Elektromasten in Groß Rogahn in Mecklenburg-Vorpommern

Klage von Energieversorgern Verfassungsgericht urteilt zu Strompreisbremse

Stand: 28.11.2024 04:26 Uhr

Die Strompreisbremse sollte Verbraucher in der Energiekrise entlasten. Finanziert wurde sie auch mit Überschusserlösen von Erzeugern erneuerbaren Stroms. 22 der Anbieter zogen vor Gericht, nun fällt das Urteil.

Von Philip Raillon, ARD-Rechtsredaktion

Wenn heute der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts sein Urteil verkündet, geht es für Erzeuger erneuerbaren Stroms um viel Geld. Sie mussten insgesamt rund 200 Millionen Euro sogenannter Überschusserlöse abführen - und haben dagegen Verfassungsbeschwerde eingelegt.

Damit greifen sie einen Mechanismus an, der in der Energiekrise 2022 ein wichtiges Instrument sein sollte: die sogenannte Strompreisbremse. Sie sollte Verbraucher vor zu hohen Stromkosten schützen und sie entlasten. Um das zu finanzieren, wurden aber bestimmte Stromerzeuger zur Kasse gebeten. Das war der Grund für die Verfassungsbeschwerden.

Strom aus Gaskraftwerken trieb Preise in die Höhe

Die Stromkosten waren 2022 als Folge des Angriffs Russlands auf die Ukraine stark angestiegen. Denn infolge seiner Invasion reduzierte Russland seine Gaslieferungen nach Deutschland zunächst und stellte sie später ganz ein. Und der Strompreis bestimmt sich meist nach dem teuren Strom aus Gaskraftwerken.

Der Strompreis wird für jeglichen Strom, egal wie er erzeugt wird, durch das sogenannte Merit-Order-Prinzip bestimmt. Je nach Strombedarf werden unterschiedlich viele Kraftwerke zugeschaltet. Das Kraftwerk mit dem teuersten Preis, das noch hinzugeschaltet werden muss, bestimmt den Preis für alle. In der Regel sind diese preissetzenden Werke Gaskraftwerke.

Durch das Merit-Order-Prinzip wurde also auch der erneuerbare Strom zu dem hohen Gas-Strompreis verkauft. Weil dadurch der Preis für den Strom insgesamt stieg, mussten auch die Verbraucher immer tiefer in die Tasche greifen. Dem wollte die Bundesregierung mit der Strompreisbremse entgegenwirken.

Strompreisbremse deckelte Verbraucherkosten

Der Mechanismus setzte einen Maximalpreis fest, quasi einen Deckel. Verbraucher mussten für einen Großteil ihres Stroms nur diesen Preis zahlen. Sie wurden also entlastet. Doch dadurch entstand eine Lücke: Die Einkaufskosten der Energieversorger für Strom stiegen an, während sie durch den Verbraucher-Preisdeckel nicht ausreichend Geld einnehmen konnten - sie machten ein Minus.

Diese Finanzlücke schlossen laut Strompreisbremsengesetz zu einem Teil die Erzeuger erneuerbaren Stroms. Denn sie verkauften ihren Strom zwar zu den teuren Preisen, hatten selbst aber kaum Mehrausgaben. Sie waren nicht auf das teure Gas angewiesen. Die Folge: Erneuerbare Energien bescherten manchen Erzeugern plötzlich erhebliche Mehrgewinne.

Der Gesetzgeber griff ein und beschloss mit dem Strompreisbremsegesetz eine teilweise Umverteilung. Von dieser waren parallel beispielsweise auch die Betreiber von Atom- und Braunkohlekraftwerken betroffen. Sie erwirtschafteten damals aus dem gleichen Grund zusätzliche Gewinne.

Weil die Abschöpfung dieser "Zufallsgewinne" aber nur einen kleinen Teil der Finanzierungslücke deckte, etwa 850 Millionen Euro, sprang zusätzlich der Staat ein - mit Steuergeld. Der Bund zahlte dafür bislang rund 16 Milliarden Euro.

Gerichtsverhandlung drehte sich um den Strommarkt

In der Verhandlung des Bundesverfassungsgerichts Ende September ging es vor allem um die Abläufe und Funktionsweise des Strommarktes. Über mehrere Stunden hinweg ließen die Richterinnen und Richter sich diese erklären. Dabei ging es auch darum, wie das Gesetz zustande kam.

Vertreter des zuständigen Bundeswirtschaftsministeriums skizzierten etwa den zeitlichen Druck, unter dem sie 2022 an Lösungen für die Energiekrise arbeiteten. Bemerkenswert: Die verfassungsrechtlichen Fragen behandelten die Richter in der Verhandlung am Schlossplatz in Karlsruhe nur am Rande. Dazu habe man keinen weiteren Erörterungsbedarf, sagte der Vorsitzende Richter des Ersten Senats, Gerichtspräsident Stephan Harbarth.

Im Vorfeld der Verhandlung war gerade die rechtliche Bewertung für betroffene Betriebe wichtig. Die Strompreisbremse verstoße gegen Vorgaben der Finanzverfassung und sei verfassungswidrig. Der Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE), den das Bundesverfassungsgericht in dem Verfahren um Stellungnahme gebeten hatte, kritisierte die Gewinnabschöpfung per Gesetz. Es seien nicht die tatsächlichen Zufallsgewinne, sondern der Gesamtumsatz des Unternehmens als Berechnungsgrundlage genommen worden. "Die Erneuerbaren-Verbände hatten damals dafür plädiert, statt fiktiver Gewinne reale Gewinne über eine Steuer abzuschöpfen", sagte BEE-Geschäftsführer Wolfram Axthelm im September.

Die Unternehmen, die die Beschwerde eingereicht hatten, wenden sich nicht grundsätzlich dagegen, dass Stromkunden entlastet wurden. Sie sehen allerdings nicht sich selbst in der Pflicht. Stattdessen fordern sie, dass diese Entlastung durch Steuermittel finanziert wird. Es handele sich um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.

Auswirkungen des Urteils hängen von der Argumentation ab

Sollte das Bundesverfassungsgericht das Gesetz für verfassungswidrig und nichtig erklären, müssten die rund 200 Millionen Euro Überschussabschöpfung an die Erzeuger erneuerbaren Stroms zurückgezahlt werden. "Das wäre ein sehr großer Verwaltungsaufwand", sagt Christian Ertel, Rechtsanwalt bei der Wirtschaftskanzlei Taylor Wessing. Die dadurch entstehende Finanzlücke müsste wohl der Bundeshaushalt schließen.

Das Urteil könnte nicht nur für die Erzeuger erneuerbaren Stroms wichtig sein, sondern auch für die übrigen abgeschöpften Kraftwerksbetreiber, etwa von Atomkraftwerken. Das hänge von der Argumentation des Gerichts ab, so Rechtsanwalt Ertel. Nach der Verhandlung war keine Tendenz absehbar.

Die Strom- und die parallele Gaspreisbremse gelten heute nicht mehr. Sie sind insgesamt zum 31. Dezember 2023 ausgelaufen. Darauf hatte sich die Bundesregierung in ihrem Vorschlag für den Haushalt 2024 verständigt. Hintergrund ist, dass die aktuell am Markt angebotenen Preise für Strom und Gas in der Regel ohnehin unter dem Preisniveau liegen, das durch die Energiepreisbremsen garantiert wurde. Das Verfassungsgericht will sein Urteil um 10 Uhr verkünden. Für die Verbraucher dürften nachträglich keine Mehrkosten entstehen.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Inforadio am 28. November 2024 um 06:22 Uhr.