Streit um neue Hilfen für Griechenland Warum Athen noch mehr Geld braucht

Stand: 08.12.2014 20:13 Uhr

Der Tourismus boomt, die Wirtschaft wächst, die Neuverschuldung sinkt: Scheinbar geht es den Griechen so gut wie lange nicht. Doch warum brauchen sie dann schon wieder Geld? Und kommt der Aufschwung bei den Menschen überhaupt an? Eine Bestandsaufnahme.

Von Heinz-Roger Dohms, tagesschau.de

Als sich eine Abordnung der griechischen Oppositionspartei Syriza kürzlich in die Höhle des Löwen (sprich: in die Londoner City) wagte, da endete das Ganze, wie es enden musste - im Desaster.

"Schlimmer als Kommunismus" sei gewesen, was die Syriza-Leute den Londoner Investoren erzählt hätten, schrieb ein einflussreicher Fondsanalyst an seine Kunden. Der Eindruck, den der Manager einer großen US-Bank gewann, war kaum besser: "Griechische Tragödie", betitelte er ein Memorandum, das er nach dem Meeting an seine Klienten schickte.

Wenn das informelle Kennenlerntreffen zum Ziel hatte, Vorurteile zwischen "Linkspopulisten" und "Finanzhaien" abzubauen - dann wurde das Ziel weit verfehlt.

Lieber Samaras als Syriza - so denkt die EU

Die Londoner Anekdote erzählt einiges über die Lage in Griechenland. Sie erklärt zum Beispiel, warum die Renditen für griechische Staatsanleihen in den vergangenen Wochen von 5,5 Prozent auf zwischenzeitlich mehr als neun Prozent gestiegen sind (Angst vor Syriza). Und sie erklärt, warum die Rückkehr der Eurokrise droht, sollte Syriza im kommenden Frühjahr an die Regierung kommen (kein gemeinsamer Nenner mit den Investoren).

Vor allem aber erklärt die Anekdote, warum die sogenannte Troika aus EU, EZB und IWF in Sachen Griechenland dieser Tage wieder einmal rumeiert. Die Troika würde nämlich gern den Druck auf den griechischen Regierungschef Antonis Samaras erhöhen. Zugleich weiß die Troika aber, dass sie das nicht kann. Denn die Alternative zu Samaras hieße Syriza.

Die Wirtschaft wächst um 0,7 Prozent ...

Auf den ersten Blick befinden sich die Griechen auf dem Weg der Besserung. Im Sommerquartal ist die Wirtschaft um 0,7 Prozent gewachsen und damit stärker als in jedem anderen Land der Eurozone; besonders im Tourismus läuft es. Sollte sich der Aufschwung verstetigen, dann ist im kommenden Jahr laut der Regierung in Athen sogar ein Plus von gut drei Prozent drin.

Die positiven Konjunkturdaten korrespondieren mit dem in der Nacht zu Montag verabschiedeten Haushalt. Dieser weist für 2015 nur mehr eine minimale Neuverschuldung aus. Die Troika allerdings ist trotzdem nicht zufrieden. Die Experten von EU, EZB und IWF argwöhnen, dass die Griechen sich ihren Haushalt schöngerechnet haben. Darum verlangen sie weitere Einsparungen in Höhe von rund zwei Milliarden Euro. Doch woher sollen die kommen?

... doch was bringt das nach einem Einbruch von 30 Prozent?

ARD-Korrespondent Thomas Bormann zeichnet ein Bild von Griechenland, das so gar nicht zu den vermeintlich positiven Wirtschaftsdaten passen will. Er berichtet von "langen Schlangen, die sich mittags vor den kirchlichen Suppenküchen bilden". Er erzählt von "Nebenstraßen, in denen zwei Drittel aller Geschäfte leer stehen". Er weiß von "jungen Familien, die zu den Großeltern aufs Land ziehen, weil sie sich das Leben in der Stadt nicht mehr leisten können".

