Sexueller Missbrauch Minderjähriger "Sugardaddys" kaufen Sex mit Teenagern
Ältere Männer nutzen Plattformen wie "MySugardaddy" gezielt, um sexuelle Kontakte zu Minderjährigen anzubahnen. Das zeigen SWR-Recherchen. Die Jugendlichen werden nur unzureichend vor Übergriffen geschützt.
Champagner trinkende Pärchen; romantische Zweisamkeit im Spa, gemeinsam Schmuck shoppen oder Partys - wer die Plattform "MySugardaddy" aufruft, dem springt das schöne Leben entgegen. Neben sepiagefilterten Hochglanzvideos von attraktiven Paaren prangt die Aufforderung: "Upgrade your lifestyle".
Sie richtet sich an junge Frauen, die gegen Taschengeld, teure Klamotten und Besuche in Luxusrestaurants emotionale und meist sexuelle Beziehungen zu älteren Männern eingehen. "MySugardaddy" bezeichnet sich als "europaweit führende Sugar Dating Plattform", hat nach eigenen Angaben vier Millionen Mitglieder und boomt besonders seit der Corona-Pandemie.
Die Plattform wirbt damit, "erfolgreiche und stilvolle" Männer "in den besten Jahren" auf der Suche nach einem deutlich jüngeren "Sugarbabe" und "attraktive Frauen" auf der Suche nach einem gut situierten "Sugardaddy" zueinander zu führen.
Nährboden für sexuellen Missbrauch
Hinter der vermeintlich süßen Liaison zum beiderseitigen Vorteil und dem Versprechen eines glamourösen Lifestyles verbirgt sich jedoch oft eine bittere Wahrheit: Recherchen des Investigativformats Vollbild des SWR zeigen jetzt, dass Sugardating-Plattformen auch den Nährboden für sexuellen Missbrauch von Minderjährigen bilden.
Das Vollbild-Rechercheteam legte über Wochen verschiedene Fake-Profile auf der Plattform an - als "Sugarbabe" und als "Sugardaddy". Als vorgeblich 18-Jährige meldet sich eine Reporterin mit wenigen Klicks auf mysugardaddy.com an.
Zwar muss man bei der Registrierung das Geburtsdatum angeben, man kann aber kein Datum auswählen, das nicht mindestens 18 Jahre zurückliegt. Das Mindestalter zu umgehen ist also ein Kinderspiel. Nach einer Minute steht das Profil ohne Altersverifikation, und die ersten männlichen Profile nehmen Kontakt auf. Das angegebene Alter der User: meist zwischen 40 und 60 Jahren.
"Sugardaddys" geben Missbrauch von Jugendlichen zu
Nach kurzen Chats mit "Sugardaddys" bestätigen die ersten von ihnen, auf der Plattform schon Minderjährige kennengelernt und für sexuelle Handlungen bezahlt zu haben. Das ist ein Straftatbestand: sexueller Missbrauch von Jugendlichen. Dazu heißt es in Paragraph 182 Absatz 2 Strafgesetzbuch: "Ebenso wird eine Person über achtzehn Jahren bestraft, die eine Person unter achtzehn Jahren dadurch missbraucht, dass sie gegen Entgelt sexuelle Handlungen an ihr vornimmt oder an sich von ihr vornehmen lässt."
Die Reporterin gibt einem "Sugardaddy" im Chat vor, sie sei noch 17. Für ihn stellt das kein Problem dar; er drängt sie trotzdem zu einem Treffen in einem Hotel in Berlin. Zuvor fragt er das vermeintlich minderjährige Mädchen, ob sie die Pille nehme und welche sexuellen Praktiken sie präferiere.
Auch gibt er zu, schon mehr als zehn minderjährige "Sugarbabes" über die Plattform kennengelernt und einige auch getroffen zu haben. Die jüngste, mit der er nach eigenen Angaben "etwas gehabt" habe, sei erst 14 Jahre alt gewesen. Über eine Bilderrückwärtssuche findet das Vollbild-Team heraus: Der 48 Jahre alte Mann ist ein ehemaliger Abgeordneter des Deutschen Bundestags, immer noch aktiver Politiker sowie Mandatsträger auf kommunaler Ebene.
Kein Schuldbewusstsein
Mit versteckter Kamera traf die Reporterin den "Sugardaddy" schließlich und gab sich als Journalistin zu erkennen. Sie konfrontierte ihn mit der Frage, warum er auf der Plattform nach Minderjährigen suche und weshalb er dieses Risiko eingehe. Doch der Politiker und Unternehmensberater zeigte kein Schuldbewusstsein. Die Minderjährigen wüssten, was sie täten. Zudem hätten beide Seiten kein Interesse daran, dass eine solche "Sugardaddy"-Beziehung öffentlich werde, weil beide ihren guten Ruf wahren wollten.
