Zuwanderung nach dem Brexit British first - economy last?
Der Brexit naht - und damit auch das Ende der Freizügigkeit für europäische Arbeitnehmer. Laut einem Papier des Innenministeriums ist die Stoßrichtung klar: Es sollen deutlich weniger Menschen auf die Insel kommen als bisher. Das gefällt längst nicht jedem. Von Stephanie Pieper.
Der Brexit naht - und damit auch das Ende der Freizügigkeit für europäische Arbeitnehmer. Laut einem Papier des Innenministeriums ist die Stoßrichtung klar: Es sollen deutlich weniger Menschen auf die Insel kommen als bisher. Das gefällt längst nicht jedem.
"British workers first": Diese Botschaft zieht sich - zumindest zwischen den Zeilen - durch das Dokument aus der Feder des Innenministeriums. Es datiert aus dem August und ist jetzt durchgesickert. Unternehmen sollen demnach nach dem Brexit motiviert werden, offene Stellen mit hiesigen Arbeitnehmern zu besetzen.
Deutlich erschwert werden soll deshalb, Mitarbeiter aus der EU zu rekrutieren. Schluss mit dem ungebremsten Zuzug vom Kontinent - diese Marschrichtung bekräftigte heute die konservative Premierministerin Theresa May, bei ihrem ersten Auftritt im Parlament nach der Sommerpause:
Die Menschen wollen eine Kontrolle der Zuwanderung, das wollen sie als Ergebnis des EU-Austritts sehen. Und wir als Regierung meinen, dass es wichtig ist, eine Netto-Zuwanderung von unter 100.000 Menschen im Jahr zu haben - wegen der Auswirkungen, die Zuwanderung gerade auf Menschen mit niedrigen Einkommen hat.
Die britische Premierministerin May will weniger Menschen in ihr Land lassen.
Hohe Hürden für niedrig Qualifizierte
Besonders hohe Hürden soll es - dem Papier zufolge - künftig geben, gering Qualifizierte aus der EU einzustellen: Sie sollen nur für maximal zwei Jahre eine Aufenthaltserlaubnis erhalten. Höher Qualifizierte dürfen demnach auf eine etwas längere Arbeitsgenehmigung von bis zu fünf Jahren hoffen. Der Familiennachzug würde eingeschränkt.
Diese neuen Spielregeln sollen schrittweise nach dem Brexit im Frühjahr 2019 eingeführt werden - müssen aber noch zwischen den Ministerien abgestimmt werden und stoßen angeblich bei einigen auf Widerstand, auch beim Londoner Bürgermeister Sadiq Khan von der Labour Party: "Dieser extreme, harte Brexit ist eine Blaupause, um die Wirtschaft der Hauptstadt abzuwürgen. Ich spreche regelmäßig mit Unternehmenschefs, mit Arbeitgebern hier in London - und ich weiß deshalb, welchen positiven Beitrag EU-Bürger leisten."
Details weiter offen
Das Innenministerium selbst schreibt, dass die Details noch mit der EU zu verhandeln sind - denn der Deal über die künftigen Wirtschaftsbeziehungen dürfte auch daran gekoppelt sein, wie offen der britische Arbeitsmarkt ist. Gleichwohl will die Regierung May bereits im Herbst ihr Weißbuch zur Zuwanderungspolitik vorlegen; Anfang nächsten Jahres könnte dann der Gesetzentwurf folgen.
Die jetzt bekanntgewordene Stoßrichtung ist ganz im Sinne von Alp Mehment von der Organisation Migration Watch, die sich für weniger Einwanderung einsetzt: "Wir begrüßen diese Vorschläge, weil wir damit endlich die Zahl der Zuwanderer kontrollieren können", sagt sie. "Die meisten Menschen aus der EU kommen hierher, um zu arbeiten - 80 Prozent von ihnen haben jedoch Jobs, für die es nur geringe Qualifikationen braucht."
Wirtschaft befürchtet Probleme
Derzeit sind in britischen Hotels, Pubs und Restaurants, in Agrarbetrieben und in der Lebensmittelproduktion, in Arztpraxen und Krankenhäusern besonders viele EU-Ausländer beschäftigt. Die rund drei Millionen, die jetzt schon in Großbritannien leben und arbeiten, sind von einer Neuregelung nicht betroffen; sie sollen ein nahezu uneingeschränktes Bleiberecht erhalten.
Es müsse aber auch künftig möglich sein, neues Personal aus der EU einzustellen, fordert Edwin Morgan vom arbeitgebernahen Institute of Directors: "Die Arbeitslosigkeit liegt bei unter fünf Prozent; die Frage ist also, wie die Firmen ihre offenen Stellen besetzen sollen, wenn wir plötzlich die Zuwanderung aus der EU massiv senken. Wenn es dazu käme, würde dies der Wirtschaft erheblich schaden."
Entsteht ein Arbeits-Schwarzmarkt?
Der Dachverband der britischen Gewerkschaften befürchtet, dass sich ein Schwarzmarkt bilden könnte, auf dem EU-Migranten ausgebeutet werden könnten. Im vergangenen Jahr kamen rund 250.000 EU-Bürger neu auf die Insel, während fast 120.000 das Land verließen - wie das nationale Statistikamt mutmaßt, auch wegen des Brexit.