Pläne der Regierung Warum Apotheker Lauterbachs Reform fürchten
Mit einer Reform will der Gesundheitsminister die Apotheken auf dem Land stärken. Betroffene Apotheker halten die Pläne für nicht zu Ende gedacht - und warnen vor unkalkulierbaren Folgen für Patienten.
Mike Beyer hatte in diesem Jahr schon zweimal hohen Besuch aus der Politik. Im März besuchte der Bundeskanzler seine Sonnenapotheke in Teltow, denn die Kleinstadt südlich Berlins liegt in Scholz' Wahlkreis. Den Bundesgesundheitsminister hat Beyer dann selbst eingeladen. Er will nichts unversucht lassen, um die Lage der Apotheken hierzulande zu verbessern. Und das heißt für ihn zunächst einmal: die geplante Reform verhindern.
Wenn er über die Ideen aus dem Bundesgesundheitsministerium spricht, wirkt er wütend und etwas ratlos. Er habe Karl Lauterbach bei ihrem Gespräch ganz genau dargelegt, was ihn an den Reformplänen stört und warum er glaubt, dass die eher schaden würden, als die Lage der Apotheken zu verbessern. Doch der Minister habe sich nicht überzeugen lassen. Stattdessen getwittert: Ohne unsere Reform wird es ein Apothekensterben auf dem Land geben.
Tatsächlich haben mehr als 500 Apotheken im vergangenen Jahr aufgegeben - aus wirtschaftlichen Gründen. In diesem Jahr werden wohl noch mehr geschlossen. Die geplante Apothekenreform soll hier Abhilfe schaffen und vor allem die Versorgung auf dem Land sichern. Doch Beyer ist sich sicher: So geht es nicht.
Festbeträge und prozentuale Zuschläge
Denn er kennt die Lage der Landapotheken genau. Er betreibt zwei Apotheken in Teltow, hat acht Angestellte, davon zwei Apotheker und zwei Pharmazieingenieure, die ihre Ausbildung in der DDR gemacht haben. Die Corona-Zeit habe schwere Einbußen für ihn und die meisten seiner Kolleginnen und Kollegen gebracht, sagt er. Von diesem Tiefpunkt hätten sich die meisten noch nicht wieder erholt. Das liege auch an den sich immer weiter verschlechternden Bedingungen. Die Inflation betreffe auch die Apotheken, alles werde teurer. Doch die Honorare seien in dieser Zeit immer gleich geblieben. Wer keine Rücklagen habe oder noch Kredite abzahlen müsse, komme so in eine existenzbedrohende Lage.
Das Problem sei die Art der Finanzierung von Apotheken. Sie ruht im Wesentlichen auf drei Säulen: Pro verkauftes rezeptpflichtiges Arzneimittel gibt es einen Festbetrag von 8,35 Euro, einen Zuschlag von drei Prozent und eine Pauschale von 21 Cent für Not- und Nachtdienste. Davon wird noch ein Abschlag von derzeit 2 Euro von den Krankenkassen abgezogen. Wirtschaftlich ließen sich zurzeit eigentlich nur die Apotheken betreiben, die viele sehr teure Arzneimittel verkauften, denn drei Prozent von 1.000 Euro seien nun mal mehr als drei Prozent von zehn Euro. Also je mehr teure Arzneimittel verkauft werden, umso höher der Erlös. Der Festbetrag, das sogenannte Fixum, sei hingegen in den vergangenen 20 Jahren kaum gestiegen.
Apotheker sollen Verbund betreiben dürfen
Hier setzt auch die Reform der Bundesregierung an. Sie will den prozentualen Teil der Vergütung auf zwei Prozent absenken und das Fixum erhöhen. Die Idee dahinter: Kleinere Apotheken und Landapotheken würden weniger teure Arzneimittel wie Krebsmedikamente verkaufen als Großstadtapotheken. Sie würden von der veränderten Honorierung profitieren.
Doch genau das sei falsch, sagt Mike Beyer. Er habe den Minister gefragt, aufgrund welcher Daten dessen Ministerium diese Regelung einführen wolle. Schwerkranke Menschen, die teure Arzneimittel bräuchten, gebe es schließlich überall. Und kein Mensch fahre extra in eine Großstadtapotheke, um sein Medikament zu besorgen. Also würden möglicherweise auch Landapotheken Einbußen erleiden, wenn der prozentuale Erlös gesenkt, das Fixum aber nicht ausreichend erhöht werde.
Das Grundproblem der Reform sei ohnehin, dass sie eigentlich nur eine Umverteilung der Mittel beabsichtige und keine Erhöhung der Honorare der Apothekerschaft einplane, kritisiert Beyer.
Apotheker Mike Beyer kennt die Probleme, die sein Berufstands vor allem auf dem Land hat.
