Xi Jinping und Wladimir Putin stoßen an.
interview

Besuch in Peking Warum Putin auf Xis Unterstützung hofft

Stand: 16.05.2024 05:24 Uhr

Putin will in China eine "grenzenlose Partnerschaft" pflegen. Aber was heißt das? Manche Interessen seien zwar ähnlich - die Ziele beider Staaten aber unterschiedlich, sagt der Politikwissenschaftler Hoppe im Interview.

tagesschau.de: Russlands Staatschef Wladimir Putin ist nach China gereist. Es ist seine erste Auslandsreise in der fünften Amtszeit, deren Wichtigkeit er im Interview mit der staatlichen chinesischen Agentur Xinhua betont hat. Was gibt es denn zu besprechen mit Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping?

Sebastian Hoppe: Ich denke, in erster Linie gibt es wirtschaftliche Aspekte zu besprechen. China ist für Russland seit der Vollinvasion in die Ukraine vor zwei Jahren der wichtigste Partner geworden.

Der Handel zwischen beiden hat sich positiv entwickelt, aber es gibt da aus russischer Sicht noch Spielraum nach oben: etwa, dass dezidiert militärische Güter bislang nicht geliefert werden, sondern lediglich Dual-Use-Güter, oder dass der Bau einer weiteren Gaspipeline nach China anvisiert wird, dass Finanztransaktionen aufgrund der Sanktionen gegen Russland schwierig sind.

Sebastian Hoppe
Zur Person
Sebastian Hoppe forscht unter anderem zu den chinesisch-russischen Beziehungen sowie der deutschen Außenpolitik mit China und Russland und gehört dem Exzellenzcluster SCRIPTS der FU Berlin an. Er promoviert zur politischen Ökonomie des russischen Fernen Ostens an der Friedrich-Schiller-Universität Jena.

tagesschau.de: Die russische Agentur Ria meldet außerdem, es werde um "Fragen der globalen und regionalen Sicherheit" gehen. China und Russland möchten erklärtermaßen gemeinsam die globale Sicherheitsordnung verändern und zu ihren Gunsten umbauen. Wie soll das aussehen?

Hoppe: Hinter diesen diplomatischen Phrasen verstecken sich natürlich immer handfeste Interessen. Von russischer Seite ist das Interesse, so viel öffentlichkeitswirksame Unterstützung wie möglich von der chinesischen Seite für den Krieg gegen die Ukraine zu bekommen - während auf der anderen Seite der hauptsächliche Wert Russlands als Partner für China darin besteht, dass man eine zweite Großmacht hat, die westliche Vorhaben, vor allem jene der USA, zurückdrängen will.

Da werden die Verhandlungspunkte sein: Inwieweit hält China Russland den Rücken frei und stellt auch diplomatische Legitimität für diesen Krieg her? Und auf welchen internationalen Feldern kann Russland im Gegenzug China zur Seite stehen?

Das betrifft sicherlich die Situation im Südchinesischen Meer beziehungsweise in den diversen Plätzen im Pazifik, an denen China präsent ist. Hier wird es darum gehen, wie man - beispielsweise durch gemeinsame Militärübungen - noch mehr Präsenz zeigen kann, um klar zu machen, dass im asiatisch-pazifischen Raum eine eigene Sicherheitsordnung herrscht - und nicht die der USA.

Oder konkreter: Wie verhält man sich gegenüber Japan, mit dem Russland auch Territorialkonflikte hat, und auch gegenüber Taiwan? Russlands Unterstützung hat in diesen Punkten auch einen großen Wert für Peking.

"Ansätze der beiden Staaten unterscheiden sich"

tagesschau.de: Sowohl China als auch Russland bauen in den letzten Jahren ihren Einfluss auf dem afrikanischen Kontinent stark aus. Kommt man sich da nicht auch in die Quere?

Hoppe: Hier verfolgen beide Staaten unterschiedliche Interessen. Im russischen Fall stößt man da in Lücken, die vor allem sicherheitspolitischer Natur sind und übernimmt militärische Aufgaben durch paramilitärische Organisationen wie die ehemalige Wagner-Gruppe, aber auch andere wie das neu gegründete "Afrikakorps". Man macht sich mit den verschiedenen Herrschern gemein und verkauft sich als sicherheitspolitisch stabilisierende Kraft, wohingegen die Agenda, die China in Afrika verfolgt, viel breiter angelegt ist und vor allem auf wirtschaftliche Kooperation zielt.

