Personalmangel nach Krise Der Gastronomie fehlen Arbeitskräfte
Die Corona-Krise hat das Gastgewerbe hart getroffen. In die Hoffnung auf die Wiedereröffnung mischen sich nun neue Sorgen. Viele Mitarbeiter haben sich Jobs in anderen Branchen gesucht und fehlen nun.
Der erste Eindruck vor dem Restaurant "Aposto" in Mainz täuscht: Vor der Pizzeria ist nichts los, die Tische sind coronabedingt gesperrt. Im Innern dagegen herrscht Hochbetrieb. Geschäftsführer Markus Hoffmann bringt mit seinem Team das Restaurant auf Betriebstemperatur. Die Schankanlage wird gereinigt, die Lüftungsfilter ausgetauscht und in der Küche werden neue Gerichte ausprobiert. Entwickeln sich die Inzidenz-Zahlen weiter positiv, kann das "Aposto" in wenigen Tagen wieder öffnen. "Bei uns herrscht große Vorfreude - gerade bei den Mitarbeitern, die in den vergangenen Monaten zu Hause zur Untätigkeit verdammt waren. Als Geschäftsführer hatte ich im Büro sehr viel zu tun. Ich bin froh, auch endlich wieder im Laden anzupacken", schildert der 48-Jährige seinen Gemütszustand.
Kurzarbeit half durch die Krise
Hoffmann hat fünf gastronomische Betriebe in Mainz: vom traditionellen Wirtshaus mit regionalen Spezialitäten bis zum Frühstücksrestaurant mit vielen vegetarischen Angeboten. Das Schlimmste sei im Lockdown die Hilflosigkeit gewesen, erzählt Hoffmann.
Zugesagte staatliche Hilfszahlungen blieben erstmal aus. In zwei Betrieben habe es echte Finanzprobleme gegeben. "Die Kurzarbeit hat aber sehr geholfen. Einige Mitarbeiter haben auch vorübergehend in anderen Betrieben ausgeholfen." Insgesamt sei er am Ende ganz ordentlich durch die Krise gekommen.
Das Restaurant "Aposto" in Mainz bereitet sich intensiv auf die Wiedereröffnung vor.
Arbeitskräfte sind plötzlich knapp
Hoffmann beschäftigt in seinen Restaurants 120 Festangestellte und bis zu 200 Aushilfen - je nach Saison. Vor allem im Sommer und in der Weihnachtszeit ist Hoffmann dringend auf Studierende und Minijobber angewiesen. Von den Aushilfen sind während des zweiten Lockdown aber mehr als die Hälfte abgesprungen.
"Sie sind jetzt im Einzelhandel und in Drogeriemärkten - etwa im Lager oder an der Kasse", sagt Hoffmann. "Viele arbeiten auch in Testzentren. Einige wollten in diesen Tagen eigentlich wieder zurückkommen. Die bleiben jetzt aber lieber im Testzentrum. Das sei erstmal sicherer, haben sie mir gesagt."
Auch Fachkräfte wandern ab
Auch einige Fachkräfte wie Köche hätten neue Jobs. Einer sei etwa zu einer Supermarktkette gegangen, erzählt Hoffmann. Dem früheren Mitarbeiter fehle zwar das Kochen, aber in der Krise habe er auch die Vorteile eines geregelten Arbeitstages ohne Wochenendarbeit zu schätzen gelernt.
Der Markt für Fachkräfte werde immer kleiner, bilanziert Hoffmann. "Kommt jetzt ein guter Sommer, dürfte die Nachfrage hoch sein", sagt er. In Israel und Großbritannien sei die Gastronomie regelrecht überrannt worden. "Das wünschen wir uns natürlich sehr! Aber das könnte mit unserem aktuellen Personalbestand knapp werden. Wir versuchen deshalb gerade, einige Leute schnell anzulernen. Aber das sind Aushilfskräfte, keine Profis."
