Landwirtschaft Wer soll für bessere Tierhaltung zahlen?
Schweine sollen besser gehalten werden - dieses Ziel hat der neue Bundeslandwirtschaftsminister Özdemir verkündet. Doch wie neue Ställe und mehr Platz finanziert werden, ließ er bisher offen. Landwirte sind enttäuscht.
"Keine konkreten Aussagen zur Finanzierung, und die Haltungskennzeichnung wird buchstäblich filetiert", sagt Thorsten Staack, Geschäftsführer der Interessengemeinschaft der Schweinehalter Deutschlands (ISN). Er ist schon jetzt enttäuscht vom neuen Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Bündnis 90/Die Grünen). Dessen bisherige Pläne, die Tierhaltung zu verbessern, bezeichnet Staack als "undurchdachtes Stückwerk".
Schweinehalter-Verband: Pläne "enttäuschend"
Die Schweinehalter stünden wirtschaftlich mit dem Rücken zur Wand, so der ISN-Geschäftsführer. Sie erwarteten schnellstens ein schlüssiges Gesamtkonzept. In den nächsten Wochen werde sich zeigen müssen, ob Özdemirs Ansagen, bäuerliche Höfe erhalten zu wollen, nur klangvolle Sonntagsreden gewesen seien.
Der neue Minister betonte inzwischen mehrmals, Landwirtinnen und Landwirte unterstützen zu wollen, die Schweinehaltung in Deutschland tier- und umweltgerechter zu gestalten. Doch wie genau etwa neue Ställe mit Auslauf und mehr Platz für die Tiere finanziert werden sollen, das erklärte er bislang nicht.
"Keine Aussagen zu Einzelheiten"
Auf Nachfrage des NDR heißt es aus dem Bundeslandwirtschaftsministerium lediglich, die Investitionsförderung solle künftig auf gute Haltungsbedingungen ausgerichtet werden. Außerdem wolle das Ministerium ein Finanzierungssystem entwickeln, um die Betriebe verlässlich zu unterstützen. "Zu den Einzelheiten können wir zum jetzigen Zeitpunkt noch keine Aussagen treffen", schreibt eine Sprecherin.
Als einzige konkrete Maßnahme kündigte Özdemir eine verbindliche Haltungskennzeichnung an. Es sei wichtig, die Verbraucher in ihrer Einkaufsmacht zu stärken, sagte der neue Minister dem NDR. Wer Wert auf Fleisch von artgerecht gehaltenen Tieren lege, der solle das künftig auch können, so Özdemir; das Geld, was mehr bezahlt werde, solle dann wiederum bei den Landwirten landen.
Schweinehalter fordern Label auch für die Gastronomie
Doch das geplante staatliche Label soll zunächst nur im Handel gelten, nicht in der Gastronomie. Dabei kaufen die Menschen in Deutschland nach Schätzungen des Thünen-Instituts ihr Fleisch zwar zu etwa zwei Drittel im Supermarkt, Discounter oder in der Metzgerei, aber zu einem Drittel auch außerhalb des Handels - in Restaurants, Kantinen oder zum Beispiel auf dem Schützenfest.
Der Geschäftsführer der Interessengemeinschaft der Schweinehalter, Staack, fordert deshalb, dass die neue Haltungskennzeichnung auch für die Gastronomie gelten müsse. Gerade dort lande doch die anonyme Ware, bei der nicht ersichtlich sei, unter welchen Bedingungen sie erzeugt worden sei, so Staack - also genau die Ware, von deren Produktionsbedingungen man sich doch absetzen wolle.
Agrarforscher: nicht nur auf den Markt setzen
Der Agrarwissenschaftler Achim Spiller von der Universität Göttingen hält die Einführung eines gesetzlichen Labels grundsätzlich nicht für ausreichend, um die geforderten Veränderungen der Schweinehaltung zu finanzieren. Es sei eine Gefahr, wenn der Staat nur auf den Markt - also auf Verbraucher und Händler - setzen würde, sagt Spiller, der derzeit auch den wissenschaftlichen Beirat des Bundeslandwirtschaftsministeriums (BMEL) leitet.
Er vermutet, dass die Menschen in Zukunft zum einen aus Tier- und Klimaschutzgründen deutlich weniger Fleisch essen würden. Gleichzeitig seien die Anforderungen der Gesellschaft an eine zukünftige Tierhaltung hoch, so der Forscher; es gehe hier schon um eine Transformation so ähnlich wie in der Energie- oder Automobilwirtschaft. Da sind seiner Einschätzung nach erhebliche Investitionen auf den landwirtschaftlichen Betrieben nötig.
Finanzierungsvorschläge für bessere Tierhaltung
Der Agrarökonom fordert deshalb ergänzend zu einer verbindlichen Haltungskennzeichnung eine sogenannte Tierwohlabgabe von etwa 40 Cent pro Kilogramm Fleisch. Das Geld aus dieser Verbrauchssteuer solle direkt an die Landwirte weitergegeben werden, so Spiller, damit die in mehr Tierschutz investieren könnten.
Den Vorschlag hatte die sogenannte Borchert-Kommission, zu der auch Spiller gehört, in den vergangenen Jahren entwickelt. Das Gremium aus Vertreterinnen und Vertretern aus Wissenschaft, Politik und aus der Agrarbranche unter Leitung des ehemaligen Bundeslandwirtschaftsministers Jochen Borchert war gegründet worden, um eine Strategie für eine zukunftsfähige Nutztierhaltung zu entwickeln.
Alternativ zu einer Tierwohlabgabe schlug die Kommission vor, den reduzierten Mehrwertsteuersatz auf tierische Produkte von sieben auf neunzehn Prozent anzuheben. Denn bereits 2015 hatte der wissenschaftliche Beirat des BMEL errechnet, dass eine deutlich nachhaltigere Tierhaltung insgesamt zu Mehrkosten von drei und fünf Milliarden Euro pro Jahr führen würde.
Foodwatch fordert schärfere EU-Gesetze
Die Verbraucherschutz-Organisation Foodwatch kritisiert die Vorschläge der Borchert-Kommission und warnt, dass mehr Tierschutz nicht allein durch bessere Ställe, mehr Platz und Auslauf erreicht werden könne. Wichtiger sei eine Erfolgskontrolle, heißt es. Dafür könnten zum Beispiel Untersuchungen der Schlachtkörper Hinweise auf Krankheiten der Nutztiere liefern.
Foodwatch fordert vor allem schärfere Gesetze auf EU-Ebene, um ein zukunftsfähiges, klima- und tierfreundliches europäisches Agrarsystem zu schaffen. Zum einen müssten verbindliche Vorgaben für die Gesundheit der Nutztiere eingeführt werden, zum anderen Importkontrollen, damit Betriebe hierzulande nicht schutzlos Billigimporten aus Drittstaaten mit niedrigeren Standards ausgesetzt seien.