Europas Flüchtlingspolitik Keine Lösungen, nur Schuldzuweisungen
Migration ist eine der größten Herausforderungen Europas, doch Brüssel ist in der Flüchtlingspolitik jahrelang keinen Schritt vorangekommen. Die EU finde keine Lösungen, nur Schuldzuweisungen.
Europa schaut auf den Notstand auf Lampedusa - wie in den Monaten zuvor auf Bootsunglücke vor der Westküste des Peleponnes, oder vor der Küste Kalabriens. Die Liste ist bedrückend lang. Und Europa findet keine Antwort, nur Schuldzuweisungen.
Kein Wunder: Jahrelang ist die EU - auch wegen Blockaden, Streit und völlig unterschiedlicher Interessenslagen in den 27 Mitgliedsstaaten kaum einen Schritt vorangekommen in der Flüchtlingspolitik - und wenn doch, ging es anschließend wieder zwei zurück.
Jüngstes Beispiel: Im vergangenen Sommer haben einige EU-Staaten, auch Deutschland, erklärt, freiwillig Kontingente von Geflüchteten aufzunehmen, die mit dem Boot nach Südeuropa, allen voran nach Italien kommen. Jetzt rudert auch Deutschland zurück und wirft Italien den Verstoß gegen Dublin-Regeln vor. Also gegen Asylverfahrens-Regeln, die seit Jahren - für jeden sichtbar - an den realen Herausforderungen vorbeigehen.
Brüssel setzt auf Aktionismus
Und Brüssel? Setzt seit einigen Monaten auf Aktionismus: Abkommen mit Drittstaaten werden als Lösung gepriesen. Hunderte Millionen Euro an nordafrikanische Staaten, damit sie Fluchtwillige an der Überfahrt hindern - so der Plan der EU-Kommission, unterstützt vor allem von konservativen Fraktionen im Europaparlament. Aber kann das funktionieren?
Mit Tunesien - dem Staat, von dem etwa 60 Prozent der Überfahrten nach Italien starten - hat die EU vor zwei Monaten eine Migrationsvereinbarung abgeschlossen. Von der ist längst nicht klar, ob sie diesen Namen überhaupt verdient. Der autoritäre Machthaber Tunesiens, Kais Saied, der auch mal Geflüchtete aus Subsahara-Afrika quasi ohne Wasser zurück in die Wüste bringen lässt - lässt sich von den ersten gut 100 Millionen an EU-Geldern und der Aussicht auf mehr nicht beeindrucken. Allein in der Woche nach Unterzeichnung des Abkommens gelang rund 7.400 Menschen die Überfahrt von Tunesien nach Italien - mehr als je zuvor binnen einer Woche. Und die Zahlen steigen weiter. Das soll jetzt also eine Blaupause für weitere Migrationsabkommen mit Staaten außerhalb der EU sein?
Migrationspakt wäre ein wichtiges Signal
Wenig verwunderlich, dass EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen in ihrer Rede zur Lage der EU gestern zu dem - manche sagen - "schmutzigen Deal" gerade mal einen Satz verlor. Insgesamt schien ihr die Migration, eine der größten Herausforderungen unserer Zeit, in ihrem gut einstündigen Vortrag keine prominente Passage wert. Obwohl die Zahl der Asylanträge in der EU in diesem Jahr Höchststände erreicht - und obwohl allen voran Hunderte von Bürgermeistern und Landrätinnen dringend auf Antworten auf diese Fragen warten: Wie soll illegale Migration begrenzt, Asylverfahren besser gesteuert und legale, dringend benötigte, Zuwanderung gemanagt werden?
Der EU-Kommissionschefin blieb nur die Aussicht auf einen europäischen Migrationspakt, an dem seit Jahren mal mehr, mal weniger ambitioniert gearbeitet wird. Auf dem Pakt ruhen allerdings inzwischen - mangels Alternativen - schon so viele Hoffnungen, dass er sie eigentlich nur enttäuschen kann. Und dennoch bleibt erst mal zu hoffen, dass sich die 27 EU-Staaten und das Europaparlament noch bis zum Frühjahr, bis vor den Europawahlen, überhaupt auf so ein Gesamtwerk einigen können. Der Migrationspakt wäre dann sicher nicht die Lösung für alles - aber zumindest endlich ein fundiertes Signal in Richtung "Europa hat eine gemeinsame Haltung, und Europa handelt geeint." Zeit wäre es.