Urteil des Bundesgerichtshofs Mehr Diesel-Fahrer können auf Schadensersatz hoffen
Der Bundesgerichtshof urteilt heute über sogenannte Thermofenster bei Dieselautos. Für Zehntausende Käufer könnte sich die Chance auf Schadensersatz verbessern. Grund ist neue europäische Rechtsprechung.
Es war eine Mammutverhandlung Anfang Mai beim Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe. Der Dieselsenat verhandelte über fünf Stunden lang über ausgewählte Dieselklagen, die beispielhaft sind für mehrere Zehntausend Klagen im ganzen Land. Drei BGH-Anwälte auf der Klägerseite, drei BGH-Anwälte auf Autoherstellerseite trafen in Karlsruhe aufeinander. Und gestritten wurde auf hohem juristischem Niveau. Eine "Werbung für die Rechtsanwaltschaft am Bundesgerichtshof" sei die Verhandlung gewesen, lobte dann auch die Senatsvorsitzende.
In der Sache geht es um Abschalteinrichtungen wie die sogenannten Thermofenster. Bei dieser Technologie wird die Abgasreinigung bei bestimmten Temperaturen heruntergefahren oder ganz abgeschaltet. Die meiste Zeit des Jahres, bei Außentemperaturen unter 8 oder über 15 Grad, werden die Abgase gar nicht gereinigt, so die Klage vieler Autokäufer. Auch Mercedes-Kunde Ugur Güzelkabakci meint: "Das war nicht fair von denen, dass so ein Weltkonzern wie Mercedes sich so etwas leistet." Die Thermofenster seien eine Manipulation. Seine Klage ist eine von drei ausgewählten Fällen, die am 8. Mai in Karlsruhe verhandelt wurden.
Bisher gab es keinen Schadensersatz
Die Autohersteller betonen seit langem: Thermofenster seien keine Manipulation, sondern dafür da, die Motoren zu schützen. Auch das Kraftfahrtbundesamt hatte die Thermofenster-Technologie genehmigt. Jahrelang konnten sich Dieselkunden bei den Thermofenstern keine Hoffnung auf Schadensersatz machen. Denn der Bundesgerichtshof lehnte alle Ansprüche ab. Er sah die Rechtslage anders als beim "Skandalmotor" EA 189 von Volkswagen.
Bei dem ging es um eine Betrugs-Software, die Testergebnisse auf dem Prüfstand manipulierte. Das Argument des obersten deutschen Zivilgerichts: Im Gegensatz zum Betrugsdiesel könne man bei den Thermofenstern nicht davon ausgehen, dass die Automanager vorsätzlich gegen Rechtsvorschriften verstoßen haben. Und fahrlässige Haftung sei nicht gegeben.
EuGH sieht Verstoß gegen EU-Recht
Mehrere verbraucherfreundliche Urteile des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) änderten dann die Situation. Im vergangenen Jahr hatte der EuGH zunächst entschieden: Thermofenster verstoßen gegen europäisches Recht. Nur in absoluten Ausnahmefällen seien sie erlaubt.
Im März dieses Jahres kam dann ein zweites Urteil des EuGH dazu. Das Gericht in Luxemburg entschied: Die EU-Vorschriften zur Genehmigung von Dieselfahrzeugen schützen nicht nur die Allgemeinheit vor dreckiger Luft, sondern seien auch für den Schutz der einzelnen Autokäufer da. Diese müssten die Möglichkeit haben, Schadensersatz einzufordern.
Welcher Schadensersatz wäre möglich?
Damit stellte sich auch in Deutschland erneut die Frage, ob jetzt Schadensersatz für die einzelnen Dieselkäufer möglich ist. In der über fünfstündigen Mammutsitzung vor dem BGH im Mai zeichnete sich ab: Die Chancen für Schadensersatz sind auch beim Thermofenster deutlich besser geworden. Die Karlsruher Richterinnen und Richter können sich unter Umständen doch mit einer fahrlässigen Haftung der Autokonzerne anfreunden.
Vollkommen offen ist jedoch die Frage, wie hoch der Schadensersatz für die Dieselkunden sein könnte und wie er zu berechnen ist. Beim BGH-Dieselsenat ließ sich in der Verhandlung jedoch eine Tendenz erkennen. Statt kompletter Rückabwicklung des Autokaufs könnte es Ersatz eines "Vertrauensschadens" geben - also Ersatz dafür, dass die Käufer darauf vertraut haben, dass in ihrem Wagen keine illegale Abschaltsoftware enthalten ist.
Ein solcher Schadensersatz würde den Minderwert eines Dieselautos mit Thermofenster berücksichtigen. Wie der Schaden dann aber zu berechnen wäre, ist vollkommen offen. Ebenso offen ist die Frage, welche Verjährungsfristen für die Millionen von Dieselkäufern gelten, die wegen eines Dieselmotors mit Thermofenster noch nicht geklagt haben.
Viel Arbeit für die Zivilgerichte
Sollte der Bundesgerichtshof heute grundsätzlich "Ja" zum Schadensersatz sagen, wird er für die unteren Instanzen genaue Vorgaben machen. Auf die Zivilgerichte käme dann viel Arbeit zu.
Die Gerichte müssten möglicherweise für jedes einzelne Diesel-Modell genau hinschauen: Ist wirklich eine verbotene Abschalteinrichtung verbaut? Und wieviel Geld gibt es im Einzelfall? Derzeit liegen bei den Zivilgerichten bereits mehrere zehntausend Klagen wegen der Diesel-Thermofenster.