Nach erneutem Vulkanausbruch Island muss sich auf viele kleine Ausbrüche einstellen
Die Lava hat die ersten Häuser des Küstenortes Grindavik erreicht und sie in Brand gesetzt. Wissenschaftler Troll hofft, dass sich der Vulkan bald wieder beruhigt - geht aber davon aus, dass es immer wieder Ausbrüche geben wird.
tagesschau.de: Hat Sie dieser erneute Ausbruch überrascht?
Valentin Troll: Eigentlich hat er mich nicht überrascht. Wir warteten schon seit ein, zwei Wochen auf erneute Ausbrüche in der Gegend. Seit 2021 gab es ja wiederholt Ausbrüche, und wir rechnen mit weiteren Ausbrüchen in der nahen und sogar teilweise fernen Zukunft. Die Aktivität auf der Reykjanes-Halbinsel wird vermutlich noch mehrere Jahre weitergehen mit kleinen Ausbrüchen, die aber leider auch Ortschaften und Infrastruktur betreffen können.
Kleine Öffnungen in der Erdkruste
tagesschau.de: Was ist das Besondere an diesem Vulkan?
Troll: Die Reykjanes-Halbinsel liegt auf der Spreizungszone zwischen zwei großen tektonischen Platten, der Nordamerikanischen Platte und der Eurasischen Platte. Dort ist es so, dass die Platten nicht nur senkrecht auseinander gehen, sondern sie reiben aneinander. Und das führt natürlich zu kleinen Öffnungen in der Erdkruste, wenn die Platten sich bewegen. Dann wird der Überdruck, der in dem Magma-Reservoir - in den Magmakammern vorliegt - durch kleine Eruptionen entladen.
Wenn eine Eruption stattfindet und der Druck erst mal raus ist, muss der sich wieder aufbauen und dementsprechend denke ich, werden wir mit mehreren kleineren Eruptionen über die nächsten Jahre zu tun haben.
"Die ganze Halbinsel hat einen Rhythmus"
tagesschau.de: Sie beobachten den Vulkan ja schon lange - hat er vielleicht einen erkennbaren Rhythmus?
Troll: Ja, die ganze Halbinsel hat einen Rhythmus. Geologen haben die letzten 3.000 Jahre untersucht und haben festgestellt, dass die ganze Gegend episodisch vulkanisch aktiv ist. Es gibt Perioden, da passiert circa 800 Jahre lang nichts, und dann gibt es Perioden, in denen viel Aktivität stattfindet, die 200 bis 300 Jahre dauern. Das hat sich jetzt mehrere Male genau in diesen Zyklen wiederholt.
Und 2021 fing es am Fagradalsfjall an, und wir rechnen jetzt damit, dass es jetzt einen größeren Zyklus in der Gegend geben wird, der sich über Jahre, Jahrzehnte, möglicherweise ein bis zwei Jahrhunderte weiter entwickeln wird.
Mehrere kleine Vulkane werden wahrscheinlich ausbrechen
tagesschau.de: Was bedeutet das? Wenn Sie jetzt sagen, es wird einen Zyklus geben, das heißt, das wird immer wieder Beben in dieser Gegend geben, und der Vulkan wird immer wieder ausbrechen?
Troll: Vermutlich ja. Es wird nicht nur ein Vulkan sein, es werden mehrere kleine Vulkane sein. Es gibt ja fünf Vulkansysteme auf der Halbinsel, und es wird wahrscheinlich ein bisschen hin und her gehen. Einmal ist es der, dann ist es der nächste. Das wird vermutlich für eine geraume Zeit so weitergehen, dass wir kleinere Vulkaneruptionen dort vorliegen haben.
tagesschau.de: Wie genau lässt sich denn vorhersagen, wann es wieder zu einem Ausbruch kommen kann?
Troll: Inzwischen können Vulkanologen das relativ gut vorhersagen. Wir wussten, dass jetzt in der Gegend um Grindavik höchstwahrscheinlich eine Eruption stattfinden wird. Wir wussten das seit Wochen. Ich dachte eigentlich schon, dass es vor ein paar Tagen losgeht. Es hat jetzt ein paar Tage länger gedauert, aber die Daten, Bodenhebungen, seismische Aktivität, Erdbeben, Temperaturentwicklungen, Gasausstöße all diese Daten werden gesammelt und die deuten dann natürlich auf gewisse Ereignisse hin.
Dementsprechend war es auch möglich, den Ort rechtzeitig zu evakuieren. Und durch die direkte Vulkanaktivität ist bisher in der Bevölkerung niemand zu Schaden gekommen. Es gab vor ein paar Tagen leider einen Unfall bei Aufräumarbeiten, der vermutlich tödlich ausging. Aber das war nicht direkt durch die Vulkanaktivität.
Menschen meiden Vulkangegenden
tagesschau.de: Was bedeutet das denn für die Menschen, die da wohnen? Ist dieser Fleck Erde überhaupt noch bewohnbar?
