Weniger Fleisch im Sortiment Veggie-Boom auch beim Discounter
Der Discounter Lidl will Fleisch durch mehr pflanzliche Produkte ersetzen, Aldi auch bei Salami und Würstchen auf bessere Tierhaltung umstellen. Wird das die Konsumgewohnheiten verändern?
Seitan-Schnitzel, Soja-Hackfleisch oder Mortadella aus Erbsenproteinen: Veggie-Produkte liegen im Trend. Laut dem Statistischen Bundesamt stieg alleine im Jahr 2021 der Markt für Fleischersatzprodukte um 17 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Durch den Discounter Lidl könnte das künftig noch um einiges mehr werden - denn Lidl möchte sein Angebot umstellen.
Lidl wolle "als Alternative zu tierischen Proteinquellen den Anteil pflanzenbasierter Proteinquellen im Sortiment bis 2025 deutlich erhöhen", schreibt das Unternehmen auf Anfrage. Man sei sich der Tatsache bewusst, dass die Ernährung wesentliche Auswirkungen auf das Klima, die Biodiversität sowie auf die Gesundheit habe.
Handel womöglich schneller als die Politik
Die Entscheidung des Discounters könnte einiges in Bewegung bringen. Zwar ging der Fleischkonsum in den vergangenen Jahren zurück, trotzdem lag der Verzehr im Jahr 2021 laut Angaben der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung bei durchschnittlich 55 Kilogramm pro Kopf.
Es sieht so aus, als könnte Lidl mit seiner Ankündigung sogar die Politik überholen. Die Ampel hatte im Koalitionsvertrag vereinbart, pflanzliche Alternativen stärken und sich für "die Zulassung von Innovationen wie alternativen Proteinquellen und Fleischersatzprodukten in der EU" einsetzen zu wollen. Derzeit ist Cem Özdemirs Bundeslandwirtschaftsministerium aber noch dabei, eine Ernährungsstrategie konkret auszuarbeiten, mit der gesunde, pflanzliche Lebensmittel gestärkt werden sollen.
"Affront gegenüber Tierhaltern"
Beim Bayerischen Bauernverband stößt der Vorstoß des Discounters auf Unverständnis. "Für die Landwirte ist es erst einmal eine Kritik und ein Affront gegenüber allen, die Tiere halten. Sie können das nicht nachvollziehen", erklärt Isabella Timm-Guri, verantwortlich für den Fachbereich Erzeugung und Vermarktung beim Bayerischen Bauernverband.
Timm-Guri zufolge könne man Nachhaltigkeit und Klimaschutz auch anders erreichen. Zum Beispiel, indem der Einzelhandel seine Produktpalette an regionalen und saisonalen Lebensmitteln ausbaue. So oder so gehe sie davon aus, dass die Verbraucher einer "Bevormundung" durch Lidl nicht folgen und stattdessen auf andere Lebensmittelläden ausweichen werden. "Die Entscheidung, ob, wo und was ich genau esse, treffe ich doch als Individuum", so Timm-Guri.
Aldi will Sortiment bis 2030 umstellen
Unterdessen macht auch Aldi eine Ankündigung, die weitreichende Auswirkungen auf das Sortiment und auf die Tierhaltung in Deutschland haben könnte. Bis 2030 will der Discounter gekühlte Fleisch- und Wurstwaren vollständig auf die beiden höchsten Haltungsformen 3 und 4 umstellen.
Bei frischem Fleisch haben Aldi Nord und Süd schon 2021 angekündigt, sukzessive für mehr Tierwohl sorgen zu wollen. Dieses Versprechen gelte künftig auch für Produkte wie Salami, Kochschinken, Wiener Würstchen und Bacon, schreibt das Unternehmen in einer Mitteilung. So wolle Aldi "nicht nur neue Absatzmöglichkeiten für Landwirtschaft und Lieferanten ermöglichen, sondern auch das Tierwohl-Sortiment für seine Kundinnen und Kunden erweitern".
Landwirte unter Zugzwang
Minister Özdemir begrüßt diesen Schritt ausdrücklich. Fleischprodukte aus höheren Haltungsformen seien die Zukunft, so der Grünen-Politiker. "Der Fleischkonsum sinkt beständig und gleichzeitig wollen die Verbraucherinnen und Verbraucher, dass Tiere besser gehalten werden." Der Lebensmitteleinzelhandel signalisiere Landwirtinnen und Landwirten, dass die Nachfrage nach Produkten aus tiergerechterer Haltung steigt - ein Bekenntnis, das "heimischen Höfen eine planungssichere Perspektive" gebe.
Ganz so leicht dürfte es vielen Landwirten aber nicht fallen, das Angebot dafür zu schaffen. Momentan dominiert in vielen Supermärkten noch Fleisch aus der Haltungsform 2. Um auf Stufe 3 oder 4 "upzugraden", müssen Tierhalter ihre Ställe umbauen - also zum Beispiel für mehr Frischluft, Auslauf oder Beschäftigungsmaterial wie Scheuerwände sorgen.
Kritik von Foodwatch
Die Verbraucherschutz-Organisation Foodwatch geht nicht davon aus, dass der "Haltungswechsel" von Aldi das Tierwohl in Deutschland nachhaltig verbessert. Kranke Tiere gebe es in allen Haltungsformen, sowohl auf konventionellen als auch biologisch wirtschaftenden Höfen. "Gegen Krankheit und Elend von Millionen Tieren hilft keine irreführende Haltungskennzeichnung, sondern nur lückenlose Gesetze für mehr Tiergesundheit", sagt Annemarie Botzki von Foodwatch.
Die Ankündigung von Lidl, insgesamt weniger Fleischprodukte anzubieten, sei hingegen ein Schritt in die richtige Richtung - auch mit Blick auf die Umwelt. "Damit wir unsere Klimaziele erreichen, müssen wir auch an den Fleischsektor ran", sagt Botzki. Es gehe darum, die Tierhaltung stark herunterzufahren.
Foodwatch fordert eine Reduktion der Tierzahlen um mindestens die Hälfte. Der Vorstoß von Lidl, das Sortiment umzustellen, sei deshalb wichtig. "Weil das zeigt auch, wo wir gesellschaftlich stehen und wo wir hingehen", so Botzki.