Eine Kinderzahnärztin untersucht ein dreijähriges Kind.
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Ursachen noch immer unklar Jedes siebte Kind weltweit hat Kreidezähne

Stand: 02.03.2025 08:11 Uhr

Fleckig, porös, kariesanfällig - Kreidezähne. Kinder haben oft Schmerzen, wenn sie Heißes oder Kaltes essen, und auch das Zähneputzen kann wehtun. Die Ursachen sind nach wie vor unklar.

Von Birgit Augustin, NDR

Bei Paula ging es mit sechs Jahren los. Der erste Backenzahn, der durchbrach, war verfärbt, ein kleines Stück schon abgebrochen. Bei kalten Getränken oder heißem Essen tat ihr der Zahn weh. Die Diagnose: Eine Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation (MIH), im Volksmund auch "Kreidezahn" genannt.

Das Spektrum reicht von ganz kleinen Verfärbungen bis hin zu gelb-bräunlichen Zähnen, die bereits anfangen, zu bröseln. Oft sind Kreidezähne zudem sehr empfindlich, die Kinder lassen sich dann beim Essen sehr viel Zeit, weil es mit Schmerzen verbunden sein kann. Auch Zähneputzen tut möglicherweise weh.

Meist sind einzelne oder mehrere der bleibenden Backenzähne (Molaren) betroffen, also diejenigen, die mit sechs oder sieben Jahren durchbrechen. Seltener lässt sich MIH auch an den Schneidezähnen (Inzisiven) feststellen.

Die Mineralisation der bleibenden Zähne findet rund um die Geburt statt, also in den letzten Schwangerschaftswochen und in den ersten Lebensjahren. Dann werden Kalzium und Phosphat in den Zahnschmelz eingelagert, was ihn aushärtet und die Zähne widerstandsfähig macht. Hypomineralisation bedeutet, dass nicht ausreichend dieser wichtigen Mineralstoffe eingelagert werden - der Zahnschmelz bleibt weich.

Sogenannte "Kreidezähne" -  Farbveränderungen, hier an den Vorderzähnen eines Kindes

Mal sind es ganz kleine Verfärbungen, bis hin zu gelb-bräunlichen Zähnen, die bereits anfangen, zu bröseln. Oft sind Kreidezähne zudem sehr empfindlich. Auch Zähneputzen tut möglicherweise weh.

Kreidezähne - ein weitverbreitetes Phänomen

Die letzte deutsche Mundgesundheitsstudie, die 2016 veröffentlicht wurde, hatte auf Basis einer repräsentativen Umfrage unter Zahnmedizinerinnen und Zahnmedizinern konstatiert: 28,7 Prozent der Zwölfjährigen hätten mindestens einen hypomineralisierten Zahn mit MIH.

Bei einer weltweiten Übersichtsstudie von 2018 wurde die Zahl der Betroffenen auf 13 bis 14 Prozent der Kinder geschätzt. Dafür wurden 99 Studien mit mehr als 113.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern ausgewertet.

Für Deutschland wird es bald aktuelle Zahlen geben, die 6. Deutsche Mundgesundheitsstudie wird in Kürze veröffentlicht. Katrin Bekes, Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Kinderzahnmedizin (DGKiZ) lässt durchblicken, dass die neuen Zahlen nicht mehr ganz so hoch ausfallen werden wie noch bei der 5. Mundgesundheitsstudie.

Zudem sei der Großteil der Kreidezähne nur mild betroffen - beim letzten Mal hätten 81 Prozent der Kinder nur eine Verfärbung gehabt, keinen Einbruch. "Auf der anderen Seite: Wir sehen auch viel mehr dieser stark bröselnden, zerstörten Zähne, die sich komplett anders darstellen als ein kariöser Prozess, das kann man sehr stark abgrenzen. Und das sehen wir auch mehr", so Bekes.

Ursachen nach wie vor unklar

Obwohl die Erkrankung schon 1987 von schwedischen Wissenschaftlern erstmals beschrieben und 2001 mit klaren Kriterien definiert wurde, tappt die Zahnmedizin bei der Ursachenforschung nach wie vor im Dunkeln. Diskutiert wird, ob etwa eine Frühgeburt den Mineralisationsprozess unterbrechen kann. Oder ob Erkrankungen der unteren Atemwege, Lungenentzündungen oder Asthma eine Rolle spielen.

