Ein Soldat des Alkatraz-Spezialbataillons der 93. motorisierten Brigade nimmt am 13. Februar 2025 an einer militärischen Übung an einem ungenannten Ort in der Region Donezk teil.
interview

Treffen von EU-Staaten in Paris "Es geht nicht nur um die Ukraine, es geht auch um uns"

Stand: 17.02.2025 16:40 Uhr

Zu lange habe die eigene Sicherheitspolitik nicht auf der Prioritätenliste der EU-Staaten gestanden, kritisiert die Politikwissenschaftlerin Claudia Major. Das räche sich nun. Vom Treffen in Paris erhofft sie sich klare Bekenntnisse.

tagesschau24: Sehen Sie es darauf hinauslaufen, dass deutsche Soldaten in die Ukraine entsendet werden?

Claudia Major: Ich hoffe, dass sich die Europäer einigen können, eine gemeinsame europäische Truppe aufzustellen, um einen Waffenstillstand abzusichern. Denn das ist letztlich im Interesse von uns Westeuropäern, dass ein Waffenstillstand hält.

Schauen wir einmal von außen darauf, was gerade passiert. Russland erlebt gerade, dass es für sein langes Durchhalten in diesem Krieg belohnt wird. Viele der russischen Forderungen hat der US-Präsident schon erfüllt: kein NATO-Beitritt der Ukraine, Verhandlungen mit den USA statt mit der Ukraine.

Die russischen Ziele haben sich nicht verändert. Vielmehr ist Putin gerade ermutigt, das doch noch einmal zu versuchen. Deswegen ist die Absicherung eines Waffenstillstands zentral, weil es in unserem deutschen europäischen Interesse ist, den nächsten Krieg in Europa zu verhindern.

Deswegen hoffe ich, dass in Absprache mit den europäischen Partnern sich auch die Bundesregierung dazu durchringen kann, zu dieser Absicherung beizutragen.

Claudia Major
Zur Person
Dr. Claudia Major leitet bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin die Forschungsgruppe Sicherheitspolitik. Sie ist Lehrbeauftragte am Institut d'Etudes Politiques/Sciences Po Paris und Mitglied im "Beirat zivile Krisenprävention" des Auswärtigen Amtes.

"Putin will die europäischen Sicherheitsregeln neu schreiben"

tagesschau24: Soldaten in andere Länder zu entsenden, das ist in Deutschland immer ein heikles Thema und im Fall der Ukraine sicherlich ganz besonders. Wie wird man das der deutschen Öffentlichkeit erklären?

Major: Es ist zu Recht ein heikles Thema und natürlich muss das sehr wohl abgewogen werden. Wenn man sich die Risiken, vor denen wir in Europa stehen, anschaut, dann haben wir ein Russland, das gerade noch mal die Lektion lernt, mit Krieg seine Ziele erreichen zu können.

Putin hat die Ziele Russlands in Reden und Schriften dargelegt. Es geht ihm darum, die Unabhängigkeit der Ukraine abzuschaffen und sie in einen Vasallenstaat zu verwandeln und die europäischen Sicherheitsregeln neu zu schreiben.

Beispielsweise, dass es eine Pufferzone geben soll zwischen Westeuropa und Russland und dass beispielsweise die neueren NATO-Mitglieder wie das Baltikum und Polen keine NATO-Installation mehr haben sollen. Es geht also nicht nur um die Ukraine, es geht auch um uns. Und deswegen ist es in unserem deutschen europäischen Interesse, dass so ein Waffenstillstand hält und Russland abgeschreckt wird.

"Die Europäer müssen ein Paket schnüren"

tagesschau24: Könnten europäische Friedenstruppen in der Ukraine - Stand jetzt - überhaupt die Stärke haben, um Russland wirksam von einem neuen Angriff später abzuschrecken?

Major: Es ist momentan schwer vorstellbar, dass die Europäer wirklich die Masse an Truppen zusammenbekommen. Es gibt verschiedene Modelle. Einige sagen, 40.000 bis 50.000 Soldaten würden reichen.

Andere sagen, idealerweise müsste man 100.000 bis 150.000 haben, die die ukrainischen Truppen unterstützen. Aber es geht auch nicht nur um Masse, es geht auch um ganz spezifische Fähigkeiten, wie beispielsweise Aufklärung, wie Luft- und Raketenabwehr, die die Europäer nur sehr wenig haben.

Da bräuchten sie die Unterstützung der Amerikaner. Und deswegen ist es so sinnvoll, dass die Europäer jetzt ein Paket schnüren und damit zu den USA gehen und sagen, was möglich ist und in welchen spezifischen Bereichen Unterstützung nötig ist.

Ich würde aber gerne noch auf einen anderen Punkt eingehen. Ich rede von einem Waffenstillstand. Es geht darum, das Ende eines Krieges abzusichern und Russland von einem erneuten Angriff abzuhalten.

