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analyse

Wirtschaftliche Folgen Welchen Preis die Briten für den Brexit zahlen

Stand: 31.01.2025 14:26 Uhr

Fünf Jahre ist es her, dass das Vereinigte Königreich die EU verlassen hat. Die ökonomische Bilanz fällt ernüchternd aus. Doch der Weg zurück ist kein Thema - noch nicht.

Combie Crayan hat die Brauerei Round Corner Brewery kurz vor dem Brexit gegründet. 2018 war das. Und damals war es noch einfach und vor allem günstig, Bier nach Irland, Frankreich, Italien und Spanien zu exportieren.

"Wir hatten einen guten Absatzmarkt in Irland", sagt der Geschäftsführer der Brauerei in Melton Mobray. Es habe gerade mal 20 Pfund gekostet, ein paar Kisten zu verschicken, auch nach Italien, Spanien und Frankreich. "Jetzt geht das nicht mehr", sagt Combie Crayan.

Die Kosten sind das eine - dazu kommt, dass sie viele Papiere für den Export ausfüllen müssten. Es lohnt sich nicht mehr. Jetzt verkaufen sie deutlich weniger Bier nach Europa als vor dem Brexit.

Viel weniger Handel mit der EU

Sehr vielen kleineren britischen Unternehmen ist es genau so ergangen. Die London School of Economics kam in einer Untersuchung jüngst zu dem Ergebnis, dass 16.400 Unternehmen den Handel mit Partnern in der Europäischen Union eingestellt hätten. Sie mussten den Umsatz durch andere Geschäfte kompensieren, sich verkleinern; einige gingen Pleite.

Der Warenhandel mit der Europäischen Union ist aber sehr wichtig. 50,4 Prozent der Güter aus Großbritannien gehen nach Europa. Bei den Dienstleistungen sieht es anders aus: Dieser immer bedeutender werdende Zweig der Wirtschaft zeigte sich einigermaßen widerstandsfähig.

Keine besseren Handelsabkommen

Die Brexit-Befürworter hatten stets versprochen, dass der Austritt auch ermöglichen werde, neue Handelsabkommen mit anderen Ländern abzuschließen und so Wachstum zu generieren. Da bleiben die Ergebnisse allerdings hinter den Ankündigungen zurück.

Die britische Regierung konnte nach dem Austritt gerade einmal Abkommen mit Australien und Neuseeland abschließen und mit den Ländern der Trans-Pazifischen Partnerschaft (CPTPP).

Ein sehnlich erhofftes Abkommen mit den USA steht aus. Schlimmer noch: US-Präsident Trump droht mit Zöllen und Einfuhrhindernissen. Die Aussichten für den Handel mit dem zweitwichtigsten Partner für Großbritannien sind also derzeit auch nicht gut.

"Eine deutliche Auswirkung"

Diese Einbußen beim Handel haben Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum, also die gesamtwirtschaftliche Entwicklung. Wirtschaftswissenschaftler merken an, dass der Brexit-Effekt nicht so einfach von anderen Entwicklungen zu trennen ist: Corona-Krise mit Lockdown, Krieg in der Ukraine.

Doch die Wirtschaftsbehörde OBR (Office for Budget-Responsibility), die Prognosen für die Regierung erstellt und auch eine Aufsichtsfunktion hat, kommt zu dem Schluss, dass mittelfristig der Brexit vier Prozent Wirtschaftswachstum kostet. Anand Menon, Professor am King's College London und Direktor des Instituts "UK in a Changing Europe" nennt das "eine deutliche Auswirkung".

Investitionen stark zurückgegangen

Er weist auch darauf hin, dass die Investitionen stark zurückgegangen sind seit dem Brexit. Im jüngsten Bericht des Think Tank wird die Rolle der Europäischen Investitionsbank beschrieben. Diese Institution gibt Geld für Investitionsprojekte in Ländern der Europäischen Union. 2016 erhielt Großbritannien beispielsweise acht Milliarden Pfund - in Preisen von heute.

Annette Dittert, ARD London, mit einer Übersicht zu den Folgen des Brexit vor fünf Jahren

tagesschau24, 31.01.2025 16:00 Uhr

Nach dem Austritt aus der EU war der Weg zu Investitionshilfen und Darlehen der EIB verstellt. Die Regierung setzte andere britische Institute ein, die die Lücke füllen sollten - was aber nicht gelang: Diese Banken leisten gerade einmal ein Drittel des Volumens der EIB.

Auch für Landwirte ist die Bilanz eher schlecht. Der Fachinformationsdienst "Farmers Weekly" hat Landwirte gefragt, wie sie die Auswirkungen des Brexit einschätzen. Von 900 Personen haben 70 Prozent angegeben, dass die Folgen negativ seien. Die Bauern erhalten weniger Subventionen, wichtige Absatzmärkte sind weggefallen.

Der Brexit wird nicht hinterfragt

Jonathan Portes, Wirtschaftsprofessor am King's College London, sagt, die Auswirkungen des Brexits seien negativ gewesen - aber keine Katastrophe. Jetzt lässt sich darüber streiten, was eine Katastrophe ist und welchen Preis viele Britinnen und Briten zahlen, wenn das Wachstum geringer ausfällt. Und was sie dafür bekommen haben - oder eben nicht.

Die Regierung wäre auf jeden Fall froh, dieses verloren gegangene Wachstum wieder verzeichnen zu können. Denn die Steuereinnahmen reichen nicht aus, um alle nötigen Reformen und Investitionen anzuschieben.

Doch der Brexit wird nicht in Frage gestellt. Die Labour-Regierung meidet diese Debatte und befürchtet, eine entsprechende Diskussion würde alte Wunden aufreißen und Wählerstimmen kosten. Eine Annäherung an die EU soll es richten.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 31. Januar 2025 um 06:46 Uhr.