Deutschland und Frankreich Der ewige Streit über die Atomkraft
Die deutsch-französischen Regierungskonsultationen werden überschattet von handfestem Streit über Energie. Frankreich will die Strommarkt-Regeln der EU nutzen, um die Industrie mit günstigem Atomstrom zu versorgen.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat einen Plan. Er will die Strommarktreform der EU nutzen, um den französischen Atomstrom günstiger zu machen. Sein Argument: Weil die Kernenergie so CO2-arm sei, müsse sie ebenso wie die Erneuerbaren besonders gefördert werden. Will heißen: Atomstrom als tragende Säule der europäischen Klimawendepolitik.
Das ist eine Idee, die gerade in Deutschland nicht gut ankommt, wie Macron auf einem Botschaftertreffen Ende August einräumte: "Da müssen wir bei unseren deutschen Freunden noch Überzeugungsarbeit leisten. Da sind wir nämlich absolut nicht einig." Es wäre eine historischer Fehler, so Macron, nicht mehr in Nuklearenergie zu investieren. Der Präsident will erreichen, dass die geplanten Förderinstrumente der EU für klimafreundlich erzeugten Strom auch für Atomstrom gelten.
Neue Förderung für alte Meiler
Es geht um die sogenannten Differenzverträge. Sie ermöglichen es, einen Garantiepreis zwischen Staat und Stromerzeuger auszuhandeln. So sollen Anreize für Investitionen in klimafreundliche Energieanlagen geschaffen werden. Liegt der Marktpreis unter dem Garantiepreis, schießt der Staat Geld dazu. Liegt der Marktpreis über dem ausgehandelten Garantiepreis, darf der Staat die Gewinne abschöpfen und reinvestieren.
Wenn Frankreich nun für einen Großteil seiner bestehenden Meiler, die bis zu 70 Prozent des französischen Stroms produzieren, Differenzverträge mit einem niedrigen Garantiepreis abschließen könnte, wäre das äußerst attraktiv. Frankreichs Privathaushalte und Industrie hätten sehr günstigen Strom, und wenn der Markpreis steigt, würde der Staat viel Geld abschöpfen, um damit seinen Nuklearpark zu sanieren und ganz allgemein die heimische Industrie zu fördern.
Dieser Plan stößt in Deutschland auf massiven Widerstand, erklärt Energiefachmann Marc-Antoine Eyl-Mazzega vom Pariser IFRI Institut: "Deutschland will verhindern, dass Frankreich einen niedrigen Garantiepreis mit seinem Atomstromkonzern EDF abschließt." Denn Berlin muss selber hohe Garantiepreise festsetzen, um ausreichend Investoren anzulocken, die in die Erneuerbaren Energien in Deutschland investieren wollen.
Deutschland fürchtet um seine Wettbewerbsfähigkeit
Wind- und Solaranlagen, neue Trassen und Speicherkapazitäten: All das wird in Deutschland rasend teuer. Berlin braucht also finanzstarke Investoren und fürchtet in der ohnehin schon angespannten wirtschaftlichen Lage um seine Wettbewerbsfähigkeit. Der Vorwurf gegen Paris lautet deshalb, Frankreich wolle das Instrument der Differenzverträge für die versteckte Subventionierung seines Nuklearparks und seiner Industrie missbrauchen.
Diesen Vorwurf lasse die französische Regierung nicht gelten, erklärt Eyl-Mazzega: "Aus französischer Sicht ist das keine versteckte Staatshilfe, sondern es spiegelt einfach, dass Frankreich ein viel leistungsfähigeres Stromsystem hat als Deutschland." Ein System, das auf Nuklearenergie setzt.
Die französische Regierung will die Folgen des deutschen Atomausstiegs nicht mittragen müssen, sondern mit den Differenzverträgen endlich von der teuren Kopplung des Strompreises vom Gaspreis loskommen. Mit der Strommarktreform wittert Paris eine Chance, in die Offensive zu gehen. Denn in Frankreich schielt man ständig auf Deutschland, vergleicht sich - das Gefühl, industriell nicht mithalten zu können mit dem starken Nachbarn, sitzt tief.
Die Strommarktreform als Chance?
Frankreichs Wirtschaftsminister Bruno Le Maire stellte im Juni gegenüber der Nachrichtenagentur AFP klar, Frankreich werde auf keinen der Wettbewerbsvorteile, die die Kernenergie biete, verzichten. Beim Besuch in Berlin vor drei Wochen wiederum drang er auf eine Einigung. Das gemeinsame Ziel sei, klimafreundlich erzeugten Strom zu einem vernünftigen Preis für alle Mitgliedstaaten der EU zu haben.
"Ich bin überzeugt, dass wir mit Deutschland zu einer gemeinsamen Auffassung von dieser Strommarktreform kommen können", sagte Le Maire bei der gemeinsamen Pressekonferenz mit seinem deutschen Amtskollegen Robert Habeck. "Diese Verständigung ist unerlässlich." Denn die Zeit drängt: Schon am 17. Oktober findet der Energiegipfel in Brüssel statt.
Streit auch mit dem Energieversorger
Doch nicht nur Deutschland als Partner und Konkurrent bereitet der französischen Regierung Kopfzerbrechen. Störfeuer gibt es ausgerechnet vom staatseigenen Atomstromproduzent Électricité de France (EDF). Die neue Führung bei EDF versucht zu verhindern, dass die französische Regierung die Gewinne des Konzerns abschöpfen könnte. Denn Staat und EDF haben unterschiedliche Prioritäten. "EDF ist sehr aufgebracht", sagt Energiefachmann Eyl-Mazzega. "Sie sehen, dass der Staat versucht, den Preis von Strom so weit wie möglich zu drücken, um ihn günstig den Verbrauchern zur Verfügung zu stellen."
EDF aber würde gerne von den hohen Preisen profitieren, genauso wie alle nichtstaatlichen Unternehmen am Markt. Während EDF die Gewinne gern nutzen würde, um seine 60 Milliarden Netto-Schulden abzubauen und in neue Kernkraftwerke zu investieren, ist es der Regierung wichtiger, das Notwendige in die Instandhaltung der Meiler zu stecken und den Rest vorerst anderen Industriezweigen zugutekommen zu lassen.
Wettbewerb mit dem deutschen Nachbarn
So will Präsident Macron sein Versprechen einlösen, Frankreich zu reindustrialisieren und die vergleichsweise wenigen, aber großen französischen Unternehmen nach Kräften zu unterstützen. Stolz ist man darauf, 1,4 Prozent Wachstum vorhersagen zu können, während in Deutschland Rezession herrscht. Geschmeichelt fühlt man sich, in der deutschen Presse zu lesen, Frankreich sei das "bessere Deutschland".
Umso ärgerlicher ist für die Regierung in Paris, dass der zu 100 Prozent staatseigene Konzern EDF eine abtrünnige Linie vertritt und seine eigenen Lobbyisten in Brüssel mobilisiert hat. Man würde natürlich lieber geschlossen aufgetreten, wenn es darum geht, die so umstrittene EU-Strommarktreform zugunsten von Frankreich ausgehen zu lassen.