Es stimme zwar, dass die Wirtschaft zuletzt um 0,7 Prozent gewachsen sei, sagt Bormann. "Aber was ist das gegen die fast 30 Prozent, die sie in den vergangenen Jahren eingebrochen ist?" Die allermeisten Menschen, so Bormann "spüren von einem Aufschwung nichts". Und, so sagt es Ahmet Cetinkaya, Griechenland-Experte der Wirtschaftsförderungsgesellschaft "Germany Trade & Invest": "Sie sind es leid, die aus ihrer Sicht sehr harten Sparmaßnahmen weiter zu tragen."

Die Regierung sitzt in einer Art Zeitfalle

Die Stimmung in der Bevölkerung nutzt zurzeit vor allem Syriza - denn die Partei von Oppositionsführer Alexis Tsirpas verspricht, die Vereinbarungen mit der Troika zu kündigen, sollte sie nach möglichen Neuwahlen an die Regierung kommen. Die Renten und der Mindestlohn würden steigen, der Schuldendienst vermutlich erst einmal eingestellt. In den Umfragen liegt Syriza vorn.

Samaras hingegen sitzt in einer Art Zeitfalle. Denn der Aufschung kommt für ihn zu spät - während das Auslaufen der Hilfsmaßnahmen zu früh kommt. Aus dieser Zeitfalle kann ihn nur die Troika befreien.

Eigentlich war geplant, dass die insgesamt 240 Milliarden Euro schweren Hilfsprogramme für Griechenland 2015 auslaufen - und die Athener Regierung dann an den Kapitalmarkt zurückkehrt. Die zuletzt wieder drastisch gestiegenen Anleiherenditen allerdings stellen dieses Ziel infrage. Denn Zinssätze von acht bis neun Prozent können sich die Griechen kaum leisten.

Darum ist nun im Gespräch, die Griechen doch noch einmal zu unterstützen. Zum einen geht es um 1,8 Milliarden Euro aus dem bestehenden Hilfsprogramm. Sie sollen in zwei Monaten fließen, obwohl Athen die Vorgaben der Troika nur teilweise erfüllt hat. Diesen Termin schlug die griechische Regierung am Nachmittag bei Gesprächen mit der Eurogruppe heraus - diese hätte dem Vernehmen nach einen deutlich späteren Zeitpunkt vorgezogen. Darüber hinaus sollen die Griechen frische zehn Milliarden Euro als "vorbeugende Finanzhilfen" erhalten. Dieses Geld soll die Rückkehr an den Kapitalmarkt erleichtern - und Samaras Zeit erkaufen.

Was, wenn es Neuwahlen gibt?

All diese Pläne könnten allerdings noch in diesem Monat zur Makulatur werden. Denn am 17.12. wählt das griechische Parlament einen neuen Staatspräsidenten. Der braucht laut Verfassung aber mindestens 60 Prozent der Stimmen - und über die verfügt Samaras' Regierung nicht aus eigener Kraft. Platzt die Präsidentenwahl, dann gäbe es Anfang 2015 vorgezogene Parlamentswahlen. Und dort hieße der Favorit dann Syriza.

"Samaras will Neuwahlen um jeden Preis verhindern", sagt ARD-Korrespondent Bormann. Sein Kalkül sei, durch die Unterstützung unabhängiger Abgeordneter irgendwie die 60-Prozent-Hürde für die Präsidentenwahl zu meistern - und dann darauf zu hoffen, dass sich die konjunkturelle Erholung verstetigt. "Reguläre Wahlen stehen erst im Juli 2016 an. Bis dahin könnte der Aufschwung tatsächlich bei den Menschen ankommen", sagt Bormann.

Aber geht diese Rechnung auf? "Nach dem krassen Wirtschaftseinbruch der vergangenen Jahre war klar, dass es irgendwann einen Umschwung geben würde", sagt Carsten Brzeski, Chefvolkswirt der ING Diba. "Genau das erleben wir gerade. Das heißt aber noch lange nicht, dass die griechische Wirtschaft jetzt auch dauerhaft wachsen wird."

Ralph Sina, R. Sina, WDR Brüssel, 08.12.2014 19:44 Uhr