Wolodymyr Selenskyj (l) und Donald Trump im Oval Office
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Streit zwischen Trump und Selenskyj Orchestrierte Demütigung im Weißen Haus

Stand: 01.03.2025 12:58 Uhr

Der ukrainische Präsident Selenskyj ist im Weißen Haus in einen Hinterhalt gelockt worden. Dies sollte für Europa eine Lehre sein. Denn die US-Führung schreckt auch vor Mafia-Methoden nicht zurück.

Ein Kommentar von Rebecca Barth, ARD Kiew

Spätestens jetzt weiß die Ukraine - ja weiß die ganze Welt - mit wem sie es im Weißen Haus zu tun hat. Europa sollte daher genau hinschauen, denn das, was dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj gestern passiert ist, kann so jedem europäischen Staats- und Regierungschef widerfahren.

Die Auseinandersetzung zwischen Selenskyj, US-Präsident Donald Trump und dessen Vize JD Vance war keine spontane, irgendwie aus dem Ruder gelaufene Pressekonferenz. Es war eine orchestrierte Demütigung, ein Hinterhalt, in den der ukrainische Präsident - emotional wie er ist - getappt ist. Denn es ist vor allem Trumps Vize Vance, der Selenskyj maßregelt wie einen kleinen Schuljungen. So etwas passiert nicht spontan - zumindest nicht einem JD Vance.

Eklat betrifft ganz Europa

Nun wird sich Selenskyj Fragen gefallen lassen müssen, ob sein Verhalten klug war. Er wird sich fragen lassen müssen, ob die ganze Reise nach Washington klug war. Doch Kritik an Selenskyj geht am Kern des Problems vorbei. Denn der Eklat im Weißen Haus war so katastrophal wie erhellend zugleich. Und er betrifft nicht nur die Ukraine, sondern gesamt Europa.

Klarer als je zuvor ist nun eines: Die amerikanische Führung unter Trump ist bereit, selbst ihre Verbündeten zu erpressen - und das mit Mafia-Methoden. Wenn du nicht tust, was ich dir sage, dann lasse ich dich fallen. Abhängigkeitsverhältnisse und Machtgefälle werden von Trump systematisch und brutal ausgenutzt. Empathie und Wertevorstellungen spielen keine Rolle. Trump interessiert sich weder für die Ukraine noch für Europa.

Europa muss sich der Realität stellen

Dieser Realität muss sich Europa stellen und entsprechend handeln. Alles andere wäre fahrlässig. Für die Ukraine kann Trumps Präsidentschaft katastrophale Folgen haben. Das Land muss damit rechnen, dass die USA keine Hilfe mehr leisten: kein Geld, keine Waffen, keine humanitäre Hilfe, keine Geheimdienstinformationen.

Aber auch Europa muss damit rechnen. Denn das Machtgefälle ist das gleiche. Ohne die USA ist Europa militärisch bisher zu schlecht aufgestellt gegen Russlands Armee. Ohne US-Geheimdienstinformationen nahezu aufgeschmissen.

Trump ist das Schicksal Europas egal

Das muss sich ändern mit großen Investitionen und einem Mentalitätswandel. Bis dahin muss Zeit gewonnen werden. Also gilt es, um Trumps Gunst zu buhlen, sein Ego zu streicheln, von dem er mehr geleitet wird als von Wertevorstellungen oder dem Völkerrecht.

Europa darf nicht noch einmal den Fehler machen, den es mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin gemacht hat, der genauso offen und klar über seine Ziele aufklärt hat - nämlich die Vernichtung der Ukraine.

Trump ist das Schicksal Europas egal. Das wissen wir jetzt. Die Frage ist nur: Wie viel Zeit bleibt Europa noch? Das kann niemand beantworten. Daher muss jetzt jede Minute genutzt werden, in die eigene Sicherheit und Unabhängigkeit zu investieren. Die Alternative wäre Unterwerfung gegenüber China, Russland oder den USA unter Trump.

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Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Inforadio am 01. März 2025 um 13:08 Uhr.