Sorge vor Energieknappheit Kohle- oder Atomenergie statt russischem Gas?
Was tun, wenn Russland kein Erdgas mehr liefern sollte? Um diese Frage ist eine politische Debatte entbrannt. Müssen Atommeiler und Kohlekraftwerke länger laufen? Wirtschaftsminister Habeck hat eine klare Meinung.
Welche Folgen hat der Krieg in der Ukraine für die deutsche Energieversorgung? Diese Frage sorgt für eine neue Debatte um Kohle- und Atomstrom. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hält beides aber für ungeeignet, um etwaige Versorgungsengpässe durch einen Lieferstopp Russland auszugleichen. Gleichwohl prüfe sein Ministerium das, sagte er im Bericht aus Berlin. "Es gibt keine Denktabus."
Kritik an Kohleausstieg
In der "Welt" hatte Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) mit Blick auf die Erdgas-Importe aus Russland davor gewarnt, nun deutsche Kohlekraftwerke schnell abschalten zu wollen. Er halte das für unverantwortlich. Ein Dauerkonflikt mit Russland, der über Rohstofflieferungen ausgetragen werde, führe unweigerlich zu einem geringen Lebensstandard. Deutschland bezieht 55 Prozent seines Erdgases aus Russland.
Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) fragte bei "Zeit Online": "Ist der frühere Ausstieg aus der Kohleverstromung wirklich verantwortlich? Oder müssen wir nicht erkennen, wie wertvoll eine sichere Energieversorgung ist?"
Nordrhein-Westfalens Wirtschafts- und Energieminister Andreas Pinkwart (FDP) hat seine Länderkollegen laut "Handelsblatt" für heute zu einer Sondersitzung eingeladen. Dabei wolle er ein Forderungspapier zur Versorgungssicherheit vorlegen, in dem es heiße, Vorfestlegungen auf einen frühzeitigeren Kohleausstieg sollten nun "unbedingt vermieden werden".
Auch der frühere Chef der Wirtschaftsweisen und heutige Berater von Finanzminister Christian Lindner (FDP), Lars Feld, stellt wegen des Ukraine-Kriegs den deutschen Kohle- und Atomausstieg infrage. "Die Bundesregierung muss dafür sorgen, dass die Energieversorgung sichergestellt bleibt. Dazu wird alles wieder auf den Tisch müssen, sogar Atomausstieg und Kohleausstieg", sagt Feld der Zeitung "Rheinische Post". "Kurzfristig sei die deutsche Wirtschaft durchaus vom Wegfall solcher Lieferungen betroffen, so dass ein konjunktureller Dämpfer bevorstehe.
"Für den Winter 2022/23 würde uns die Atomkraft nicht helfen"
Habeck erklärte im Bericht aus Berlin mit Blick auf die Kohlekraftwerke: "Länger laufen lassen heißt längere Abhängigkeit von Steinkohle aus Russland." Oder Deutschland kaufe Kohle woanders, dann entstünde eine andere Abhängigkeit. Die Bundesregierung hat sich zum Ziel gesetzt, den für 2038 vereinbarten Ausstieg aus der Kohle-Verstromung "idealerweise" bereits 2030 zu schaffen.
Bei der Atomenergie habe eine Vorprüfung seines Ministeriums ergeben, dass es ebenfalls kein Ausweg wäre, wenn die letzten drei AKW anders als geplant in diesem Jahr nicht abgeschaltet würden. "Ich würde das nicht ideologisch abwehren", sagte Habeck zwar. Aber: "Für den Winter 2022/23 würde uns die Atomkraft nicht helfen." Die Vorbereitungen für die anstehenden Abschaltungen seien so weit fortgeschritten, dass die AKW "nur unter höchsten Sicherheitsbedenken und möglicherweise mit noch nicht gesicherten Brennstoffzulieferungen" weiter betrieben werden könnten. "Und das wollen wir sicher nicht."
Habeck glaubt nicht an Lieferstopp aus Russland
Wegen des Ukraine-Kriegs bereitet sich die Regierung auch auf einen völligen Stopp russischer Lieferungen von Gas oder Öl vor. Habeck zeigte sich aber zuversichtlich, dass Russland weiter liefern wird, weil es die Einnahmen brauche. "Sollte Russland mutwillig diese Versorgungen kappen, dann ist die Entscheidung natürlich getroffen - dann werden die nie wieder aufgebaut werden. Ich denke, das weiß (Präsident Wladimir) Putin auch."
Dann würde es aus Sicht des Präsidenten des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Peter Adrian, allerdings schwierig - denn an einen Ausgleich aus anderen Quellen glaubt er nicht. "Norwegen ist mit seinen Gaslieferungen an uns bereits am Limit und könnte einen Ausfall nicht kompensieren. Die Amerikaner wollen mit Flüssiggas zwar unterstützen. Aber auch darüber könnten wir die fehlenden Mengen nicht ausgleichen", sagte er den Zeitungen der Funke-Mediengruppe.
Grünen-Chefin Ricarda Lang beklagte in den selben Zeitungen die Energie-Abhängigkeit von Russland und sagte: "Deshalb sollten wir jetzt alle Kraftanstrengung nutzen, den Ausbau der Erneuerbaren Energien und die Unabhängigkeit von fossiler Energie ohne weitere Verzögerung konsequent anzugehen." Per Twitter teilte der Parlamentarische Staatssekretär Oliver Krischer im Klimaministerium mit, dass ab 2035 eine Vollversorgung mit Ökostrom angestrebt werde. "Das nützt nicht nur dem Klimaschutz, sondern macht uns unabhängig von Putins Gas, Öl und Kohle." Die entsprechende Novelle des Erneuerbare Energien Gesetzes (EEG) sei fertig.