Troll: Ja, natürlich ist die Gegend bewohnbar. Am Beispiel La Palma kann man sehen, was passieren kann. Dort hat es vor zwei Jahren einen Ausbruch gegeben. Einige Menschen wollten dann da gar nicht mehr wohnen. Wenn die Eruption, die Ausbrüche nur unregelmäßig stattfinden mit großen Perioden zwischen den Ausbrüchen, dann können sich die Menschen damit noch arrangieren. Aber wenn es dann wirklich alle paar Monate stattfindet, dass ein kleiner Vulkan irgendwo ausbricht und man nicht genau weiß, wo es passiert, dann erwarte ich, dass einige Menschen abwandern aus der Gegend.
Psychologisch, denke ich, ist es sehr schwer, mit dieser Unsicherheit zu leben, und es ist durchaus bekannt von Vulkangegenden, die oft betroffen sind, dass Menschen auch abwandern und dass die Orte dann langsam ihre Anwohner, Infrastruktur und dementsprechend dann auch an Wirtschaftskraft verlieren.
Schutz vor giftigen Gasen
tagesschau.de: Was ist denn an Ausbrüchen, wie diesem gefährlich? Sind es vielleicht Gase, die da entstehen, die Lava, die die Häuser erreicht? Was sind die Gefahren für Menschen?
Troll: Vulkane sind in verschiedene Typen aufgeteilt. Der Vulkan hier ist ein Spaltenvulkan. Und dort ist die Hauptgefahr der Lava-Ausstoß, dass Lava hangabwärts fließt und auf Ortschaften zufließt, wie es jetzt bei dem Küstenort Grindavik geschehen ist.
Gase können auch austreten und wenn die Windrichtung ungünstig ist, dann können die Gase natürlich auch auf Siedlungsgebiete zutreiben und dann eben die Luftqualität stark beeinträchtigen. Die Windrichtung in dieser Gegend ist oft zum Süden hin, so dass die Gase auf das Meer rausgetrieben werden. Dann ist das natürlich nicht besonders schädlich. Aber falls der Wind sich zeitweise ändert, können giftige Gase auch nach Reykjavik in die Hauptstadt getrieben werden.
Der Wind ist aber sehr stark, und dann werden die Gase oft verdünnt. Bis die giftigen Gase also nach Reykjavik kommen, ist vermutlich keine hohe Konzentration von giftigen Stoffen mehr in der Luft zu erwarten. Aber im näheren Umfeld könnte das natürlich problematisch sein. Die Schutzbehörden, die Feuerwehr, die Polizei, die müssen eben mit Gasmasken in die Bereiche um den Vulkan, um sich selber zu schützen - lokal können also solche Gefahren auftreten.
Schutzdämme gegen Lavamassen
tagesschau.de: Und die Lavaströme, kann man die umleiten?
Troll: Auch hier gibt es verschiedene Lavatypen. Es gibt zum Beispiel Strick- und Fladenlava. Die ist relativ dünnflüssig, fließt sehr schnell und die kann man umleiten. Dann gibt es einen anderen Lavatyp, die Blocklava, die ist eher wie eine Panzerkette, die sich vorwärtsbewegt. Wenn da genügend Lava austritt, kann man die kaum aufhalten. Höhere Dämme können dann zeitweise einen Effekt haben, aber nicht langfristig. Um Grindavik herum wurden in den letzten Wochen Dämme gebaut, weil man diesen Ausbruch vorhergesagt hat oder zumindest erwartet hat.
Die erste Spalte, die aufgegangen ist, hat Lava in die Richtung von Grindavik geschickt und konnte durch diese Dammanlage abgeleitet werden. Dann aber sind Spalten innerhalb der Wallanlage aufgegangen und deshalb gibt es jetzt Lava-Austritt, die näher am Ort liegen, hinter dem Damm und damit sind eben erste Häuser betroffen und brennen.
"Es bleibt die Hoffnung, dass sich der Vulkan schnell beruhigt"
tagesschau.de: Wenn Sie auf Ihre Messung schauen, was wird in den nächsten Tagen passieren?
Troll: Die ersten Entwicklungen zeigen, dass die Ausbruchsintensität etwas zurückgegangen ist. Es gibt jetzt Hoffnung, dass die Eruption sich etwas beruhigt. Wenn man sich im Vergleich die Eruption vom 18. Dezember anschaut - da hat der Ausbruch nur drei Tage gedauert.
Ebenso im Sommer 2023. Die ganze Ausbruchstätigkeit war in zwei bis drei Wochen abgeklungen. Wir hoffen also, dass es jetzt ganz schnell ganz ruhig wird. Und dann könnten auch große Teile vom Ort Grindavik verschont bleiben. Wenn die Ausbruchsaktivität natürlich jetzt ernsthaft weitergeht, wenn genügend Lava produziert wird, dann könnten größere Teile der Ortschaft zerstört werden. Es bleibt uns nur die Hoffnung, dass sich der Vulkan schnell beruhigt.
Das Gespräch führte Anja Martini, Wissenschaftsredakteurin tagesschau. Es wurde für die schriftliche Fassung redigiert und gekürzt.