EU-Beitrittsverhandlungen mit Ukraine Ein zu großes Versprechen
Die EU-Kommission würde am liebsten sofort Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine beginnen. Doch dabei übersieht sie zahlreiche Probleme: den Krieg, das EU-Einstimmigkeitsprinzip - und vor allem die Agrarsubventionen.
Nun macht die Europäische Kommission offiziell, was ihre Präsidentin Ursula von der Leyen schon seit vielen Monaten bei jeder Gelegenheit mehr oder weniger offen und deutlich sagt: Die Ukraine gehört nicht nur zu Europa, sie soll auch Teil der Europäischen Union werden. Wenn es nach der Kommission geht, dann dürfen Beitrittsverhandlungen jetzt beginnen. Also quasi unverzüglich.
Nun weiß man in der Kommission natürlich, dass die Europäischen Verträge hier die Zustimmung der Mitgliedsstaaten, derzeit bekanntlich 27, voraussetzen - und in dem Fall: aller Mitgliedsstaaten. Aber auch das, so sieht es heute jedenfalls aus, betrachten sie in Brüssel mehr oder weniger als Formsache.
Viele Ungewissheiten wegen des Krieges
Man könnte deshalb auch sagen: Die Kommission geht hier recht forsch vor. Zu forsch. Sie macht nämlich einem sehr großen Land in Osteuropa ein sehr großes Versprechen - das Versprechen, womöglich schon bald Teil der Europäischen Union zu werden. Einem Land, das sich mitten in einem zerstörerischen und kostspieligen Krieg befindet und von dem es noch bis vor kurzem hieß, die staatlichen Strukturen seien dort - nun ja - zumindest problematisch, gerade mit Blick auf Korruption und Intransparenz, auch wenn sich da offensichtlich einiges verbessert hat. Einem Land übrigens auch mit einem Präsidenten, der Wahlen dort derzeit für unangebracht hält wegen des Krieges.
Die Ukraine und der Krieg - kein Mensch weiß, wie lange dieser Krieg noch dauert, wie viele Menschen dabei noch ihr Leben, ihre Gesundheit, ihr Zuhause verlieren, was er noch alles zerstören wird. Und kein Mensch weiß deshalb auch, was ein Wiederaufbau kosten wird, geschweige denn: Wie die Ukraine am Ende des Krieges eigentlich geographisch aussieht: Ob sie genau so groß ist wie heute oder vielleicht doch kleiner, deutlich kleiner?
Ukraine würde alle Agrarsubventionen aufsaugen
Was man aber weiß ist: Die Ukraine heute ist vor allem ein von der Landwirtschaft geprägter Staat. Fast ein Zehntel ihres Bruttoinlandsproduktes kommt von dort. In den meisten EU-Staaten liegt dieser Wert deutlich unter drei Prozent. Die landwirtschaftliche Nutzfläche der Ukraine ist alleine so groß wie ein Drittel der landwirtschaftlichen Fläche der gesamten EU - das heißt: riesig!
Die Ukraine als EU-Mitglied würde alle landwirtschaftlichen Subventionen aus Brüssel quasi aufsaugen, ohne dass für die anderen 27 noch nennenswert etwas übrig bliebe - jedenfalls dann, wenn man Finanzierung und Umverteilung der Gelder in der Europäischen Union nicht grundlegend neu organisieren würde.
Genau das müsste man aber tun, um zu verhindern, dass es in einer solchen EU wahrscheinlich nur noch Nettozahler geben würde und nur noch einen Netto-Empfänger: die Ukraine nämlich. Für ein Europa, in dem sich die Staats- und Regierungschefs schon heute über die Finanzen streiten wie die Kesselflicker, eine ungeheure Herausforderung. Und von einem Wiederaufbau des Landes ist dabei noch gar keine Rede.
Eher ein Signal an Moskau
Diese Risiken benennt die Kommission nicht, wenn sie heute den Beginn von Beitrittsverhandlungen mit dem Land im Krieg empfiehlt. Sicher, es würde nicht gut aussehen. Denn zu vermuten ist, dass es der Kommission gar nicht so sehr darum geht, hier ein auch nur halbwegs realistisches Zukunftsszenario zu entwerfen, sondern vielmehr eine klare Botschaft auszusenden - nach Kiew und nach Moskau zugleich: dass man als EU die Ukraine nicht im Stich lassen wird, im Gegenteil.
So richtig das sein mag, so fahrlässig ist es trotzdem, offensichtliche Schwierigkeiten einfach zu verschweigen. Weil man damit Gefahr läuft, unerfüllbare Erwartungen zu wecken, die dann eines Tages bitter enttäuscht werden müssen. Das könnte die ukrainische Europa-Euphorie schnell ins Gegenteil verkehren und die Europäische Union ernsthaft destabilisieren. Es wäre ein böses Erwachen aus Träumen von einem neuen, großen und endlich friedlichen Europa. Vor allem für die Ukraine, aber auch für die EU.