"Grüne" Technologien Kann Forschung das Klima retten?
Die globale Energiewende ist ein Wettlauf gegen die Zeit. Neue effiziente Materialien sind dabei wichtig. Um diese bis ins kleinste Detail zu verstehen, nutzen Forschende die Macht des Teilchenbeschleunigers.
Die Welt läuft auf eine Energierevolution zu. Was so dramatisch klingt, ist laut Physiker Gunnar Luderer vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) keine Hiobsbotschaft, sondern eine Notwendigkeit, die sehr viele Chancen bietet. Gemeint ist damit die globale Energiewende, die Umstellung unserer Weltwirtschaft und der Gesellschaft von fossilen Energieträgern hin zu erneuerbaren. Doch wie soll diese gigantische Umstellung in Anbetracht des Zeitmangels funktionieren?
Neue Materialien sind der Schlüssel
Damit das gelingt, wird an sehr vielen Schrauben gedreht. Eine davon ist die Materialwissenschaft. Um die neue Zeit einläuten zu können, brauche es sehr viele Materialien, die speziell auf ihre Anwendung zugeschnitten sind, erklärt Norbert Holtkamp von der Stanford University in Kalifornien.
Der Physiker schlendert von Neonröhren bestrahlt durch einen sehr langen Gang, der wie ein nüchterner Keller voller Rohre und Kabel anmutet. Optisch ist dieser Arbeitsplatz keine Schönheit, aber die inneren Werte zählen - und die haben es in sich. Es ist einer der größten linearen Teilchenbeschleuniger der Welt.
Einer der größten linearen Teilchenbeschleuniger an der Stanford University in Kalifornien.
Verständnis bis zur atomaren Ebene
In der drei Kilometer langen Anlage wird die Struktur von Materie untersucht. "Hier im Gebäude werden Elektronen beschleunigt, um dann hinterher die kinetische Energie in Röntgenimpulse umzuwandeln", erklärt Holtkamp. Diese Röntgenimpulse seien extrem intensiv, ungefähr 100 Millionen mal intensiver als jede andere Röntgenquelle, sagt der Forscher in der ARD-Wissensschaftsdoku "Die Revolution der Erneuerbaren". So will man herausfinden, wie Materialien beschaffen sind, will sie bis zur atomaren Ebene herunter verstehen, um sie weiterentwickeln zu können.
Neue Materialien
Entlang des Teilchenbeschleunigers sind Institute und Labore entstanden, die in diesem Bereich Grundlagenforschung betreiben. Sie entwickeln zum Beispiel Materialien und Chemikalien für neuartige Batterien. Ohne sie wäre die umfassende "grüne" Elektrifizierung unserer Welt nicht möglich. Aber die Stromspeicher müssen schnellstens immer kleiner und leistungsstärker werden.
Das gilt gleichermaßen für die Entwicklung neuer Solarzellen. Eines der führenden Zentren für die Forschung auf diesem Gebiet ist das California Institute of Technology (CALTEC). Harry A. Atwater ist dort Abteilungsleiter für Ingenieurswesen und angewandte Wissenschaft. Er und sein Team wollen die Materialien für Solaranlagen aufs nächste Effizienzlevel bringen und das Potenzial der Solarenergie komplett nutzen.
Lösungsansätze aus dem All
Dabei arbeiten die Forschenden nicht nur an Lösungen, die auf der Erde funktionieren, sondern auch im Weltall. Neu ist die Idee keineswegs, zum ersten Mal war 1941 in einer Kurzgeschichte von Isaac Asimov davon die Rede. Aber seit diesem Jahr ist die Vision Realität geworden: Im Januar 2023 wurde der Prototyp eines ultraleichten, sich selbst auffaltenden Photovoltaik-Segels ins All geschossen.
Mehrere solcher Segel sollen sich irgendwann zu großen Solarfarmen zusammensetzen. "Wenn man sich weit genug von der Erde entfernt, sie geostationär umrundet und den Solarkollektor direkt auf die Sonne ausrichtet, dann ist es 24 Stunden am Tag 12 Uhr mittags an einem sonnigen Sommertag", so Atwater. Das heißt, die Solarkraft wird nicht von Tag-Nacht-Zyklen oder dem Wetter beeinflusst.
Die eingesammelte Energie soll dann innerhalb der Solarfarm konvertiert und in Form von elektromagnetischen Wellen zu Empfangsstationen auf der Erde übertragen werden. Das funktioniert laut Atwater ganz ähnlich wie beim Mobiltelefon. Die Forschenden können dabei sogar die gleiche Strahlungsfrequenz benutzen. Im März 2023 ist es ihnen erstmals gelungen, die eingesammelte Energie aus dem All auf das Dach des CALTEC zu senden. Die Technik funktioniert also, aber bis zum umfangreichen praktischen Einsatz wird es noch ein paar Jahre dauern.
Globale Energiewende - ein Wettlauf gegen die Zeit
Die Umstellung aller Wirtschaftssysteme und der Gesellschaft weg von fossilen Energieträgern hin zu erneuerbaren Energien braucht allerdings Zeit, die die Welt eigentlich nicht hat. Für den Physiker Luderer vom PIK ist der Mangel an ernsthafter Klimapolitik in den vergangenen 15 Jahre eine Ursache dafür, dass nötige Spielräume verloren gegangen sind. "Das heißt, wir müssen über deutlich schärfere Ziele nachdenken und die Transformationsgeschwindigkeit erhöhen", sagt Luderer. Er glaubt, dass der Zeithorizont, den wir haben, von 50 auf 25 Jahre geschrumpft ist.
Umso wichtiger ist es, dass in allen Bereichen stetig weitergeforscht und entwickelt wird. Der Teilchenbeschleuniger in Stanford kann das Klima vielleicht nicht retten, aber er trägt einen großen Teil zum Erfolg der Materialwissenschaften bei. Diese seien eine sehr mächtige Innovationsplattform für "grüne" Energie, so Atwater. Ohne sie wird das gigantische Vorhaben der globalen Energiewende nicht funktionieren. "Fast jede Form grüner Technologie, die wir entwickeln - von Solarzellen über Brennstoffzellen oder elektrochemischen Zellen für die Wasserstoff-Produktion - alles was nötig ist, um eine nachhaltige Wirtschaft aufzubauen, all das basiert auf bestimmten Materialien."