Frieden ist etwas anderes. Frieden hieße ja, dass es tatsächlich wieder Zusammenarbeit gibt und dass Russland seine Ansprüche aufgegeben hat. Und das sehen wir gerade nicht. Russland wird eher ermutigt, gerade bei den Ansprüchen zu bleiben.

Höhere Kosten als Gewinne

tagesschau24: Das führt uns zu dem Thema Abschreckung. Davon ausgehend, dass wir Russland kaum davon abhalten können werden, seine Ziele zu ändern, oder?

Major: Genau, deshalb geht es bei diesen Truppen, über die wir jetzt reden, um zwei Ziele. Es geht einmal darum, diesen Waffenstillstand abzusichern und wenn er gebrochen wird, sanktionieren zu können. Es geht aber auch darum, und das ist die größere Aufgabe, Russland von einem erneuten Angriff abzuhalten, indem man klar signalisiert, dass die Kosten für einen Angriff höher wären als die Gewinne, die sich Russland erhofft.

Das muss in der Ukraine passieren, aber auch für das Territorium der NATO. Die Truppen, über die wir jetzt reden, müssen ja irgendwo herkommen. Und damit sind ganz große Dilemmata verbunden.

Etwa die Frage, ob man Truppen aus der aktuellen Bündnisverteidigung rausnimmt und sie in die Ukraine stellt, also in Kauf nimmt, dass es beispielsweise eine gewisse Schwächung an der NATO-Ostflanke gibt, um die Ukraine zu schützen. Das sind Fragen, die hoffentlich in Paris besprochen werden.

tagesschau24: Nun sieht ja auch alles danach aus, als ob die USA und Russland das Wesentliche unter sich vereinbaren und wohl erst in Detailfragen Europa und die Ukraine dazu holen wollen. Wenn sich Deutschland und Europa das wiederum nicht gefallen lassen wollen, welche Möglichkeiten haben Sie denn da überhaupt, gegenzusteuern?

Major: Salopp gesagt: "Wer mit am Tisch sitzen will, muss was zum Tisch mitbringen", also ein interessantes Angebot machen. Wir sehen gerade eine Rückkehr in die Großmachtpolitik, wo die Großen über die Köpfe der Kleinen alles beschließen, also Russland und die USA über Europa oder die Ukraine.

Wenn die Europäer mitreden wollen, dann müssen sie ein militärisches Angebot machen, mit Blick auf die Frage, was sie für die Ukraine und für die Verteidigung Europas beisteuern können.

Sie müssen ein wirtschaftliches Angebot machen. Was können sie tun, damit die Ukraine nicht einfach preisgegeben wird? Dann kann man noch mal über die eingefrorenen russischen Vermögenswerte reden oder über die Ausnahme der Verteidigungsausgaben von der Schuldenregelung.

Außerdem muss es vor allen Dingen eine, wenn es geht, klare, geschlossene politische Antwort vonseiten der Europäer geben, die da lautet, die Souveränität der Ukraine zu erhalten und sie weder zur Verhandlungsmasse noch zum Spielball zu machen.

"Sicherheit muss auf die Prioritätenliste"

tagesschau24: Haben Sie den Eindruck, dass Europa, dass die EU überhaupt einen Plan hat, um eben diese Sicherheitsstruktur neu aufzubauen?

Major: Ich glaube nicht, dass wir neue Strukturen aufbauen müssen, sondern wir müssen die Strukturen, die wir haben, ernst nehmen. Es gibt in der NATO beispielsweise eine Verteidigungsplanung, wo genau geplant wird, wie das NATO-Gebiet verteidigt werden kann. Wer muss wann wo sein, mit wie viel Ausrüstung? Daraus leiten sich Hausaufgaben für alle Nationalstaaten ab, die dann dazu beisteuern.

Letztlich ist es die politische Entscheidung, dass Sicherheitspolitik unsere Lebensversicherung ist und Priorität sein muss. Wenn wir das umsetzen, können wir in den bestehenden Strukturen schon mal sehr große Fortschritte machen.

tagesschau24: Welche Rolle spielt die NATO dann dabei?

Major: Die NATO ist die weltweit größte stehende Verteidigungsorganisation mit Planungsstrukturen, mit Kommandostrukturen. Das heißt, es gibt einen Apparat, der ist manchmal sehr zäh, manchmal sehr langsam. Aber es gibt ihn. Warum sollte man diese Strukturen duplizieren? Wir brauchen die Masse an Streitkräften, wir brauchen die strategischen Fähigkeiten, Luftverteidigung, Aufklärung, Zielerfassung.

Die Europäer müssen bereit sein, dafür mehr zu investieren und das langfristig zu gewährleisten. Das ist die Hausaufgabe, über die wir, ehrlich gesagt, schon ganz lange reden. Die es aber nicht auf die Prioritätenliste geschafft hat.

Das Gespräch führte Gerrit Derkowski für tagesschau24. Das Interview wurde für die schriftliche Fassung leicht angepasst.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 17. Februar 2025 um 14:00 Uhr.