Maßnahmen gegen Fachkräftemangel
Richtig schlimme Folgen aber könne ein anderer Aspekt der Reform haben, warnt der Apotheker. Minister Lauterbach nennt ihn Bürokratieabbau und Hilfe gegen Fachkräftemangel. Die Neuregelung zielt darauf, die Gründung von neuen Apotheken zu erleichtern, denn die ist in Deutschland sehr stark reguliert. Bisher dürfen sich nur approbierte Apothekerinnen und Apotheker niederlassen. Maximal drei Filialen dürfen sie betreiben, und die dürfen nicht allzu weit voneinander entfernt sein - Stichwort: inhabergeführte Apotheke. Dazu kommt: Es muss immer mindestens ein approbierter Apotheker oder Apothekerin vor Ort sein.
Da es auch im Pharmaziebereich einen Fachkräftemangel gibt, soll die Reform hier helfen. Geplant ist, dass Apotheker jetzt eine Art Apothekenverbund betreiben dürfen. Zusätzlich zu ihrer Hauptapotheke und den Filialen sollen zwei zusätzliche Zweigapotheken möglich sein. Die dürfen auch weiter voneinander entfernt liegen. Die neuen Apotheken unterliegen nicht der bisher geltenden Mindestöffnungszeit, müssen also auch keine Notdienste anbieten.
Vor allem aber muss hier nicht ständig eine Apothekerin oder ein Apotheker vor Ort sein. Nach der Reform könnten Apotheken von Pharmazeutisch-Technischen-Assistenten (PTA) geleitet werden. Nur acht Stunden pro Woche muss eine Apothekerin oder ein Apotheker präsent sein. Soweit die Theorie.
Manches dürfen nur approbierte Fachkräfte
Apotheker Beyer aber sagt, das sei nicht zu Ende gedacht. Diese neu gegründeten Apotheken könnten in der Fläche keine richtigen Apotheken ersetzen, denn bestimmte Leistungen können nur durch approbierte Apotheker erbracht werden. Das klassische Beispiel ist die Abgabe von Arzneimitteln, die unter das Betäubungsmittelgesetz fallen - Schmerzmedikamente für Krebspatienten und in der Palliativversorgung etwa. Das müsse jederzeit möglich sein. Wenn aber nur selten eine dazu befugte Person vor Ort sei, müssten die Patienten unnötig lange warten, befürchtet Beyer. Auch andere Beratungsleistungen oder die Herstellung bestimmter frischer Medikamente seien an die Präsenz einer dazu ausgebildeten Fachkraft gebunden. Das seien in den meisten Fällen eben eine Apothekerin oder ein Apotheker. Telemedizin könne das nicht ersetzen.
Die geplanten Zweigapotheken wären nur eine Art Medikamenten-Verkaufsstelle. Natürlich seien die erst einmal wirtschaftlicher zu betreiben, weil teureres Fachpersonal eingespart würde. Aber die Folge für die Branche und die Patientinnen und Patienten sei unkalkulierbar. Es bestehe die Gefahr, dass Fachkräfte entlassen würden, eben weil sie teurer seien.
Und die Konkurrenz würde zudem den wirtschaftlichen Druck auf inhabergeführte Apotheken erhöhen. Auch da müsste womöglich Personal abgebaut werden. Manche müssten vielleicht ganz schließen. Die Hoffnung, so mehr Versorgung auf dem Land zu ermöglichen, sei nicht zu erfüllen.
Belastung durch die Notfall-Versorgung
Apotheker Beyer gibt zu bedenken, dass die Bedingungen auf dem Land tatsächlich schwieriger seien als in Großstädten. Vor allem liege das daran, dass Apotheken verpflichtet sind, rund um die Uhr Service anzubieten. Dafür gibt es Notfallverbünde, die den Nacht- und Feiertagsdienst organisieren. Da auf dem Land aber naturgemäß weniger Mitglieder in solchen Verbünden organisiert sind, hat jede einzelne Apotheke deutlich öfter solche Notdienste. Hier setzt auch ein Teil des Apothekenreformgesetzes an. Es ist vorgesehen, die Notfallpausche anzuheben, die auf jedes verkaufte rezeptpflichtige Medikament gezahlt wird: von 21 Cent auf 28 Cent. Mindestens 550 Euro soll jede Apotheke pro Notdienst zusätzlich bekommen. Da Apotheken auf dem Land ja häufiger Notdienste anbieten, bekommen sie so automatisch mehr.
Im Prinzip ein Schritt in die richtige Richtung, sagt Beyer dazu, aber auch hier mache sich der große Mangel an der Reform schmerzhaft bemerkbar. Denn die Mittel für diese Erhöhung sollen nicht neu ins System kommen, sondern werden an anderer Stelle weggenommen. Die geplanten 50 Millionen Euro werden bei der Finanzierung der pharmazeutischen Dienstleistungen gestrichen. Das sind Beratungsleistungen und zum Beispiel Blutdruckmessen bei Patienten.
Umverteilen statt auskömmlich finanzieren, das sei keine Lösung für die Probleme der Apotheken hierzulande. Mike Beyers Forderung an den Minister: das System stabilisieren, das eine wohnortnahe Versorgung möglich macht - und das dann so honorieren, dass Apotheken überleben können. Das sei eine Reform, die wirklich helfe.