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Gesetzlicher Mindestlohn "Drehen an der falschen Schraube"

Stand: 02.04.2014 19:18 Uhr

Nach langer Debatte und Kritik liegt der Entwurf zum gesetzlichen Mindestlohn nun vor. "Die Probleme der Hartz-IV-Aufstocker werden mit einem höheren Stundenlohn nicht gelöst", kritisiert der Arbeitsmarktexperte Karl Brenke im tagesschau.de-Interview, "es fehlen richtige Jobs".

tagesschau.de: Einer von mehreren Kritikpunkten am gesetzlichen Mindestlohn ist die Sorge, dass Arbeitsplätze vernichtet werden könnten. Welche Auswirkungen kann die Einführung von 8,50 Euro haben?

Karl Brenke: Das ist gegenwärtig schwer einzuschätzen. Diese Differenz zwischen aktuellen Niedriglöhnen und dem Mindestlohn ist ja teils erheblich, sie ist sehr viel größer, als es in anderen Ländern der Fall war.  Für viele Beschäftigte ist es ein erheblicher Sprung vom jetzigen Lohn zum Mindestlohn. Deshalb ist das Risiko, dass Mindestlöhne Arbeitsplätze kosten könnten, nicht von der Hand zu weisen. Wie hoch aber die tatsächlichen Beschäftigungsverluste sind, kann man zum jetzigen Zeitpunkt nur spekulieren.

tagesschau.de: Sind von solchen möglichen Beschäftigungsverlusten alle gleichermaßen betroffen?

Brenke: Nein, denn die Mindestlöhne wirken sehr selektiv. Sie betreffen vor allem kleine Betriebe.  Außerdem wirken sie im Osten fast doppelt so stark wie im Westen oder für Frauen sehr viel stärker als für Männer.

Zur Person
Karl Brenke studierte Soziologie, VWL und Statistik an der Freien Universität Berlin. Seit 1985 arbeitet er als Arbeitsmarktexperte am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung.

tagesschau.de: Woran liegt das?

Brenke: Frauen haben sehr viel häufiger gering bezahlte Jobs. Mindestlöhne wirken nur bei 10 Prozent der Männer, aber bei 20 Prozent der Frauen. Sie wirken sehr viel stärker bei Minijobs als bei Vollzeitbeschäftigung, und Minijobs werden sehr viel häufiger von Frauen ausgeübt als von Männern.

"Wenn Löhne steigen, steigen Preise"

tagesschau.de: In welchen Branchen könnten Jobs wegfallen?

Brenke: Es gibt da einen ganz einfachen Zusammenhang: Wenn Löhne steigen, werden auch Preise steigen. Zumal ja kleine Betriebe stärker betroffen sind. Die haben meist nicht so einen großen Puffer in ihrer Gewinnspanne. Es werden diejenigen Branchen betroffen sein, in denen die Verbraucher nicht bereit sind, höhere Preise zu bezahlen. Außerdem betreffen Mindestlöhne nicht alle Wirtschaftszweige gleichermaßen, sondern vor allem konsumnahe Dienstleistungen, wie zum Beispiel Gaststätten- oder Hotelgewerbe, oder den kleineren Einzelhandel.

tagesschau.de: Gibt es einen Ansatz, in welcher Größenordnung Arbeitsplätze wegfallen könnten?

Brenke: Man hat da keine richtigen empirischen Ansatzpunkte, um das vorab berechnen zu können. Die vielfachen Berechnungen, die es gibt, enthalten Annahmen, die höchst fragwürdig sind.

"Funktionieren oder Scheitern hängt an den Kunden"

tagesschau.de: Inwiefern sind die fragwürdig?

Brenke: Diese Berechnungen gehen davon aus, dass mit steigenden Löhnen die Nachfrage nach diesen Arbeitskräften um x Prozent nachlässt. Diese Zahl x kann man variieren, sie ist nicht durch empirische Untersuchungen verifiziert. Um es deutlich zu sagen:  Der Wert ist letztendlich frei erfunden.

Außerdem hängt ein Funktionieren oder Scheitern des Mindestlohns ganz stark vom Verhalten der Kunden ab: Akzeptieren sie steigende Preise und gehen weiter in die Gastronomie? Dann ist der Mindestlohn nicht schädlich. Es kann aber natürlich sein, dass sie sich in anderen Bereichen einschränken und beispielsweise weniger Möbel kaufen. Dann ist der Mindestlohn indirekt schädlich. Aber alles, was mit zukünftigem Verhalten zu tun hat, ist ohnehin schwer einzuschätzen. Damit begibt man sich auf Glatteis.

tagesschau.de: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles hat nochmal ihre Überzeugung bekräftigt, dass der Mindestlohn keine Arbeitsplätze kosten wird, und gesagt, sie gehe von "keinerlei Beschäftigungseffekten, weder im Positiven noch im Negativen" aus.

Brenke: Das muss sie ja auch. Die Bundesregierung kann ja kein Gesetz erlassen, bei dem von Anfang an feststeht, dass es Arbeitsplätze kosten wird. Wir sind in einer konjunkturell guten Situation, die Wirtschaft zieht also ohnehin an, weshalb wir die Mindestlohn-Effekte gesamtwirtschaftlich nicht so stark spüren.

"Es fehlen die richtigen Jobs"

tagesschau.de: Es geht bei der Einführung des Mindestlohns aber nicht allein um wirtschaftliche Aspekte, sondern dahinter steckt der politische Willen, dass Menschen für ihre Arbeit so bezahlt werden, dass sie davon leben können, und nicht zusätzlich Hartz IV beziehen müssen. Wird denn dieser Effekt eintreten?

Brenke: Nein, denn der allergrößte Teil derjenigen, die ihren Lohn aufstocken müssen, sind Menschen mit Teilzeit- oder Minijob. Man kann nicht erwarten, dass Menschen mit einem Minijob so viel verdienen, dass es zum Leben ausreicht. Diese Leute haben nicht das Problem, dass die Löhne zu gering sind. Sondern ihnen fehlen die richtigen Jobs, wir haben ein Unterbeschäftigungsproblem.

tagesschau.de: Es gibt aber auch Vollzeitbeschäftigte, die von ihrer Arbeit nicht leben können.

Brenke: Es gibt insgesamt rund 250.000 Vollzeitbeschäftigte, die aufstocken müssen, das ist richtig. Das Problem bei vielen von ihnen liegt aber nicht an einem zu niedrigen Stundenlohn, ein großer Teil von ihnen kommt bereits über 8,50 Euro. Viele von ihnen kommen deshalb nicht über die Runden, weil sie beispielsweise als Alleinverdiener mehrköpfige Haushalte versorgen müssen. Auch das löst man nicht mit einem höheren Mindestlohn. Der Gesetzgeber dreht da an der falschen Schraube. Denn man kann die Löhne ja nicht daran bemessen, wie groß die Haushalte sind, sondern daran, was der Markt hergibt.

Das Gespräch führte Anna-Mareike Krause, tagesschau.de.