Supreme Court Oberstes US-Gericht kippt Abtreibungsrecht
Fast 50 Jahre lang gab es in den USA eine bundesweite Regelung für das Recht auf Schwangerschaftsabbruch. Nun hat der Supreme Court es gekippt - und es gelten wieder die Gesetze der einzelnen Bundesstaaten.
Das Oberste US-Gericht hat das landesweit geltende Recht auf Schwangerschaftsabbrüche gekippt. Die Richter entschieden sich damit gegen ein 50 Jahre altes Grundsatzurteil. 1973 hatte der Supreme Court im Fall "Roe v. Wade" in den gesamten USA Schwangerschaftsabbrüche ermöglicht, bevor ein Fötus lebensfähig ist, also etwa bis zu 24. Schwangerschaftswoche. 1992 bestärkte das Urteil im Fall "Planned Parenthood v. Casey" die Rechtsprechung.
Konservative Mehrheit hält sich nicht zurück
Mit dem heutigen Urteil wurden diese Entscheidungen kassiert. Und die konservative Mehrheit im obersten US-Gericht hielt sich mit Schelte an den Vorgängern nicht zurück. "Die Verfassung gewährt kein Recht auf Abtreibung", so die Urteilsbegründung.
"Roe war vom Tag seiner Entscheidung an ungeheuer falsch und auf Kollisionskurs mit der Verfassung. Casey hat seine Fehler fortgesetzt." Die "Befugnis zur Regelung" des Abtreibungsrecht würden nun an das Volk und seine gewählten Vertreter zurückgegeben.
Die Bezeichnung geht auf den zum Schutz der Klägerin gewählten Alias-Namen "Jane Roe" zurück. Beklagter für den Staat Texas war der damalige Bezirksstaatsanwalt des Dallas County, Henry Wade. "Roe versus Wade" zählt zu den gesellschaftlich umstrittensten Entscheidungen in der Geschichte des Supreme Court, der damals von einer liberalen Richtermehrheit geprägt war.
Deutliche konservative Mehrheit am Supreme Court
Das Recht auf Schwangerschaftsabbruch ist in den USA immer wieder Grund für heftige Auseinandersetzungen. Schon seit langem versuchten Gegner, das liberale Bundesgesetz zu kippen.
Seit der Präsidentschaft von Donald Trump gibt es eine deutliche konservative Mehrheit am Supreme Court. Er durfte drei der Richterposten neu besetzen und ernannte Neil Gorsuch, Brett Kavanaugh und Amy Coney Barrett. Alle drei stimmten gemeinsam mit den konservativen Richtern Clarence Thomas und Samuel Alito für das neue Urteil.
Liberale Richter stimmten dagegen
Die als liberal geltenden Richter Sonia Sotomayor, Elena Kagan und Stephen Breyer stimmten dagegen. "Nach dem heutigen Tag werden junge Frauen mit weniger Rechten aufwachsen, als ihre Mütter und Großmütter hatten", schreiben sie in ihrer abweichenden Meinung.
Der oberste Richter John Roberts sagte, dass er das Recht auf Abtreibung nicht so stark beschränken wollte. Der Gerichtshof musste sich mit dem Urteil "Roe v. Wade" erneut beschäftigen, nachdem der Bundesstaat Mississipi ein Abtreibungsgesetz verabschiedet hatte, das nach geltendem Recht verfassungswidrig war. Der Bundesstaat hatte den Supreme Court daraufhin angerufen, das Urteil zu prüfen.
Gesetze der Bundesstaaten gültig
Mit dem neuen Urteil liegt die Entscheidung über ein Abtreibungsrecht nun bei den einzelnen Bundesstaaten. In 26 konservativ geführten Bundestaaten könnte es damit zu Gesetzesänderungen kommen - in 13 von ihnen sind schon jetzt Gesetze vorbereitet, die Schwangerschaftsabbrüche stark einschränken.
Texas etwa verbietet Abtreibungen nach der sechsten Schwangerschaftswoche. In Oklahoma gilt das "Herzschlag-Gesetz", das Schwangerschaftsabbrüche verbietet, sobald ein vermeintlicher Herzschlag bei der Untersuchung hörbar ist. Diese Gesetze können nun in Kraft treten, nachdem die einheitliche Regelung wegfällt.
Der Justizminister von Missouri, Eric Schmitt, hat bereits verkündet, dass dort heute ein besonders restriktives Abtreibungsgesetz in Kraft tritt. "Missouri ist seit gerade eben der Erste im Land, der Abtreibungen wirksam ein Ende setzt", erklärte er auf Twitter. Es wird erwartet, dass weitere Staaten nachziehen.
Unklarer Umgang mit Abtreibungspillen
Demokratisch geführte Staaten wie Kalifornien und New York wollen dagegen das Recht auf Schwangerschaftsabbrüche beibehalten. Dadurch könnte es in diesen Bundesstaaten zu einem besonderen Andrang in den Kliniken kommen.
Unklar bleibt, wie rechtlich mit Abtreibungspillen umgegangen wird. Im vergangenen Jahr hatte die Regierung von US-Präsident Joe Biden entschieden, dass die Mittel per Post verschickt werden dürfen.
Pelosi: "Frauen haben heute weniger Rechte als ihre Mütter"
Die Reaktionen der Demokraten auf die Entscheidung waren deutlich. "Wegen Donald Trump, Mitch McConnell, der republikanischen Partei und deren Mehrheit im Obersten Gerichtshof haben amerikanische Frauen heute weniger Rechte als ihre Mütter", schrieb die Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, auf Twitter.
Der frühere US-Präsident Barack Obama meldete sich ebenfalls auf Twitter zu Wort: "Heute hat der Oberste Gerichtshof nicht nur fast 50 Jahre Präzedenzfälle rückgängig gemacht, er hat die persönlichste Entscheidung, die jemand treffen kann, den Launen von Politikern und Ideologen überlassen - und die grundlegenden Freiheiten von Millionen von Amerikanern angegriffen."
Trump dagegen feierte das Urteil. "Gott hat das entschieden", sagte der Ex-Präsident dem TV-Sender "Fox News". Ihm zufolge hätte der Schritt schon "vor langer Zeit" geschehen sollen.
Landesweite Proteste
Bereits Anfang Mai hatte die US-Tageszeitung "Politico" einen Entwurf des Urteils, das von Richter Samuel Alito verfasst wurde, veröffentlicht. Die Veröffentlichung führte zu landesweiten Protesten.
Einer Umfrage des TV-Senders CNN zufolge sprachen sich 66 Prozent der Befragten dagegen aus, das bundesweite Gesetz gänzlich abzuschaffen. Auch nach der Verkündung des Urteils wird mit massiven Protesten gerechnet.
Gesetzentwurf der Demokraten gescheitert
Biden hatte nach der Veröffentlichung des Urteilsentwurfs in einem schriftlichen Statement erklärt, er sei nach wie vor für das Recht von Frauen, selbst zu entscheiden. Wenn der Supreme Court bislang geltendes Recht abschaffe, dann müsse dieses Recht eben per Gesetz durch den Kongress verankert werden. So ein Gesetz werde er gerne unterschreiben, so Biden.
Die Demokraten hatten wenig später einen Gesetzentwurf für ein Recht auf Schwangerschaftsabbrüche im US-Senat eingebracht. Dieser ist jedoch gescheitert.