesis sich erhole, wenn sie mit dem Spenden so weiter mache, sagte Christian Cumplido, der Arzt, der die Blutuntersuchung vorgenommen hat. Genesis drohten sogar "schlimmere Konsequenzen: Infektionen, die jedes Mal ernster sind, wie eine Bronchitis, eine Lungenentzündung - weil die Abwehrkräfte fehlen".
Juristische Grauzone
Zusätzlich zur gesundheitlichen Belastung fürchten Spender wie Genesis und Gamaliel juristischen Ärger mit den US-Behörden. "Wenn du an einen schlecht gelaunten Officer gerätst, dann können sie dir das Visum wegnehmen", sagt Gamaliel. Denn das Gesetz verbietet es, mit einem Besuchervisum in den USA Geld zu verdienen. Ob bezahlte Plasmaspenden darunterfallen, ist bislang nicht ausdrücklich geregelt, sagte das US-Außenministerium auf Anfrage. Die Pharmafirmen akzeptieren diese Visa bei der Registrierung zur Spende.
Deutsche Prüfer sehen keine Probleme
Deutsche Gesundheitsinspektoren schicken eigens Kontrollgruppen in die USA, um die Zentren zu inspizieren - das ist eine der Voraussetzungen dafür, dass das Plasma in den europäischen Markt gelangen darf. Die Zuständigkeit ergibt sich über den Standort der importierenden Firmen: Das Regierungspräsidium Darmstadt kontrolliert alle rund 220 Spendenzentren, die zur CSL-Gruppe gehören, sowie Einrichtungen von der Firma Biotest. Beide Unternehmen verarbeiten Blutplasma in Hessen.
In einer Stellungnahme erklärte die Behörde, man habe in den Grenzzentren keine Auffälligkeiten feststellen können. Das Paul-Ehrlich-Institut nimmt sowohl an den Inspektionen des Regierungspräsidiums, als auch Kontrollen der Europäischen Arzneimittelagentur Teil - 2018 wurden 36 Spendenzentren in den USA inspiziert, drei davon in unmittelbarer Nähe zur Grenze.
Aus Sicht der Arzneimittelsicherheit gäbe es an den Spendenzentren in den USA nichts zu beanstanden, sagen sowohl das PEI als auch das Regierungspräsidium Darmstadt. Ob das Vorgehen der Firmen an der Grenze ethisch-moralisch vertretbar sei, "unterliegt nicht unserer behördlichen Kontrolle", sagte der Leiter des PEI, Klaus Cichutek, im Interview.