Virtuelles Weltwirtschaftsforum Nachdenken über die Krise
Auch das virtuelle Weltwirtschaftsforum ist in diesem Jahr hochkarätig besetzt. Gründer Klaus Schwab erwartet mit der Pandemie einen Systemwandel der globalen Wirtschaft.
Das Weltwirtschaftsforum (WEF) in der Corona-Krise: Persönliche Treffen sind derzeit unmöglich, deshalb haben die Organisatoren ein virtuelles Forum anberaumt - die "Davos Agenda Week", die vom heutigen Montag bis zum 29. Januar laufen soll. Der Plan des WEF-Gründers Klaus Schwab: Gemeinsam mit den Entscheidern der Welt möchte er im "zentralen Jahr 2021" Wege aus der Krise aufzeigen.
Was ist das WEF? Das Forum beschreibt sich selbst als eine Plattform für die 1000 führenden Firmen der Welt. Ihnen gehe es darum, eine bessere Zukunft zu gestalten. Die Liste des Forums umfasst die großen multinationalen Konzerne, von Alibaba, Allianz und Amazon über Facebook, Royal Dutch Shell und McKinsey bis zu Uber, Walmart und Xiaomi.
Rund 800 Menschen arbeiten für das WEF, das den Sitz in der Schweiz hat. Sie bereiten beispielsweise Studien zu Agendathemen vor. In ihnen werden die Standpunkte des Forums zu Fragen vertreten, die als bedeutsam für die Zukunft erachtet werden.
Chinas Präsident Xi Jinping wird virtuell dabei sein.
Lagarde, Merkel und Macron
Mit dabei sind in diesem Jahr EZB-Chefin Christine Lagarde als Expertin für das Thema Wirtschaftswachstum, Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier und VW-Chef Herbert Diess. Chinas Präsident Xi Jinping will über die chinesische Erfolgsgeschichte der vergangenen Jahre referieren. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron und Bundeskanzlerin Angela Merkel sind ebenfalls als Redner vorgesehen.
Für Ende Mai ist ein zweites persönliches Treffen von Regierungs- und Wirtschaftschefs im Stadtstaat Singapur geplant, bei dem die Ergebnisse der Online-Tagung einfließen sollen.
Traditionell treffen in Davos Entscheider aus der Wirtschaft auf politisches Spitzenpersonal. Das Forum sei der Ort, an dem Milliardäre Millionären erzählten, was die Mittelschicht fühle, witzelte einst Jamie Dimon, der Chef der größten US-Bank JP Morgan über das alljährliche Zusammentreffen der globalen Eliten.
Mit seiner Tätigkeit als Vorstandschef einer Bank hat er es selbst zu einem Vermögen von rund 1,7 Milliarden Dollar gebracht. Und tatsächlich waren im vergangenen Jahr von den insgesamt rund 2000 Teilnehmern Bloomberg-Angaben zufolge 119 Milliardäre - darunter auch Dimon.
JPMorgan-Chef Jamie Dimon gehörte zu den Milliardären, die in Davos mitdiskutierten.
Klaus Schwab und seine Idee
Gegründet wurde das WEF 1971 vom in Ravensburg geborenen Wirtschaftsprofessor Klaus Schwab. Der 82-jährige Schwab erwarb in seiner Ausbildung zunächst zwei Doktortitel in den Ingenieurs- und Wirtschaftswissenschaften. In den 1960er-Jahren kam noch ein Master of Public Administration aus Harvard hinzu. Seit 1972 lehrte Schwab als Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Universität in Genf.
Er habe eine Plattform gründen wollen, wo Firmenchefs und Manager ihre Stakeholder treffen können, erzählte er in einem Interview mit der "Neuen Zürcher Zeitung" (NZZ). Die großen Trends und Fragen der Zeit standen von Beginn an in Schwabs Fokus.
Intransparent und ohne Legitimation?
Das zeigt auch das aktuelle Programm des WEF: "Einen neuen sozialen Vertrag voranbringen", "Konsum überdenken für eine nachhaltige Zukunft", "Eine positive Wirtschaft für die Natur errichten" lauten einige der Themen, über die die Teilnehmer diskutieren werden.
Kritiker haben dem Forum immer wieder Intransparenz vorgeworfen. Die Mächtigen blieben unter sich und kungelten in geschlossenen Zirkeln die Zukunft aus. Ferner fehle die demokratische Legitimation, so die Vorwürfe.
Als Reaktion öffnete Schwab seine Veranstaltung auch für Kapitalismusgegner und -Kritiker. Im vergangenen Jahr stattete beispielsweise die Klima-Aktivistin Greta Thunberg Davos einen Besuch ab.
Klimaaktivistin Greta Thunberg auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos 2020, Donald Trump auf dem Podium.
Macht der Technologie
Fast wie ein Kapitalismus-Gegner klingt mittlerweile auch Schwab - jedenfalls wenn man sich die Thesen ansieht, die er in seinem aktuellen Buch "Covid-19 - The great reset" gemeinsam mit seinem Co-Autor Thierry Malleret verbreitet. Schwab prognostiziert darin einen Systemwandel, der auch auf die Pandemie zurückzuführen sei. Die Welt werde sich entglobalisieren, die Macht der Technologie werde zunehmen. Als Folge von Corona werde die Gesellschaft weiter polarisiert und die Schere zwischen Arm und Reich noch größer werden.
"Vor dem Hintergrund der Covid-19-Pandemie sind die Notwendigkeit, Prioritäten neu zu setzen, und die Dringlichkeit, Systeme zu reformieren, auf der ganzen Welt stärker geworden", so Schwab. Jetzt bestehe die Chance, Kapitalismus neu zu denken.
Neben Worten auch Aktionen?
"Der Neoliberalismus hat ausgedient", sagte Schwab in Interview mit der "Zeit". Wachstum sei die falsche Kennzahl, der globale Kapitalismus müsse neu definiert werden.
Nur: Welches Interesse an einem tiefergehenden Wandel sollen ausgerechnet die Entscheider, Wirtschaftschefs und Konzerne haben, die vom aktuellen System am meisten profitieren? Dimons Bank JPMorgan machte beispielsweise im vergangenen Jahr 29 Milliarden Dollar Nettogewinn. Das entspricht fast viermal dem gesamten Börsenwert der Commerzbank.
Er plädiere nicht für eine Systemveränderung, sondern für eine Systemverbesserung, lässt Schwab wissen. So oder so, auf die Entscheider wird es ankommen. "Trotz schöner Worte sehe ich keine Aktionen", hatte indes Greenpeace-Chefin Jennifer Morgan das Forum im vergangenen Jahr kritisiert.