Gerichtsprozess VW bestreitet Mitverantwortung am Klimawandel
Ein Biobauer und Greenpeace werfen VW vor, durch den Verkauf klimaschädlicher Autos für Umweltschäden verantwortlich zu sein. Laut Gerichtsunterlagen, die dem SWR und der "Zeit" vorliegen, sieht VW die Verantwortung fast ausschließlich bei den Autofahrern.
In der von Greenpeace unterstützten Umweltklage eines Biobauern gegen Volkswagen hat der Automobilkonzern vor dem Landgericht Detmold zum Gegenschlag ausgeholt: Aus den Gerichtsunterlagen geht hervor, dass VW eine grundlegende Verantwortung für Schäden, die durch Klimawandel entstehen, bestreitet.
Vielmehr seien die Autofahrer maßgeblich dafür verantwortlich. Wörtlich heißt es dazu bei VW: "Die der Beklagten zugeschriebenen CO2- Emissionen entstehen […] zu etwa 99% nicht in ihrer Sphäre, sondern durch eine eigenverantwortliche und eigennützige Verwendung der Fahrzeuge durch die Nutzerinnen und Nutzer."
In dieser Argumentation sieht der Umweltrechtsexperte Prof. Martin Führ, Gutachter im Abgas-Untersuchungsausschuss des Bundestages, ein Abschieben der Verantwortung: "Diejenigen, die VW-Pkw's kaufen und nutzen, können dies nur mit den Produkten tun, die VW herstellt. VW hat seit Jahren das überlegene Wissen und Können, deutlich verbrauchsärmere und damit auch klimaschonende Fahrzeuge herzustellen." VW habe aber, wie andere Hersteller auch, darauf gesetzt, höher motorisierte, schwerere und letztlich gewinnträchtigere Fahrzeuge auf den Markt zu bringen, sagte Führ im Interview mit dem SWR.
VW sieht keine direkten Auswirkungen auf das Eigentum des Klägers
VW widerspricht dem klagenden Biobauern, dass Autos mit Verbrennungsmotoren seinem Eigentum direkt schaden würden. Der Landwirt hatte in seiner Klage erklärt, dass durch den Klimawandel vermehrt Dürren und Hitzewellen auftreten. Dadurch würden vor allem seine Waldflächen, aber auch seine Getreideäcker stark geschädigt. Dies zeige sich erneut sehr dramatisch in der momentanen Hitzewelle.
Es gehe ihm aber nicht um Schadenersatz, sondern in erster Linie um den Schutz des Klimas für zukünftige Generationen. Dem entgegnet VW in seiner Klageerwiderung, dass man nicht ein einzelnes Unternehmen direkt für die Klimaschäden verantwortlich machen dürfe. Zudem beziehe sich der Kläger auf "Phänomene, die - Häufigkeit und Intensität dahingestellt - auch unabhängig vom Klimawandel auftreten. Dürreperioden und mangelnde Bodenfeuchte gab es auch zu vorindustriellen Zeiten."
Experten wie der Ingenieurwissenschaftler Prof. Volker Quaschning von der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin sehen das anders: "Es ist über die Attributionsforschung wissenschaftlich möglich, auch aktuelle Dürren und resultierende Waldschäden dem Klimawandel zuzuordnen. Daher ist die Aussage von VW falsch, dass die Klimaveränderungen, die durch Verbrennerfahrzeuge entstehen, keine direkte nachweisbare negative Wirkung auf das Eigentum des Bauern haben."
VW fordert Politik zum Handeln auf
Dem SWR erklärte der Konzern, Volkswagen stehe für Klimaschutz und eine schnelle Dekarbonisierung, aber VW könne die Herausforderung nicht allein bewältigen. Daher sei neben einem anderen Käuferverhalten auch eine "staatliche Regulierung wichtig".
In der Klageerwiderung von VW heißt es weiter: "Regierung und Parlament sind dabei demokratisch legitimiert (…) normative Entscheidungen zu treffen." Brisant allerdings: Interne Dokumente, über die der SWR erstmals zum Verfahrensauftakt im Mai berichtet hatte, legen nahe, dass VW in der Vergangenheit erheblichen Einfluss auf die Politik ausgeübt hat, um schärfere Umweltrichtlinien zu verhindern.
VW-Modelle mit hohem Co2-Ausstoß
Als Beleg für seine Klimaschutzbemühungen führt VW in seiner Klageerwiderung zudem an, dass man alle gesetzlichen Vorgaben der EU bezüglich des CO2-Ausstoßes einhalte. Der EU-Zielwert für CO2 liegt bei 95 Gramm, den die Fahrzeuge eines Herstellers im Durchschnitt einhalten müssen. Doch die Autoverbände hatten über diesen Wert hinaus mögliche Zuschläge und Ausnahmeregelungen ausgehandelt, zum Beispiel für Elektroautos oder besonders schwere Autos, so dass in der Praxis jeder Hersteller den Zielwert überschreiten darf.
VW liegt im Durchschnitt aktuell nach eigenen Angaben bei rund 118 Gramm CO2 und damit offiziell im Soll. Allerdings zeigen SWR-Berechnungen auf Grundlage von Verkaufs- und Herstellerangaben: Die meistverkauften VW-Modelle mit Verbrennungsmotor liegen deutlich über dem Zielwert der EU. Die Golfmodelle stoßen im Durchschnitt rund 130 Gramm CO2 pro Kilometer aus, der SUV T-Roc durchschnittlich 150 und die aktuellen Passatmodelle im Schnitt mehr als 170 Gramm.
Das kritisiert auch Greenpeace. Der Konzern sei weltweiter Spitzenreiter im Verkauf der besonders klimaschädlichen SUVs. Volkswagen sei daher mitschuldig daran, dass der Verkehrssektor seine Treibhausgas-Emissionen zwischen 1990 und 2019 überhaupt nicht reduziert habe. Damit verstoße der Konzern gegen die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens.
"VW greift in den Giftschrank der Klimaleugnung"
Die Umweltorganisation Greenpeace übt auch vor dem Hintergrund der Klageerwiderung und der anstehenden Entscheidung des Landgerichtes in Detmold scharfe Kritik an den Argumenten des Automobilkonzerns: "VW greift ganz tief in den Giftschrank der Klimawandelleugnung. Die Anwältinnen und Anwälte des Konzerns versuchen seit Jahren, belegte Klimawissenschaft in Zweifel zu ziehen. Sie verdrehen bewusst wissenschaftliche Erkenntnisse zum Zusammenhang zwischen Wetterextremen wie Dürren und dem menschengemachten CO2-Ausstoß. All das steht in drastischem Widerspruch zum Image des ökologischen Vorreiters, das VW in der Öffentlichkeit sucht", meint der Mitkläger und Greenpeace-Geschäftsführer Martin Kaiser.
VW teilte dem SWR mit, der Konzern stehe zu seiner Verantwortung, die CO2-Emissionen so schnell wie möglich zu reduzieren: "Als einer der ersten Automobilhersteller hat sich Volkswagen 2018 zum Pariser Klimaabkommen bekannt und will spätestens 2050 bilanziell CO2-neutral sein." Die Marke Volkswagen werde in Europa zwischen 2033 und 2035 das letzte Fahrzeug mit Verbrennungsmotor verkaufen.
Das Landgericht Detmold will am 9. September Klarheit darüber schaffen, wie es mit dem Verfahren weitergeht.