Algenschaum am Strand der stürmischen Ostsee.
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PFAS-Chemikalien Hoch belasteter Meeresschaum an Nord- und Ostsee

Stand: 03.02.2025 05:00 Uhr

An der deutschen Küste gibt es hohe PFAS-Konzentrationen - das haben Messungen von Greenpeace ergeben, die dem SWR vorliegen. Kontakt mit Meeresschaum solle man vermeiden. Nachbarländer warnen schon.

Von Nick Schader, SWR

Wer an Stränden der Nord- oder Ostsee spazieren geht, sieht sie: Schaumberge, die sich vor allem dort bilden, wo die Wellen auf den Strand treffen. Häufig sieht man Kinder damit spielen oder Hunde darin herumtollen.

Das könnte sich ändern. Grund sind hohe Gehalte an sogenannten PFAS im Meeresschaum. Diese Chemikaliengruppe aus toxischen Fluorverbindungen gilt als hochproblematisch. Denn zum einen stehen zahlreiche PFAS-Verbindungen im Verdacht, krebserregend zu sein. Gleichzeitig werden PFAS in der Umwelt und auch im menschlichen Organismus praktisch nicht abgebaut, reichern sich also immer weiter an. Man findet PFAS heute in menschlichen Blutproben fast überall auf der Welt.

PFAS-Messungen mit alarmierenden Ergebnissen

Kürzlich sorgten Messungen in Dänemark und den Niederlanden bereits für Alarm, als dort sehr hohe PFAS-Konzentrationen im Meeresschaum entdeckt wurden. Die Umweltorganisation Greenpeace führte in den vergangenen Wochen solche Messungen erstmals auch an der deutschen Küste durch. Die Ergebnisse liegen dem SWR exklusiv vorab vor. Gemessen wurde an mehreren bekannten Badeorten, unter anderem auf den Inseln Sylt und Norderney oder an der Ostsee bei Boltenhagen und Kühlungsborn.

Die nach wissenschaftlichen Vorgaben durchgeführten Analysen decken sich mit den Ergebnissen der Nachbarländer. Auch an den deutschen Küsten wurden jetzt im Meeresschaum PFAS-Konzentrationen von bis zu 160.000 Nanogramm pro Liter gefunden. Zum Vergleich: Der dänische Grenzwert für Badegewässer liegt bei 40 Nanogramm. Der deutsche Meeresschaum lag demnach fast 4000-fach darüber.

Keine deutschen Grenzwerte

An fast allen gemessenen Orten fanden die Greenpeace-Wissenschaftler PFAS-Konzentrationen von mehreren 10.000 Nanogramm pro Liter. Am höchsten waren die Messergebnisse im Ostseebad Kühlungsborn (160.000 ng/l), gefolgt von Sylt (96.000) und Sankt Peter Ording (58.000). Auch in Boltenhagen an der Ostsee und Norderney an der Nordsee lagen die PFAS-Gehalte deutlich über 10.000 ng/l, so Greenpeace in seinem Bericht. Bei den vorangegangenen dänischen und niederländischen Messungen lagen die Werte auf vergleichbarem Niveau.

Deutsche Grenzwerte für PFAS in Meeresschaum oder Badewasser gibt es nicht. Würde man stattdessen die neue Trinkwasserverordnung zu Grunde legen, sind dort maximal 100 Nanogramm pro Liter erlaubt. In Dänemark und den Niederlanden warnen Behörden die Strandbesucher an einigen Orten seit Kurzem vor dem Kontakt mit Meeresschaum. Wissenschaftler gehen davon aus, dass sich PFAS im Meeresschaum aufgrund ihrer wasserabweisenden Eigenschaften besonders stark anreichern. Im Meerwasser selbst lagen die Konzentrationen um ein Vielfaches niedriger als im Schaum.

Kontakt mit Meeresschaum vermeiden?