Als die Reporterin ihn darauf ansprach, dass es eine Straftat sei, Sex gegen Geld mit Minderjährigen zu haben, antwortete er ausweichend: Man könne darüber streiten, ob es wirklich diesen Zusammenhang gebe. Er suche Beziehungen "auf Augenhöhe" und biete Mentorenschaft. Ein Machtgefälle sehe er nicht. Die Nachfrage der Reporterin, was er dazu sage, Sex gegen Geld mit einem erst 14 Jahre alten Mädchen gehabt zu haben und ob er sich der Strafbarkeit bewusst sei, ließ er unbeantwortet.
Warnung vor Machtmissbrauch und Abhängigkeiten
Julia von Weiler sieht im "Sugardating" eine große Gefahr für Minderjährige und junge Frauen. Sie leitet die Organisation "Innocence in Danger", die sich gegen sexuellen Kindesmissbrauch engagiert. "Wenn ein junger Mensch auf einen sehr viel älteren Menschen trifft, dann haben wir es qua definitionem mit einem Gefälle zu tun - an Lebenserfahrung, an Macht, oft auch Definitionsgewalt, und finanzieller Übermacht. Damit entstehen Abhängigkeiten", so von Weiler.
Sie stellt auch in Frage, wie frei junge Menschen entscheiden: "Wenn die Person das aus einer Geldnot heraus macht oder aus einer wirklichen Zwangssituation heraus, ist das keine freiwillige Entscheidung."
Die Langzeitstudie eines dänischen Forschungsteams, für die rund 60 "Sugarbabes" befragt wurden, bestätigt diesen Eindruck. Nach anfänglich positiven Erfahrungen beim "Sugardating" hätten viele der "Sugarbabes" ihre persönlichen Grenzen immer weiter verschoben und seien in Abhängigkeitsverhältnisse gerutscht - aus Angst vor Gewalt, aber auch vorm Verlassenwerden, sagt die Leiterin der Studie, Professorin Jeanett Bjønness von der Universität Aarhus. Viele der "Sugarbabes" kämen aus komplizierten Familienverhältnissen und suchten beim Sugardating Geld und Anerkennung.
Fall Daniel B.: Missbrauch über Online-Plattformen angebahnt
Dass Männer gezielt minderjährige Mädchen auf "MySugardaddy" kontaktieren, um sie sexuell zu missbrauchen, zeigt auch ein aktueller Fall, der im Frühjahr am Landgericht in München verhandelt wurde. Der Angeklagte Daniel B. soll auf Online-Plattformen wie "MySugardaddy" mit Mädchen im Alter von 13 bis 16 Jahren geschrieben und teilweise sexuelle Handlungen an und vor ihnen vorgenommen haben.
Der Angeklagte wurde wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen in zahlreichen Fällen zu insgesamt drei Jahren und sechs Monaten Freiheitsstrafe verurteilt, hat aber Revision eingelegt. Das Urteil des Landgerichts ist noch nicht rechtskräftig, erklärt Laurent Lafleur, Gerichtssprecher am Münchner Oberlandesgericht.
Der Angeklagte hatte vor Gericht den Geschädigten immer wieder eine Mitschuld an seinen Taten unterstellt, weil sie sich auf Plattformen angemeldet hätten, die nur Volljährige nutzen dürfen. Diese Argumentation hatte das Gericht jedoch in seinem Urteil scharf kritisiert und zurückgewiesen.
Menschenhandel und Zwangsprostitution
Die Münchner Kommissarin Elisa Panuccio war Hauptermittlerin im Fall Daniel B. und ist spezialisiert auf die Bekämpfung sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche. "Es gibt auf keiner Plattform, die wir kennen, Sicherheit vor sexuellem Missbrauch. Es gibt keine Altersprüfung, es gibt keinerlei Verifizierung", kritisiert sie.
Das Bundeskriminalamt teilte auf Anfrage von Vollbild mit, dass die Plattform "MySugardaddy" "im Zusammenhang mit Menschenhandel und Zwangsprostitution in den Bundesländern bekannt" sei. Eine Altersverifikation durch die Betreiber der Plattform sei dem Bundeskriminalamt zufolge "wünschenswert".
Auch einige Landeskriminalämter bestätigen, dass sie Fälle sexuellen Missbrauchs kennen würden, die über "MySugardaddy" angebahnt worden seien. Das Bundesdigitalministerium antwortete auf Anfrage, eine strengere Altersverifikation sei nicht mit EU-Recht vereinbar. Das Bundesfamilienministerium teilte mit, die Plattformen sollten proaktiv nach minderjährigen Usern suchen und sie sperren.
Die Plattform "MySugardaddy" ließ bis Redaktionsschluss alle Fragen von Vollbild, trotz mehrmaliger Nachfragen, unbeantwortet.