Mangelnde Befugnisse, fehlende Medikamente Wenn Notfallsanitäter nicht helfen dürfen
Notfallsanitäter sind die ersten Helfer vor Ort und retten Leben. Doch ihre Befugnisse sind beschränkt - bundesweit mit großen Unterschieden, wie Recherchen von Report Mainz zeigen. Experten fordern einheitliche Standards.
Raphael Bronstein ist Notfallsanitäter in München. Er darf Patienten nur wenige Medikamente geben, ohne einen Notarzt nachzufordern. Wie vor einigen Wochen, als er zu einem Patienten mit einer schweren Magen-Darm-Blutung gerufen wurde. Blass, kaltschweißig und im beginnenden Schock habe er den Patienten vorgefunden. Hinzu kam, dass dieser schwerer Bluter gewesen sei.
"Das Ganze war eine lebensbedrohliche Situation, muss man ganz deutlich sagen," erzählt der Notfallsanitäter. Außerdem habe der Patient einen Notfallausweis im Geldbeutel gehabt - eine schriftliche Empfehlung, im Notfall ein bestimmtes Medikament zu verabreichen: Tranexamsäure, ein Mittel, um die Blutung zu verringern, so Bronstein.
Angst vor arbeitsrechtlichen Konsequenzen
Die Gabe von Tranexamsäure habe er in seiner Ausbildung gelernt, sagt der Notfallsanitäter. Dennoch habe er überlegen müssen, denn in Bayern dürfen Notfallsanitäter dieses Medikament nur geben, wenn sie über den regulären Aus- und Fortbildungsumfang deutlich hinausgehende Bildungsmaßnahmen durchlaufen haben. Ob seine zahlreichen Fortbildungen ausreichen, habe ihm noch niemand eindeutig erklären können.
Sich überhaupt die Frage stellen zu müssen, sei ein Problem, sagt er: "Eigentlich gibt es Situationen, in denen man weniger darüber nachdenken sollte, was man gerade darf, sondern was der Patient braucht." Bronstein entschied, das Medikament zu geben. Andere Kollegen hätten in solchen Situationen wahrscheinlich anders gehandelt, erzählte er. Aus Angst vor arbeitsrechtlichen Konsequenzen.
Bundesweiter Flickenteppich an Regelungen
Dabei gilt seit 2014 das Notfallsanitätergesetz. Dies erlaubt, "um Lebensgefahr oder wesentliche Folgeschäden" abzuwenden, auch eine selbstständige Gabe von Medikamenten durch die Notfallsanitäter. Vorausgesetzt, sie haben es in der Ausbildung gelernt. Dazu wurde eigens die Ausbildung bundesweit vereinheitlicht.
Die Probleme bestünden aber weiter, kritisieren Experten. Denn der Rettungsdienst ist noch immer durch 16 einzelne Landesgesetze geregelt. Meistens sind Landkreise und Städte die Träger des Rettungsdienstes. Pro Rettungsdienstbezirk gibt es fast überall einen sogenannten Ärztlichen Leiter Rettungsdienst. Dieser bestimmt unter anderem auch, welche Medikamente Notfallsanitäter geben dürfen.
Unterschiede bei Medikamentengabe
Wie groß dabei deutschlandweit die Unterschiede sind, zeigt eine nicht-repräsentative Umfrage von Report Mainz. Auf Anfrage in bundesweit 299 Rettungsdienstbereichen hat das ARD-Politikmagazin 120 Antworten erhalten.
Im Umfrage-Durchschnitt sind 17 Medikamente zur Gabe durch Notfallsanitäter freigegeben, ohne dass ein Notarzt hinzugerufen werden muss. Die Zahlen liegen jedoch weit auseinander. Im Rettungsdienstbezirk Nordfriesland sind es beispielsweise 38 Medikamente. In Bayern dürfen Notfallsanitäter landesweit nur vier Medikamente geben, ohne einen Notarzt nachzufordern. In Bottrop in Nordrhein-Westfalen ist es sogar nur ein einziges Medikament.
Verstecken von Medikamenten unter Fahrersitz
Was dies in der Praxis bedeutet, erklären Notfallsanitäter aus ganz Deutschland in Interviews mit Report Mainz. Die Beschreibungen reichen von heimlich unter dem Fahrersitz versteckten Medikamenten über selbst beschaffte Materialien zur Notfallversorgung im Wert von mehreren Hundert Euro bis hin zu Notfallsanitätern, die sich weigern, in einzelnen Bezirken zu arbeiten, weil wichtige Ausstattung fehle.
Marco König, Vorsitzender des Deutschen Berufsverbandes Rettungsdienst, kritisiert im Interview mit Report Mainz: "Das System Ärztlicher Leiter Rettungsdienst, so wie es jetzt ist, ist gescheitert." Er spricht von "Standesdünkel" und kritisiert, dass noch immer die Kompetenzen der Notfallsanitäter in Frage gestellt würden. Er fordert mehr einheitliche Standards.
Experte fordert einheitliche Standards
Auch Gesundheitsökonom Prof. Christopher Niehues von der FH Münster plädiert für bundeseinheitliche Mindeststandards, die überall verpflichtend gelten. "Für einige werden bundeseinheitliche Vorgaben ungemütlich werden. Aber wir dürfen nicht von einem kleinen Teil bestimmen lassen, dass die Notfallversorgung so heterogen bleibt."
Prof. Alex Lechleuthner, Vorsitzender des Bundesverbands der Ärztlichen Leitung Rettungsdienst Deutschland e.V., warnt vor einer absoluten Gleichschaltung, befürwortet aber landesweit einheitliche Vorgaben. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hat kürzlich Reformen im Rettungsdienst angekündigt. Dazu gibt es verschiedene Vorschläge, die Bund und Länder gerade verhandeln.