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Militärdiktatur in Brasilien VW betreibt Geschichtsklitterung

Stand: 20.05.2019 19:10 Uhr

VW hat in Brasilien der früheren Militärdiktatur geholfen, Regimegegner zu verfolgen. Das zeigten Recherchen von NDR, SWR und SZ vor zwei Jahren. Jetzt versucht sich das Unternehmen offenbar in Geschichtsklitterung.

Die Vergangenheit - sie holt ihn immer wieder ein. Die 1970er-Jahre, als der damalige VW-Arbeiter Lucio Bellentani gefoltert wurde. Bis heute verfolgen die Gräuel von damals den 74-Jährigen: "Ich wache manchmal schreiend auf. Immer dann, wenn ich mich tagsüber für die Aufarbeitung der Militärdiktatur eingesetzt habe. Auch heute Nacht war es so. Ich träumte, dass man mich - so wie damals - wieder verfolgt."

VW produzierte unter Diktatur problemlos

21 Jahre lang herrschten die Militärgeneräle in Brasilien diktatorisch. Sie schafften Wahlen ab, schlossen das Parlament und inhaftierten linke, politische Gegner, die für die Rückkehr zur Demokratie kämpften.

Damals läuft die Produktion bei Volkswagen Brasilien auf Hochtouren. Und: Es werden auch VW-Mitarbeiter inhaftiert - abgeführt direkt vom Werksgelände aus. So wie Lucio, der danach in einer Zelle mit Schlägen und der berüchtigten Papageienschaukel gefoltert wurde, nachdem ihn der VW-Werkschutz ausgeliefert hatte.

Der ehemalige brasilianische VW-Arbeiter Lucio Bellentani (74).

Wartet auf Gerechtigkeit: Lucio Bellentani.

"Der Werkschutz von VW spielte eine politische Rolle", erzählt Bellentani. "Wenn jemand ein Gewerkschaftsmitglied war, so wie ich, dann hat der Werksschutz Listen angefertigt mit den Namen und diese an den Repressionsapparat übergeben."

Historiker widerspricht Konzerndarstellung

Volkswagen hat dazu extra von einem Historiker eine Studie anfertigen lassen. Das Fazit: Der Konzern schiebt den schwarzen Peter einzelnen Mitarbeitern zu - und behauptet, das Unternehmen sei unschuldig. Angeblich habe man "keine Beweise für eine institutionelle Kooperation von VW Brasilien oder der VW-Leitungsebene mit dem brasilianischen Militärregime" finden können.

Dieser Darstellung widerspricht jedoch der Autor der VW-Studie, der Historiker Christopher Kopper von der Universität Bielefeld, vehement: "Ich habe ja Beweise gefunden, dass der Werkschutz mit der Geheimpolizei zusammenarbeitete. Und dass der Personalvorstand und mit Sicherheit auch der Vorstandsvorsitzende von VW Brasilien darüber jederzeit informiert war."

Der Historiker Christopher Kopper von der Universität Bielefeld.

Widerspricht der Darstellung von VW: Christopher Kopper.

VW betreibt augenscheinlich Geschichtsklitterung. Rückenwind dafür erhält der Konzern durch das neue politische Klima unter dem rechtsextremen Präsidenten Bolsonaro. Ein selbst erklärter Freund der Militärdiktatoren und der Folterer.

VW zu Bolsonaro: "Umschwung mit Chancen"

VW-Vorstand Andreas Renschler sieht unter Bolsonaro einen "wirtschaftlichen Umschwung, der Chancen" biete. Man dürfe nicht den "Anschluss verpassen". Und: Der Präsident der deutsch-brasilianischen Handelskammer wünschte Bolsonaro im Wahlkampf "viel Glück".

Zu VWs Rolle in der Diktatur ermittelt seit Jahren die brasilianische Staatsanwaltschaft. Dennoch hat der Konzern den Opfern bis heute keine Entschädigungen gezahlt - obwohl das auch die brasilianische Bundesstaatsanwaltschaft fordert.

VW soll Schuld eingestehen

Deshalb demonstriert Lucio mit Mitstreitern vor den Werkstoren. Ihre Forderung: VW müsse zu seiner Rolle während der Diktatur stehen, und Opfer wie Lucio entschädigen, bevor sie sterben. "Wir müssen als Volk für unsere Würde kämpfen. Und für die Würde der brasilianischen Arbeiter", so Bellentani. Lucio will so lange weiterkämpfen - bis VW seine Schuld als Unternehmen eingesteht.

Klage gegen VW in Brasilien
Volkswagen muss sich neben dem Abgas-Skandal auch mit einer anderen Affäre auseinandersetzen: In Brasilien wurde gegen den Autobauer eine Zivilklage eingereicht. Der Vorwurf: VW soll während der Militärdiktatur zwischen 1964 und 1985 die Folter und illegale Festnahme von Mitarbeitern hingenommen haben. Zwölf ehemalige Mitarbeiter des VW-Werks in São Bernardo do Campo sollen laut Anklage festgenommen und gefoltert worden sein. Dutzende Mitarbeiter seien auf schwarzen Listen geführt worden. Das "Arbeiterforum für Wahrheit, Gerechtigkeit und Reparation" hatte die Klage angestrengt. Sie fordern eine kollektive Entschädigung. Das Arbeiterforum war 2012 von Brasiliens linksgerichteter Staatschefin Dilma Rousseff eingesetzt worden, um die Verbrechen während der Militärdiktatur zu untersuchen.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete das ARD-Mittagsmagazin am 20. Mai 2019 um 13:00 Uhr.