Greenpeace-Deutschland warnt aufgrund der neuen Ergebnisse: "PFAS im Meeresschaum am Strand erhöhen die Exposition des Menschen gegenüber diesen giftigen Chemikalien, da der Schaum direkt mit der Haut in Berührung kommen, als Aerosol eingeatmet oder sogar versehentlich verschluckt werden kann, insbesondere von Kindern, die mit dem Schaum spielen", so der Untersuchungsleiter Julios Kontchou gegenüber dem SWR. "Strandbesucher sollten den Kontakt mit Meeresschaum vermeiden und darauf achten, dass Kinder und Haustiere nicht mit ihm in Berührung kommen."

Das deutsche Bundesumweltministerium teilte auf SWR-Anfrage mit, man sei sich der PFAS-Problematik bewusst: "Die Beschränkung von PFAS wird intensiv vorbereitet. Dazu haben die deutschen Behörden gemeinsam mit den Behörden aus Dänemark, den Niederlanden, Norwegen und Schweden in 2023 ein entsprechendes Beschränkungsdossier vorgelegt […]. Ziel des Vorschlags der Behörden ist es, die PFAS-Emissionen in die Umwelt deutlich zu reduzieren." Dieses Verfahren laufe derzeit noch.

Das Umweltministerium von Schleswig-Holstein unterstützt diese Pläne und teilte dazu mit, der Landtag habe bereits einstimmig beschlossen, "dass sich der Bund zusammen mit den Ländern Dänemark, Schweden, Norwegen und den Niederlanden für eine umfassende Beschränkung von Chemikalien aus der Gruppe der PFAS in der EU einsetzt." Schaumproben habe das Ministerium aber noch nicht analysiert und ließ daher offen, wie sich Strandbesucher nun verhalten sollten.

Niederländer kritisieren Deutschland scharf

PFAS werden unter anderem für die Herstellung von wasserabweisenden Beschichtungen für Pfannen, Outdoorbekleidung oder auch Verpackungen genutzt. Dass einige PFAS-Gruppen für den Menschen toxisch sind, ist mittlerweile unumstritten. Es gibt daher bereits internationale Vereinbarungen, einige dieser Stoffe aus der Umwelt zu verbannen.

Doch genau hierbei spiele Deutschland eine problematische Rolle, kritisiert der niederländische Wasserverband (RIWA) in einem Brandbrief an deutsche Ministerien aus dem Herbst 2024, der dem SWR vorliegt. Deutschland tue zu wenig, um die weitere Ausbreitung von PFAS zu verhindern.

Unverbindliche Orientierungswerte

Unter anderem aus deutschen Chemiewerken würden zu große Mengen an PFAS in den Rhein geleitet. Das gefährde das Trinkwasser für fünf Millionen Menschen in den Niederlanden, kritisiert der Direktor der niederländischen Flusswasserwerke, Gerard Stroomberg: "Nach unserer Auffassung verstoßen die deutschen Behörden gegen das Rheinübereinkommen und die Industrieemissionsrichtlinie, indem sie unverbindliche Orientierungswerte anstelle von rechtlich durchsetzbaren Emissionsgrenzwerten verwenden."

Man fordere daher von Deutschland, endlich verbindliche Grenzwerte für die Industrie für die Einleitung von PFAS festzulegen. "Durch die Festlegung klarer Grenzwerte für die Einleitung von Stoffen wird die Verantwortung dorthin verlagert, wo sie hingehört, nämlich in die Industrie, die diese Stoffe zur Erzielung von finanziellem Gewinn verwendet", so Stroomberg.

Auf SWR-Anfrage teilte des Bundesumweltministerium hierzu mit, dass sich Deutschland an die EU-Vorgaben halte. Strengere Regelungen für Industrie-Abwässer seien nicht vorgesehen. Aber man sei im Gespräch mit den Rhein-Nachbarn: "Der PFAS-Actionplan der EU-Kommission sieht hierzu vor, dass die weitere Ausbreitung der PFAS durch ein Zusammenspiel unterschiedlicher und aufeinander abgestimmter Maßnahmen und Regelungen verhindert wird."

Ob bald auch für deutsche Strände PFAS-Warnungen ausgesprochen werden, ist unklar. Konkrete Fragen des SWR, wie sich Strandbesucher nun verhalten sollen, ließ das Bundesumweltministerium unbeantwortet.