Senioren-WGs Rettung vor der Altersarmut?
Vor allem Frauen bekommen hierzulande oft weniger als 1.000 Euro Rente pro Monat. Gerade in deutschen Großstädten findet man damit kaum eine Wohnung. Können Senioren-WGs ein Weg aus der Altersarmut sein?
Eine Frauen-WG mitten in München, ähnlich wie bei Studenten, allerdings sind hier fast alle Bewohnerinnen längst in Rente. Und sie haben eins gemeinsam: Mit ihrem geringen Einkommen war es ausgeschlossen, in der Großstadt noch eine eigene Wohnung zu mieten.
Wie durch ein Brennglas tauchen bei den fünf Bewohnerinnen alle typischen Lebensläufe ihrer Generation auf. Elke hat jahrelang eine Angehörige gepflegt, neben ihrer Rente ist sie auf einen Minijob angewiesen. Wenn sie auf Veranstaltungen oder mal ins Kino gehen wollen würde, bräuchte sie noch einen zweiten Job. Die 89-jährige Cilly hat vier Kinder großgezogen. Nach 60 Jahren in ihrer Wohnung kam die Kündigung. Eigenbedarf.
Bei Veronika fällt die Rente durch Erziehungsurlaub und die Teilzeitbeschäftigung klein aus. Susanne suchte über ein Jahr nach einer bezahlbaren Wohnung, fand aber nichts. Und Ruth gehörte früher zwar zum guten Mittelstand, aber mit den Jahren rutschte sie in die Altersarmut und musste überlegen, ob sie sich einen Cappuccino im Café noch leisten kann.
Sie leben planbar und sicher
Neben den Gemeinschaftsräumen hat jede von ihnen ihren eigenen Bereich: Ein Ein-Zimmer Appartement von etwa 40 Quadratmetern, für rund 550 Euro warm. Und die Sicherheit, dass sie hier bleiben können, so lange sie wollen.
Vor ihrem Einzug waren die finanziellen Möglichkeiten, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen, deutlich eingeschränkt. Das Modell, in dem sie jetzt leben, wird von der Stadt finanziell gefördert und von einem gemeinnützigen Verein organisiert. Dazu gehören auch günstige Freizeitveranstaltungen.
Christa Lippmann ist Vorsitzende eben dieses Vereins. Sie engagiert sich seit über 30 Jahren für solche Wohnprojekte und hat sechs Senioren-WGs ins Leben gerufen. "Nachbarschaftlich leben für Frauen im Alter", heißt der eingetragene Verein. Die Nachfrage steigt und steigt, erzählt Lippmann: "Die Frauen rufen bei mir an und hoffen auf Hilfe. Aber ich kann ihnen in der Regel auch nicht helfen, weil wir nicht so viele Wohnungen haben und auch nicht so viele Wohnungen betreuen können."
Frauen haben oft geringere Renten
Männer bekamen 2022 im Durchschnitt rund 1.500 Euro Rente. Bei Frauen lag die Durchschnittsrente im vergangenen Jahr unter 1.200 Euro brutto. Davon gehen je nach Jahrgang noch Steuern ab. Aber diese Zahlen gelten nur, wenn man mindestens 35 Jahre eingezahlt hat. Die Krux: Viele Seniorinnen haben gar nicht 35 Jahre eingezahlt, Millionen Frauen haben weit weniger als 1.000 Euro im Monat.
Die Münchner Professorin Irene Götz hat sich sehr intensiv mit den Themen Altersarmut und Lebensbiographien beschäftigt: "Gerade Frauen haben meistens viel weniger Rentenpunkte erworben." Das liege etwa daran, dass viele Frauen Teilzeit arbeiteten, in sogenannten Minijobs, die kaum Rentenpunkte bringen. "Und das schließt eben auch Menschen ein, die früher in Rente gehen mussten, aus Gesundheitsgründen, die erwerbsgemindert waren oder eben diejenigen, die auch nicht ihr Leben lang Vollzeit gearbeitet haben", so die Professorin.