Da geht es um die Realisierung von Infrastrukturprojekten und Handelsbeziehungen: Waffen, Öl, Gas, Erze, Metalle. Das haben sich Moskau und Peking ganz gut aufgeteilt und verfolgen ihre Agenden relativ unabhängig voneinander.

tagesschau.de: Würden Sie sagen, dass die beiden nur unterschiedliche Wege und Ansätze gewählt haben, aber im Grunde das Gleiche erreichen wollen?

Hoppe: Die Ansätze beider Staaten unterscheiden sich. Der russischen Führung ist bewusst, dass die eigenen Mittel begrenzt sind. Man konzentriert sich auf das, was durchführbar ist - und hat wirtschaftlich relativ wenig anzubieten.

Im chinesischen Fall steht mehr der Gedanke der Ordnungsbildung im Vordergrund, die auch ideologisch und staatsphilosophisch untermauert wird. Da geht es darum, langfristig Beziehungen aufzubauen, sich die entsprechenden Länder natürlich auch in gewisser Weise gefügig zu machen, sodass sie in dieser neu entstehenden politischen und wirtschaftlichen Ordnung, die sich um China formiert, eine Rolle einnehmen können.

Dazu hat Russland einfach nicht die Mittel, wenngleich im russischen Staat einige zweifellos die Ambitionen haben, an die Rolle der ehemaligen Sowjetunion für viele afrikanische Länder anzuknüpfen. Das hilft, in einigen afrikanischen Ländern Türen zu öffnen, aber Russland ist eben nicht mehr die Sowjetunion und hat viel geringere Anziehungskraft.

Krieg? "Nichts, was in Peking begrüßt wurde"

tagesschau.de: Vor allem Russland braucht also die politische, strategische und auch wirtschaftliche Nähe zu China gerade sehr. Gleichzeitig kann man im Alltag erleben, dass viele Russen die Chinesen eigentlich verachten und rassistische Einstellungen und Äußerungen weit verbreitet sind - obwohl sich nach Meinungsforschungen von WZIOM und Lewada-Zentrum das russische Bild von China seit 2022 deutlich zum Positiven gewandelt hat. Welches Image haben die Russen wiederum in China?

Hoppe: Da gibt es relativ wenig Untersuchungen. Die Figur Putin wird sehr positiv aufgenommen - als charismatischer und starker Politiker. Das hat natürlich damit zu tun, dass Putin in den chinesischen Medien unter staatlicher Kontrolle auf eine gewisse Art und Weise dargestellt wird. Darüber hinaus gibt es dieses Bild, dass Russland eine Großmacht ist und dass die Treffen Xis mit Putin auch dafür stehen, dass China und Russland aktiv die Welt gestalten. Aber es gibt keine ausgeprägte soft power Russlands, die Eindruck auf die breite chinesische Gesellschaft macht.

tagesschau.de: Einerseits leistet China durch die enge Zusammenarbeit mit Russland einen Beitrag dazu, dass Putin seinen Krieg gegen die Ukraine fortsetzen kann. Andererseits bringt sich Peking immer wieder als ein möglicher Vermittler zwischen Kiew und Moskau ins Gespräch. Wie glaubwürdig ist das?

Hoppe: Das ist ein Balanceakt, den China seit zwei Jahren vollführt. Ich bin nach wie vor überzeugt, dass die chinesische Führung nicht geahnt hat, dass Russlands Krieg gegen die Ukraine diese Form und Ausmaße annehmen wird. Das ist nichts, was in Peking begrüßt wurde. China hatte ja in der Ukraine bestimmte Investitionsprojekte, das Land war Teil seiner Diversifizierungsstrategie, selbst wenn es hier nicht um große Summen ging. Und gerade die europäisch- chinesischen Beziehungen sind durch den Krieg ja nicht einfacher geworden, sondern schwieriger.

Putin kann sich natürlich auch bei seinem Besuch in Peking 2022 bei Xi rückversichert haben, ohne dass er seine vollumfänglichen Pläne seinem chinesischen Gegenüber mitgeteilt hat. Aber in den ersten Kriegswochen hat man meiner Ansicht nach gemerkt, dass die chinesische Führung auf der Suche nach den richtigen Worten ist - bis hin zu vereinzelten Verlautbarungen von Ex-Diplomaten, dass das ein verheerender Schachzug Russlands war.

Xi Jinping und Wladimir Putin geben einander die Hand.