Konkurrenz mit dem Einzelhandel
Mitten in der Krise hatten Einzelhändler gezielt um Arbeitskräfte aus dem Gastgewerbe geworben - mit dem Hinweis auf sichere Jobs auch in der Pandemie. Besonders umstritten war dabei ein Werbe-Post von Lidl in den sozialen Netzwerken mit dem Slogan "Bar war gestern". Vor allem die Initiative "Leere Stühle" aus Gastronomen, Hoteliers und Veranstaltern kritisierte das scharf.
Auf tagesschau-Anfrage bedauert der Discounter in einer Antwort die Aktion: "Es tut uns leid, dass wir mit dem (...) Post für Unmut gesorgt haben. Das Feedback auf unseren Social-Media-Kanälen dazu haben wir sehr ernst genommen und als Konsequenz entschieden, den Beitrag nach einem Tag zu löschen."
Zu der Frage, wie viele Arbeitskräfte Lidl im Lockdown aus der Gastronomie anwerben konnte, schweigt sich das Unternehmen mit Hinweis auf den Datenschutz aus.
Ausbildungsoffensive geplant
Beim Bundesverband DEHOGA in Berlin kennt Ingrid Hartges die Probleme von Gastronomen aus dem Krisen-Jahr. Die Gesamtbranche inklusive Hotellerie habe im ersten und zweiten Lockdown rund 62 Milliarden Euro verloren. Zur Einordnung: Vor Corona habe man 2019 einen Umsatz von 94 Milliarden gemacht.
Auch die Klage über zu wenig Arbeitskräfte ist inzwischen bei der Hauptgeschäftsführerin angekommen. "Ich habe schon Verständnis dafür, dass sich Mitarbeiter in Kurzarbeit nach kurzfristigen Alternativen umschauen. Nicht nur durch den Lebensmitteleinzelhandel hierzulande, auch durch Betriebe in Österreich oder der Schweiz haben Abwerbungen stattgefunden", sagt sie. Diese Arbeitskräfte seien erstmal weg. "Zahlen haben wir dazu noch nicht. Aber der Fachkräftemangel, unter dem wir wie viele andere Branchen schon vor Corona gelitten haben, dürfte sich nochmal verstärken."
Hunderttausende Mitarbeiter verloren
Im Vergleich mit dem Vor-Krisen-Jahr 2019 verlor das Gastgewerbe nach DEHOGA-Angaben 2020 mehr als 325.000 Mitarbeiter. Dabei waren die Beschäftigtenzahlen im Jahrzehnt zuvor stetig gewachsen. "Vor Corona galt unsere Branche als krisenfest und als Jobmotor. Hotels und Gaststätten waren zuverlässige Arbeitgeber. Derzeit sind wir noch mit der Krisenbewältigung beschäftigt. Aber in den nächsten Monaten müssen wir eine Ausbildungsoffensive starten."
Das scheint auch dringend notwendig. Die Branche steht vor einem strukturellen Zukunftsproblem. Nach einer Erhebung des Deutschen Industrie und Handelskammertages (DIHK) vom März dieses Jahres gab es 2020 deutlich weniger Auszubildene. Bei der sogenannten Systemgastronomie, also dem Management eines Hauses, gingen die Bewerberzahlen um mehr als 16 Prozent zurück. Bei den Köchen sanken die Zahlen sogar um knapp 20 Prozent.
"Makel einer unsicheren Krisenbranche"
Diese Entwicklung ist in den Mainzer Restaurants von Markus Hoffmann längst angekommen. "Wir brauchen Fachkräfte. An unseren Standorten haben wir sonst immer bis zu 15 Ausbildungsbewerber gehabt. Bei nationalen Koch-Wettbewerben schneiden unsere Azubis regelmäßig gut ab. Wir können wirklich etwas bieten. Aber wir haben derzeit gar keine Bewerbungen." Dabei liefen gerade die Abschlussprüfungen in den Schulen, sodass es die richtige Zeit wäre.
Beim Gang durch die Küche und durch das Restaurant schaut Hoffmann seinem Team zu, das die Wiedereröffnung vorbereitet. "Auch wenn die Arbeit manchmal hart ist - es macht echt Spaß! Jetzt aber haben wir den Makel einer unsicheren Krisenbranche. Ich hoffe, dass sich das ändert, wenn Corona mal durch ist. Aber wer weiß das schon?"