Interview zum Bahn-Tarifstreit 'Da gab's schon ganz andere Konflikte'
Für Außenstehende scheint die Lage im Bahn-Tarifstreit aussichtslos: Wird eine Seite nachgeben? Gibt es überhaupt noch die Möglichkeit einer Einigung? Der Bahn-Experte Schroeder sieht noch Chancen - welche, verrät er im Gespräch mit tagesschau.de.
Für Außenstehende scheint die Lage im Bahn-Tarifstreit völlig aussichtslos: Wie sollen sich beide Seiten noch einigen? Bahn-Experte Schroeder sieht hingegen noch Chancen - welche, verrät er im Gespräch mit tagesschau.de.
tagesschau.de: Die Fronten im Bahn-Tarifkonflikt sind völlig verhärtet - und ab Freitag soll gestreikt werden. Wagen Sie einen Ausblick: Wie geht der Tarifstreit aus?
Wolfgang Schroeder: Es kann nur eine Lösung für alle geben. Es ist nicht möglich, dass die GDL einen Sondertarifvertrag bekommt, der jenseits aller schon getroffenen Vereinbarungen angesiedelt ist. Und damit ist bereits das grundlegende Problem genannt: Die GDL hat weitreichende Forderungen vorgelegt, die Bahn AG hat massiv dagegen gehalten, Transnet hat - als größte Gewerkschaft in diesem Bereich - unglaublich viel zu verlieren. Und nun muss ein gesichtswahrender Abschluss erzielt werden, der für alle akzeptabel ist.
tagesschau.de: Angesichts der harten Linie der Bahn AG konnte man in Zeitungskommentaren lesen: "Die Bahn will nicht den Tarifkonflikt lösen, sondern die Lokführer-Gewerkschaft GDL erledigen." Eine richtige Einschätzung?
Schroeder: Das halte ich für Unsinn. Hinter der Forderung der GDL stehen reale Probleme, die in der Vergangenheit nicht gelöst worden sind: Und zwar sind die Entgeltstrukturen nicht an die veränderten Berufssituationen angepasst worden. Das Ergebnis darf also nicht sein, dass man einen Akteur einfach aus dem Feld schießt.
tagesschau.de: Aber wenn die GDL ihre Forderung nach einem eigenen Tarifvertrag nicht durchsetzen kann - ist das nicht eine Niederlage, die ihre Existenzberechtigung in Frage stellt?
Schroeder: Die GDL hat mit ihrer Forderung nach 30 Prozent mehr Gehalt und einem eigenständigen Tarifvertrag in der Tat sehr hoch gepokert. Der nächste Schritt muss jetzt aber erstmal sein, dass alle Gewerkschaften und die Bahn wieder an einen Tisch kommen. Daran geht kein Weg vorbei.
Der Konflikt kann dramatisch eskalieren
tagesschau.de: Aber verliert nicht in jedem Fall eine der beiden Seiten - die Bahn AG oder die GDL - das Gesicht?
Schroeder: Das ist in der Tat eine große Gefahr in der jetzigen Situation. Der Konflikt kann dramatisch eskalieren. Unter der Vermittlung von Heiner Geißler und Kurt Biedenkopf wurde nicht mehr als ein Scheinkompromiss ausgehandelt. Nun muss ein neuer Anlauf unternommen werden - und dabei wird vermutlich eine stärkere Intervention der Politik nötig sein.
tagesschau.de: Und wie würde das Ihrer Meinung nach ablaufen?
Schroeder: Zunächst einmal ist das Prinzip der Tarifautonomie zu wahren. Wenn aber die handelnden Akteure nicht in der Lage sind, diesen Streit zu schlichten, dann wird vermutlich der Druck auf alle Akteure erhöht. Da könnte dann beispielsweise das Verkehrsministerium eingreifen - aber das würde sehr sicher hinter den Kulissen laufen.
Am Ende hat man immer einen Kompromiss gefunden
tagesschau.de: Trotz allem: Angesichts der aktuellen Meldungen ist es für Außenstehende kaum vorstellbar, dass beide Seiten sich je einigen.
Schroeder: Die Bahn und die GDL sind in der Tat ganz weit auseinander. Aber das ist normal bei Tarifverhandlungen - da gab es in Deutschland schon ganz andere Konflikte. Eigentlich scheint bei jeder Tarifverhandlung zunächst kein Kompromiss möglich zu sein. In der Metallindustrie gab es Tarifrunden, in denen sich die Arbeitgeber sich geweigert haben, überhaupt mehr als null Prozent zu nennen - und die Metallgewerkschaft forderte sechs Prozent und jede Menge Strukturkomponenten. Und trotzdem hat man am Ende einen Kompromiss gefunden.
tagesschau.de: Wie lange könnte die GDL einen Streik denn überhaupt durchhalten?
Schroeder: Bei den Industriegewerkschaften würde man sich fragen: Wie groß ist die Streikkasse, wie viel Wochen können die hart bleiben. Das ist bei der GDL anders. Wenn die Lokomotivführer nur ein, zwei oder drei Tage die Arbeit niederlegen, dann herrscht in dieser Republik Riesenchaos. Insofern glaube ich, dass bereits mit einem kurzem Einsatz eine maximale Wirkung erreicht wird - und die Verhandlungspartner wieder an den Tisch zurückkommen müssen.
Das Interview führte Sarah Welk, tagesschau.de