Ebenfalls in der Diskussion: Die Gabe von Antibiotika. Zahnmedizinerin Bekes räumt ein, dass es all diese Faktoren auch schon vor 50 Jahren gegeben habe, das Krankheitsbild aber nicht so präsent gewesen sei wie heute. "Das heißt, es muss sicherlich irgendwas aus der Umwelt dazukommen, aber das haben wir momentan noch nicht gelöst." Sie vermutet, dass mehrere Faktoren zusammenkommen müssen, damit Kreidezähne entstehen.

Bisphenol A, ein schon seit Jahren in Fläschchen für Kinder und Säuglinge verbotener Weichmacher und vor einigen Jahren noch als heiße Spur im Fokus, ist nach derzeitiger Einschätzung des Bundesamtes für Risikobewertung (BfR) als Auslöser eher unwahrscheinlich.

Auch die These, die mangelnde Mineralisation der Zähne seit auf einen Vitamin D-Mangel zurückzuführen wird diskutiert, lässt sich jedoch wissenschaftlich derzeit nicht belegen.

Das Problem bei der Ursachenforschung: Wenn sich ein Kreidezahn, meist im Alter von sechs oder sieben Jahren, zeigt, liegt die unvollständige Mineralisation schon lange zurück.

Keine Prävention - aber Früherkennung

Kreidezähne lassen sich also nicht verhindern. Nur früh erkennen und behandeln. So plädiert etwa Gabriela Haas, im Vorstand der Zahnärztekammer Schleswig-Holstein zuständig für Prävention, für regelmäßige Zahnarztbesuche ab dem ersten Milchzahn - damit die Kinder vertrauen fassen - und um den Eltern möglichst frühzeitig Tipps geben zu können, sollte sich ein Kreidezahn zeigen.

Saures, zum Beispiel, sollte dann gemieden werden. "Säure greift ja noch mal den Zahnschmelz an. Ganz schlimm ist Apfelsaftschorle, je mehr die verdünnt wird, desto saurer ist der pH-Wert", so Zahnärztin Haas. Zudem sei es wichtig, Zucker möglichst zu vermeiden, da der den Kariesbakterien Futter biete. Karies ist für ohnehin schon angegriffene Kreidezähne ein noch größeres Problem als für gesunde Zähne.

Individuelle Behandlung

Wie Kreidezähne zu behandeln sind, richtet sich nach dem Grad der Erkrankung und wird individuell festgelegt. Neben regelmäßigen zahnärztlichen Kontrollen alle drei bis sechs Monate, der Anwendung von Fluoridlack und fluoridierter Zahnpasta, gibt es unterschiedliche Therapiemöglichkeiten.

Bei einer leichten MIH können die betroffenen Zähne mit Pasten, die Kalzium und Phosphat enthalten, behandelt werden und die Fissuren, also die Rillen auf den Kauflächen, werden in der Regel versiegelt.

Bei einer mittelschweren MIH rät Antje Geiken, Leiterin des Funktionsbereiches Kinder- und Jugendzahnmedizin am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein in Kiel, zunächst zu einer provisorischen Versorgung des Zahns, um Schmerzfreiheit zu schaffen.

Erst dann kann eine Füllung gelegt werden oder eine Kinderkrone aus Stahl den Zahn schützen. "Im extremsten Fall, wenn das Kind sehr starke Schmerzen hat, der Zahn sehr stark von der MIH betroffen ist, dann kann man einen solchen Zahn auch extrahieren, also ziehen. Das sind glücklicherweise die seltenen Fälle", so Geiken.

Auch Paula ist das erspart geblieben. Ihre leicht betroffenen Zähne wurden versiegelt und ihr maroder, stark befallene Kreidezahn erhielt eine Füllung. Die muss zwar regelmäßig kontrolliert und ausgebessert werden, aber Essen ist längst kein Problem mehr. Nur wenn sie sehr kaltes Eis isst, spürt sie ihren Problemzahn hin und wieder noch.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die Sendung "Visite" am 11. Februar 2025 um 20:15 Uhr im NDR.