Xi Jinping und Wladimir Putin beim Handschlag. Eine grenzenlose Partnerschaft oder ein Bündnis auf Zeit?

tagesschau.de: Aber gerade in China hat doch die Staatsführung einen kaum einschränkbaren Zugriff auf die Tätigkeit chinesischer Unternehmen - bis hin zur Verhinderung von Börsengängen und dem temporären Verschwinden von Star-Unternehmern, die sich missliebig geäußert haben.

Hoppe: Es ist vollkommen richtig, dass das gestiegene Handelsvolumen und der Export optischer Sensoren, bestimmter Maschinen, Baufahrzeuge und Chips für den militärisch- industriellen Komplex Russlands zentral ist.

Aber die intensiver gewordenen Handelsbeziehungen interpretiere ich eher als Fortsetzung dessen, was bereits vor dem Krieg passiert ist: China hat das übernommen, was mit dem Westen an Handel für Russland durch die Sanktionen nicht mehr möglich ist. Die Frage ist, inwieweit der Export von dual-use-Gütern nach Russland von der chinesischen Führung gewollt ist und gefördert wird - oder einfach nur zugelassen wird.

Denn gleichzeitig sehen wir in China noch immer eine starke Zurückhaltung, was Geschäfte mit russischen Unternehmen oder umfangreiche Investitionen in russische Projekte angeht. Direkte Zahlungen sind schwierig, und für die Zahlungsabwicklung muss man auf teure Mittelsmänner ausweichen. Wenn es erwünscht wäre, Russlands Kriegsanstrengungen im großen Umfang zu unterstützen, dann würden wir vermutlich noch viel mehr Lieferungen sehen - und auch solche, die direkt den militärischen Zwecken zugeordnet werden können.

Gegenseitige Deckung in Institutionen

tagesschau.de: Umfasst die "grenzenlose Partnerschaft", die man einander 2022 geschworen hat, noch weitere Bereiche?

Hoppe: Man versucht natürlich seit Jahren zwischengesellschaftliche Beziehungen, vor allem in den Grenzregionen, zu fördern. Aber das ist eher ein Nebenschauplatz.

Was für beide den Wert dieser Partnerschaft ausmacht, ist, dass man sich gegenseitig in den großen internationalen Organisationen und Institutionen deckt; dass es eine Übereinkunft gibt, nicht gegen den anderen zu stimmen oder sogar die Position des anderen zu unterstützen, wenngleich es auch da Unterschiede gibt: China versucht eigene Leute an wichtige Stellen zu setzen, um kontinuierlich und mit einer langfristigen Perspektive eine chinesische Sicht der Dinge auch in internationalen Foren zu etablieren, während Russland eher disruptiv vorgeht, Dinge blockiert, teilweise auch Institutionen diskreditiert.

Aber das gemeinsame Auftreten auf höchster Ebene ist erkennbar. Der Antiamerikanismus wirkt hier als mächtige Klammer.

tagesschau.de: Peking und Moskau haben also Interessen, die einander ergänzen können. Aber haben sie wirklich auch gemeinsame Ziele?

Hoppe: Das würde ich in gewisser Weise verneinen. Das chinesische Vorgehen ist darauf ausgerichtet, eine alternative Ordnung herzustellen - und weil entsprechende Ressourcen zur Verfügung stehen, hat China auch Möglichkeiten dazu. Man hat trotz bestehender Strukturprobleme ein eindrucksvolles wirtschaftliches Entwicklungsmodell und durch den riesigen chinesischen Markt eine gewisse internationale soft power, die von allein wirkt.

Viele dieser Dinge hat Russland nicht mehr. Etwa ist die Eurasische Wirtschaftsunion nicht besonders attraktiv - wenn da neue Mitglieder hinzukommen, dann meist durch eine Mischung aus ökonomischer Notwendigkeit und diplomatischem Zwang.

Aber je destruktiver, disruptiver und auch gefährlicher - Stichwort: Drohungen mit taktischen Nuklearwaffen - das russische Agieren wird, desto heikler sind auch die russisch- chinesischen Beziehungen - vor allem für China. Das bedeutet nicht, dass es dann zum sofortigen Bruch kommt. Aber beispielsweise die wirtschaftlichen und politischen Beziehungen nach Europa abzubrechen oder auf das derzeitige russisch-europäische Niveau herunterzufahren, scheint mir keine bevorzugte Option für Peking zu sein.

Das Gespräch führte Jasper Steinlein, tagesschau.de