ARD-Korrespondent Graebert über Tibet-Berichterstattung "Wir können uns kein klares Bild machen"
Die letzten Journalisten sind ausgewiesen worden, Internetseiten aus Tibet wurden gesperrt, Sicherheitskräfte sammeln Handys ein. Und doch muss ARD-Korrespondent Graebert Informationen über die Aufstände der Tibeter beschaffen. tagesschau.de sprach mit ihm über seine fast unlösbare Aufgabe.
Die letzten Journalisten sind ausgewiesen worden, Internetseiten aus Tibet wurden gesperrt, Sicherheitskräfte sammeln vor Ort die Handys ein. Und doch muss ARD-Korrespondent Graebert Informationen über die Aufstände der Tibeter beschaffen. tagesschau.de sprach mit ihm über seine fast unlösbare Aufgabe.
tagesschau.de: China hat ausländische Journalisten aus Tibet ausgewiesen, die Internetseiten aus der Region sind gesperrt oder werden streng zensiert, Sicherheitskräfte sammeln die Handys der Bewohner ein. Wie kommen Sie überhaupt noch an Informationen?
Jochen Graebert: Es wird zunehmend schwierig, Informationen aus erster Hand zu bekommen. Wir haben Kontakte sowohl nach Tibet als auch in die angrenzenden Provinzen. Und es gibt noch andere Möglichkeiten als über Mobiltelefone an Neuigkeiten zu kommen. Die können wir jetzt aber nicht genau beschreiben, weil wir unsere Informanten schützen müssen. In den letzten Tagen ist bereits der ein oder andere Kontakt abgerissen. Die Informationen aus den umkämpften Regionen fließen immer spärlicher.
tagesschau.de: Wie gesichert ist denn dann das, was Sie berichten?
Graebert: Wir kennen unsere Informanten persönlich, andernfalls würden wir auch nicht mit ihnen in Kontakt treten. Sie sind Augenzeugen und distanziert gegenüber beiden Seiten, insofern glaube ich, dass sie uns relativ neutral und sehr wahrheitsgetreu schildern, was passiert. In den ersten Tagen haben sie uns bereits wenige Minuten nachdem der Aufstand in Lhasa losgebrochen war, Informationen geliefert und all diese Schilderungen haben sich bestätigt. Die waren sogar eher an der unteren Grenze dessen, was tatsächlich passiert ist. Ich glaube also, dass unsere Informanten sehr zuverlässig sind.
tagesschau.de: Sind auch Sie selber von chinesischer Seite unter Druck gesetzt worden?
Graebert: Die chinesische Regierung setzt Journalisten grundsätzlich nicht direkt unter Druck, das läuft indirekt. So gibt es derzeit beispielsweise eine Kampagne in China, dass die westlichen Medien angeblich gezielt fehlerhaft berichten - konkret geht es dabei um die Interpretation von Bildern. Das schlägt natürlich auch auf uns zurück. Beispielsweise wenn wir eine Genehmigung brauchen - dann kann man abgestraft werden.
tagesschau.de: Konkret hat China ausländischen Medien vorgeworfen, bewusst nicht über von Tibetern ausgehende Gewalt zu berichten. Einige Zeitungen entschuldigten sich dann ja auch dafür, dass sie bestimmte Bilder in falschem Zusammenhang dargestellt hätten. Findet die von Tibetern ausgehende Gewalt zu wenig Beachtung?
Graebert: Grundsätzlich glaube ich, dass die Vorwürfe, es würde gezielt manipuliert, falsch sind. Die Fehler die es gegeben hat, ändern letztlich am Gesamtbild der Berichterstattung nichts.
Die Fehler konnten nur deshalb passieren, weil die chinesische Regierung ihrerseits jede überprüfbare Information verweigert. Peking informiert die eigene Bevölkerung sowie uns Journalisten total einseitig. Das heißt: Hier erfahren wir rein gar nichts über Opfer unter den Protestlern, über Demonstrationen von Mönchen, hier erfahren wir immer nur, dass Tibeter zu diesen Unruhen angestiftet und zum Teil auch gezwungen worden sind.
Da wir nichts selber überprüfen können, haben wir über die Gewalt der Tibeter genau so unter Vorbehalt berichtet wie über die Gewalt von chinesischen Sicherheitskräften.
tagesschau.de: Wie breit ist denn die Protestbewegung in Tibet?
Graebert: Breiter als Peking das glauben machen will. Die chinesische Regierung behauptet, es handele sich ausschließlich um angeheuerte Randalierer, die in den tibetischen Regionen die Innenstädte verwüsten. Doch der Aufstand findet in mehreren Provinzen statt, in einem Gebiet, das etwa fünf bis sechs Mal so groß ist wie Deutschland. Es sind dutzende von Brennpunkten, an denen es Aufstände gibt – und wir haben heimlich gedrehte Bilder, auf denen wir ganze Straßen sehen, die mit Mönchen, Demonstranten und Militäreinheiten vollgestopft sind, die sich dort Schlachten liefern. Ob die Mehrheit der tibetischen Bevölkerung den Aufstand wirklich unterstützt, muss man allerdings bezweifeln. Viele fürchten sich vor der Gewalt. Ein klares Bild können wir uns nicht machen.
tagesschau.de: Und wie geht es jetzt weiter?
Graebert: Der Aufstand wird niedergeschlagen, daran besteht kein Zweifel. Es sind hunderttausende von chinesischen Militärkräften im Einsatz. Aber das ist keine Lösung. Man kann solche ethnischen Konflikte einfrieren, aber man kann sie nicht lösen. Und beim nächsten Mal werden sie mit noch viel heftigerer Gewalt ausbrechen.
Das Interview führte Sarah Welk, tagesschau.de