Neue Forschungen Kooperation oder Konkurrenz - was ist besser?
Zwei neue Studien zum Entscheidungsverhalten in sozialen Konfliktsituationen zeigen, wo die Forschung bisher falsch lag. Besondere Bedeutung haben nämlich Gedächtnis und Mitgefühl.
"Der Klügere gibt nach", "Konkurrenz belebt das Geschäft" oder "Wer zuerst kommt, mahlt zuerst" - es gibt viele Redewendungen, die vermeintliche "Regeln" für ein erfolgreiches Leben formulieren wollen. Geht es darum, den eigenen Vorteil zu maximieren, oder sollte man das Wohl aller im Blick haben?
In den 1980er-Jahren machte ein Gedankenexperiment dieses Dilemma anschaulich: das sogenannte "Gefangenendilemma" des US-amerikanischen Politikwissenschaftlers Robert Axelrod. Viele Überlegungen aus diesem Experiment sind in Management-Handbücher und Führungskräfte-Seminare eingegangen. Doch jetzt zeigt die neueste Forschung einer Mathematikerin: Was man glaubte, aus dem Experiment zu lernen, ist wohl nicht ganz richtig.
Das Gefangenendilemma - ein Klassiker der Spieltheorie
Das ist das Gedankenexperiment: Zwei Häftlinge sitzen aufgrund eines kleinen gemeinsamen Vergehens in Haft. Beide haben jedoch noch mehr auf dem Kerbholz, und die Polizei versucht, sie durch eine Kronzeugenregelung zu einer Aussage zu bewegen: Wer den anderen verpfeift, kommt frei, während der andere eine extrem lange Strafe absitzt.
Gesteht man, erhält man eine längere Haftstrafe, allerdings bliebe einem die extrem lange Strafe erspart, falls der andere einen verrät, weil man mit den Ermittlungsbehörden kooperiert hat. Schweigen beide, bleibt es für beide bei der bisherigen kurzen Haftstrafe. Am besten wäre es demnach für beide, zu schweigen. Damit wäre das beste kollektive Ergebnis erreicht und konkurrierender Eigennutz verhindert. Aber wie erreicht man dieses Ergebnis am sichersten?
Das Dilemma besteht darin, dass keiner der beiden Häftlinge weiß, wie der andere sich entscheiden wird. Sollte man auf Kooperation setzen und schweigen, in der Hoffnung, dass der andere ebenso handelt? Oder ist es besser, auf Nummer sicher zu gehen und zu gestehen, um sich selbst zu schützen? Oder lieber egoistisch handeln und den anderen denunzieren, mit der Chance, in Freiheit entlassen zu werden?
Nikoleta Glynatsi, Mathematikerin am RIKEN-Institut für Computerwissenschaften in Kobe (Japan), erklärt, mathematisch betrachtet scheint die Sache klar zu sein: "Die Mathematik zeigt uns, dass man immer egoistisch handeln sollte, weil es kostspielig ist, selbstlos zu sein, und man sich nie sicher sein kann, ob sich diese Großzügigkeit jemals auszahlt."
Warum Egoismus keine langfristige Lösung ist
Doch die Mathematik hat ihre Grenzen. Wird das Experiment mehrfach wiederholt, wie es in der Realität oft der Fall ist - wir begegnen Menschen immer wieder - zeigt sich: Die rein egoistische Strategie macht langfristig alle zu Verlierern. Der Politikwissenschaftler Robert Axelrod in den 1980er-Jahren meinte deshalb, die erfolgreichste Startegie sei, erst mit Kooperation zu beginnen und dann das zu spiegeln, was das Gegenüber macht, die "Tit-for-Tat"-Strategie ("Wie du mir, so ich dir").
Doch Glynatsis aktuelle Forschungen zeigen, dass diese Herangehensweise nicht immer zum besten Ergebnis führt. In ihrer Studie programmierte sie virtuelle Spieler mit unterschiedlichsten Eigenschaften. Manche hatten ein sehr langes Gedächtnis für die bisherigen Verhaltensweisen ihres Gegenübers, manche handelten rein zufällig. Dabei zeigte sich: Langfristig wurden die besten Resultate durch flexible Strategien erzielt: "Man sollte auf das reagieren, was die andere Person tut, und ihr Verhalten ein Stück weit spiegeln - allerdings abhängig vom Kontext", erklärt Glynatsi.
Flexibilität bedeutet dabei, nicht stur auf Vergeltung zu setzen oder einfach immer kritiklos zu kooperieren, sondern den gesamten Kontext zu berücksichtigen. Beispielsweise in einer chaotischen oder unklaren Situation, in der wenig Informationen vorliegen, kann es sinnvoll sein, dem Gegenüber auch mal ein "Verpfeifen" zu verzeihen: "Wenn jemand in solchen Situationen nicht nett zu mir ist, kann ich auch mal nachsichtig sein." Es gehe darum, "dass man sich anpassen können muss an das Umfeld, die anderen handelnden Personen, und was eben gerade passiert", so Glynatsi weiter.
Die Rolle des Gedächtnisses
Ein weiterer wichtiger Faktor für erfolgreiche Kooperation ist den Studien zufolge das Gedächtnis. Wie reagierte mein Gegenüber in der Vergangenheit? Auch das untersuchte Glynatsi in einer weiteren Studie. Felix Brodbeck, Psychologe an der Ludwig-Maximilians-Universität München, entnimmt der Forschungsarbeit: "Je länger das Gedächtnis ist, desto eher gelingt situationsangemessene Kooperation. Ich würde mich sogar zu der These hinreißen lassen, dass ohne Gedächtnis gar keine Kooperation möglich ist".
Ein längeres Gedächtnis erlaubt es, frühere Erfahrungen in aktuelle Entscheidungen einzubinden. So lässt sich nicht nur Vertrauen aufbauen, sondern auch die Wahrscheinlichkeit von Konflikten minimieren. Wer hingegen nur auf kurzfristige Gewinne aus ist, riskiert, langfristige Beziehungen zu schädigen, sei es im Privatleben oder im beruflichen Umfeld.
Lektionen für den Alltag und das Management
Für Führungskräfte ergeben sich aus Glynatsis Forschung wichtige Lektionen. In der Management-Literatur wurde das Gefangenendilemma häufig vereinfacht dargestellt und führte zu starren Handlungsempfehlungen. Glynatsi plädiert jedoch für einen kontextabhängigen Ansatz: Starre Prinzipien wie "immer kooperieren" oder "niemals nachgeben" seien nicht zielführend. Stattdessen sei Fähigkeit gefragt, sich an unterschiedliche Menschen und Situationen anzupassen.
Wer flexibel handelt, reduziert das Risiko, ausgenutzt zu werden, und vermeidet gleichzeitig, als egoistisch wahrgenommen zu werden. Als Grundsatz gelte dennoch immer noch Axelrods erste Annahme: "Ich denke, man sollte nett sein. Man sollte nicht der Erste sein, der zu anderen unfreundlich ist. Ich denke, das ist ein sehr sinnvoller Ansatz."