Arbeit der Fahrradkuriere Spanien will Festanstellung per Gesetz
Ein Novum in Europa: Spaniens Regierung will Lieferdienste - eine Boom-Branche der Pandemie - zur Festanstellung ihrer Fahrradkuriere verpflichten. Nicht alle Kuriere sind begeistert.
In Zeiten der Corona-Pandemie sind sie noch populärer geworden, ihr Geschäftsmodell boomt gehörig: Fahrradkuriere, die im Auftrag von Internet-Plattformen wie Uber Eats, Deliveroo oder Glovo Essen ausliefern, sind bei ihren Kunden sehr beliebt. Doch sie werden oft ein wenig mitleidig angesehen. Fahrradkuriere oder "Rider", wie sie auch genannt werden, strampelten sich für Hungerlöhne ab und bewegten sich immer am Rand der Selbstausbeutung. "Sklaven des 21. Jahrhunderts" seien sie, meinen nicht wenige Kritiker.
In der Pandemie sank der Stundenlohn
In Spanien soll sich das jetzt grundlegend ändern. Die linke Koalitionsregierung von Ministerpräsident Pedro Sánchez will Lieferdienst-Plattformen per Gesetz verpflichten, die Kurierfahrer künftig festanzustellen. Das Gesetz soll am heutigen Donnerstag im spanischen Parlament verabschiedet werden, die Unternehmen hätten dann drei Monate Zeit, die Arbeitsverhältnisse umzustellen. Ziemlich revolutionär: Arbeitsministerin Yolanda Díaz von linken Bündnis Unidas Podemos klopft sich denn auch auf die eigene Schulter. "Es gibt kein einziges Land auf der Welt, das es bisher gewagt hat, diesen Bereich gesetzlich zu regeln." Das neue Gesetz werde "die Zeichen der Zeit" ändern.
Bei Ridern wie Fernando Garcia rennt die Arbeitsministerin offene Tore ein. Der junge Mann ist in Madrid als Kurier freiberuflich für verschiedene Apps unterwegs. Und seine Bilanz nach mehr als einem Jahr Pandemie fällt ernüchternd aus. Die Nachfrage steigt, die Bezahlung sinkt. "Sehen Sie, bei einer App ist der Grundtarif pro Fahrt von 2,50 Euro auf 1,20 Euro gesunken", sagt Fernando. "Die können machen, was sie wollen. Sie schreiben uns permanent Tarifanpassungen vor, je nachdem, wie es ihnen in ihre Berechnungen passt. Niemand fragt uns."
Fernando arbeitet rund 35 Stunden in der Woche und verdient etwa tausend Euro im Monat. Für Sozialabgaben, Fahrrad und Handy muss er selbst aufkommen. All das würde sich durch das neue Gesetz grundlegend ändern. "Mit einem Vertrag hätte ich Rechte", sagt er. "Ich verdiene nicht mehr Geld, aber ich bin sozialversichert, wenn ich krank werde, einen Unfall habe, entlassen werde. Diese Garantien haben ihren Preis. Aber für uns bedeutet das mehr Sicherheit. Wir leben doch in Europa."
Viele Kuriere möchten Selbstständigkeit behalten
Und so könnte man meinen, dass das Gesetz auf die ungeteilte Zustimmung zumindest der spanischen Rider-Community stoßen wird. Doch dem ist nicht so. Heute werden sich vor dem Parlament viele Fahrrad-Kuriere zu einer Protest-Demo versammeln. Sie finden das neue Gesetz grundfalsch und beklagen, dass die Regierung sie im Vorfeld nie angehört habe. Einer, der in Madrid demonstrieren will, ist Jordi Mateo aus Barcelona, 29 Jahre alt. In Spanien gibt es mehrere Verbände für Kuriere, Jordi ist Präsident der Berufsvereinigung der Rider, APRA. "Ich mag dieses Gesetz überhaupt nicht. Ich möchte weiter als Selbstständiger arbeiten können und die Freiheit haben, zwischen den verschiedenen digitalen Plattformen auswählen zu können. Es schadet uns sehr, wenn wir diese Wahlfreiheit verlieren."
Jordi kommt in Fahrt und rechnet vor, dass es in Spanien etwa 30.000 freiberufliche Rider gebe. Es sei wenig realistisch, dass alle festangestellt würden. Wahrscheinlich eher nur wenige - vielleicht gerade mal 25 Prozent. Und die bekämen dann Verträge zu schlechten Bedingungen. "Es gibt schon jetzt Erfahrungen mit festen Verträgen. Die sehen 15 Arbeitstage im Monat vor, mit 15 bis 20 Wochenstunden. Da kommst du dann auf einen Monatsverdienst von 500 oder 600 Euro." Jordi fordert deswegen neue Lösungen. Es müsse doch möglich sein, dass die Kuriere ihre Preise als Kollektiv selbst verhandeln könnten. Aber das ließen die spanischen Gesetze derzeit nicht zu. Das alte Modell von Tarifparteien, von Gewerkschaften und Arbeitgebern, passe nicht mehr ins 21. Jahrhundert.
Auch die Arbeitgeber zeigen sich von dem neuen Gesetz - kaum überraschend - wenig begeistert. Beim spanischen Verein für Digitalwirtschaft "Adigital" erklärt man, dass mit diesem Gesetz enorme Job-Möglichkeiten verloren gehen könnten. "Es müssen innerhalb kürzester Zeit eine Menge Leute eingestellt werden. Ganz egal, wie hoch der Unternehmensumsatz ist", sagt Sprecherin Marta Becerra. "Das ist nicht leicht zu verwirklichen. So könnten drei Viertel der 30.000 Lieferanten leer ausgehen und ihren Job verlieren."
Regelung setzt Vorgaben des Obersten Gerichts um
Allerdings ist das neue Gesetz auch eine Antwort auf gültige Rechtsprechung. Denn Spaniens Oberstes Gericht hat bereits entschieden, dass Beschäftigte auf Fahrrädern oder Motorrädern nicht als Selbständige behandelt werden dürfen.
Die Gesetzesinitiative der Arbeitsministerin Díaz geht in einem Punkt noch weiter: Die Plattformen sollen ihre Algorithmen an die Gewerkschaften übermitteln. Auch das eine Premiere in Europa. Die Algorithmen bestimmen nach gewissen Kriterien wie etwa Schnelligkeit und Zuverlässigkeit, welche Kuriere einen Auftrag bekommen und wie sie dafür bezahlt werden. Der Algorithmus einer Firma soll Lebensläufe für die Einstellung von Kurieren ausgewählt und dabei Frauen in gebärfähigem Alter gleich aussortiert haben. Dem soll das neue Gesetz einen Riegel vorschieben.
Wie aber schützt man die Rechte der Beschäftigten, ohne dabei ihre Jobmöglichkeiten zu gefährden? Es bleibt ein schwieriger Balanceakt, gerade in Spanien mit einer immer noch hohen Jugendarbeitslosigkeit. Das neue Rider-Gesetz ist ein erster Versuch, der auch anderswo in Europa sicherlich aufmerksam verfolgt wird.