Mieten höher als die Rente
Gleichzeitig sind die Mieten in Ballungsgebieten längst davon galoppiert - nicht nur bei Luxus-Immobilien, sondern quer durch alle Wohnsegmente. Schon 2022 kostete eine 60-Quadratmeter-Wohnung mit einfachem Standard in Berlin durchschnittlich 500 Euro kalt. In vielen anderen Städten ist es noch teurer. Spitzenreiter ist München, mit 1.010 Euro Kaltmiete für 60 Quadratmeter. Dazu kommt: Kleine, günstige Wohnungen sind auf dem Immobilienmarkt besonders begehrt. Hunderte Interessenten pro Objekt sind keine Seltenheit.
Gerade einkommensschwächere Menschen haben es bei der Suche dann besonders schwer. Der Kölner Sozialwissenschaftler Frank Schulz-Nieswandt beobachtet die Entwicklung seit vielen Jahren. Und spricht Klartext: "Wenn Sie sich irgendwo bewerben, müssen Sie ihre Lohnauszüge, ihre Einkommensbescheide vorlegen. Und am liebsten wollen Vermieter einkommensstarke, junge, hübsche Menschen, und nicht vielleicht ältere Menschen." Er geht sogar noch weiter: "Wir haben Befunde darüber, dass es natürlich Formen der Diskriminierung im Wohnungsmarkt gibt, und eine Form ist auch Altersdiskriminierung."
Hinzu kommt: Nur eine Minderheit konnte zu Berufszeiten ein Vermögen aufbauen, von dem sie im Alter profitiert. Die Behauptung, dass viele Senioren noch andere Einkünfte hätten, lässt sich wissenschaftlich nicht halten. Ein Drittel habe eigentlich gar kein Geldvermögen im Alter, ein Drittel nur "Peanuts", und ein Drittel habe den gesamten Rest, sagt Schulz-Nieswandt.
WG-Suche online
Darum wächst der Bedarf an gemeinschaftlichem Wohnen. Auch weil die geburtenstarken Jahrgänge, die Babyboomer, in den kommenden Jahren in Rente gehen und es bei Millionen von ihnen finanziell knapp wird. Nach Auskunft von Internetplattformen steigt die Nachfrage für Senioren-WGs immer weiter an.
Auch Bärbel Stein und Helmut Martens haben sich als WG zusammengetan. Ihre Familie hat ein großes Haus im rheinland-pfälzischen Allendorf, das sie mit ihrer Rente gar nicht alleine unterhalten könnte. Er ist aus dem hohen Norden in den Südwesten umgesiedelt. Demnächst soll es hier Platz für insgesamt sieben Menschen geben. Deshalb hat ihre Tochter im Internet inseriert, um Wohnraum auch für andere zur Verfügung zu stellen.
Bärbel Stein kann so in ihrem Umfeld bleiben, mit Ärzten, Einkaufsmöglichkeiten und Nachbarn. Und Helmut Martens hatte vor Jahren einen Schlaganfall; das gemeinsame Wohnen beruhigt ihn. Und es bedeutet auch, dass man weniger vereinsamt und mehr finanziellen Spielraum hat - nicht nur bei der Miete, sondern auch wenn mal was kaputt geht.
Die Chemie muss stimmen
Experten raten aber gerade bei Senioren-WGs zu intensiven Vorgesprächen, damit es am Ende auch wirklich passt. So handhabt es auch die WG von Bärbel und Helmut. Es gibt ein Gästezimmer, und wenn jemand kommt, der sich für das Leben in der Wohngemeinschaft interessiert, kann er auf Probe mitwohnen.
Trotzdem: Die einkommensschwachen Senioren werden von der Politik häufig übersehen, monieren Experten. Vielleicht, weil sie eher im Stillen leiden und weniger Rabatz machen als andere Gruppen? Dabei sei es wichtig, dass die Politik hier vorsorgt, betont Irene Götz. Denn die Babyboomer, die jetzt in Rente gehen, bräuchten Wohnraum, seien aber auch offen für Experimente wie Alten-WGs oder Mehrgenerationen-Häuser. Dafür müsse es bezahlbaren Wohnraum geben.
Deshalb müsse die Politik ihr Koalitionsversprechen, Wohnungen zu bauen, jetzt wirklich ernster nehmen. Denn ohne neue Ideen wie organisierte Wohnprojekte oder private Zusammenschlüsse droht für Millionen Senioren eine Wohnungskatastrophe mit Ansage. Und eine Zukunft, in der die Rente vielleicht gerade noch für die Miete reicht, aber nicht mehr zum Leben.