Ein Wahlplakat Giorgia Melonis in Bozen ist mit einem Bart, Zahnlücke und der Botschaft: "Verschwinde" beschmiert worden.

Nach Wahl in Italien Südtirols Argwohn gegenüber Meloni

Stand: 11.10.2022 15:33 Uhr

In Rom bereitet sich Wahlsiegerin Meloni auf die Amtsübernahme als Ministerpräsidentin vor. Viele Südtiroler sehen das mit Sorge: Sie fürchten, Meloni könnte versuchen, ihr Autonomierecht einzuschränken.

In Südtirol sind alte Sorgen plötzlich wieder da: Der Schützenbund und der Heimatbund gehen in der Bozener Innenstadt auf die Straße. Die Männer und Frauen aus der deutschsprachigen Volksgruppe wollen an den sogenannten Marsch auf Bozen 1922 erinnern: Faschistische Schlägertruppe stürmten damals eine Schule, um gewaltsam die Italienisierung Südtirols durchzusetzen.

Dass sich jetzt 100 Jahre danach in Rom Giorgia Meloni mit ihrer Rechtsaußenpartei "Fratelli d'Italia" daran macht, die Regierung zu übernehmen, beobachtet Christoph Schmidt von den deutschnationalen Schützen in Bozen mit Unbehagen: "Mit Argusaugen" würden er und die Schützen darauf schauen, "in welche Richtung die neue italienische Politik gehen wird", sagt er. Ziel der Schützen sei es, "unsere Unabhängigkeit, unserer Autonomie und unser deutsches und ladinisches Volk von Südtirol zu vertreten und zu verteidigen".

Nach Wahl von Meloni in Italien: Südtiroler wollen Autonomie verteidigen

europamagazin

"Blühender Baum" der Autonomie

Teilweise gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen der deutsch- und der italienischsprachigen Volksgruppe prägten Südtirol nicht nur in der Zeit des Faschismus. In den vergangenen Jahrzehnten ist Südtirol für viele dann zu einem Erfolgsmodell des Zusammenlebens unterschiedlicher Kulturen geworden.

"Die Autonomie Südtirols hat tiefe Wurzeln", meint Monica Rosini, Professorin für Autonomierecht an der Universität Bozen. Diese sei leider auch gekennzeichnet von Gewalt und Schmerz. Aber jetzt, sagt Rosini, sei die Autonomie "ein blühender Baum, der aus diesem Gebiet eine wirtschaftlich reiche Gegend gemacht hat".

Südtirol hat das höchste Bruttosozialprodukt und damit die größte Wirtschaftskraft Italiens, gleichzeitig die niedrigste Arbeitslosenquote. Die Provinz profitiert unter anderem von ihrem Autonomiestatus, durch den sie einen Großteil ihrer Steuereinnahmen behalten darf und nicht an Rom abgeben muss.

Meloni wetterte schon 2015

Meloni hat in der Vergangenheit mehrfach deutlich gemacht, dass ihr dieser Autonomiestatus ein Dorn im Auge ist - unter anderem, als sich die Südtiroler Behörden 2015 weigerten, anlässlich des 100. Jahrestags des Kriegs gegen Österreich-Ungarn öffentliche Gebäude zu beflaggen.

Damals stellte Meloni die Steuervorteile für Südtirol infrage. "Ich glaube, dass man diesen Leuten sagen muss: Wenn sie sich österreichisch fühlen, dann sollen sie in Österreich leben gehen", wetterte sie. "Und wenn die italienische Fahne für sie nicht in Ordnung ist, dann sind auch die Milliarden Euro nicht in Ordnung, die der italienische Staat für die Autonomie Südtirols transferiert".

Ähnliches Weltbild, dennoch Fronten

Eva Klotz von der Partei Süd-Tiroler Freiheit, die sich für eine Abspaltung Südtirols von Italien einsetzt, hat diese Aussage Melonis nicht vergessen. Gemeinsam mit Vertretern der rechtsextremistischen FPÖ aus Österreich warnt Klotz in einem offenen Brief vor Meloni und nennt sie unter anderem "Südtirol-Hasserin" und "faschistische Wölfin im Schafspelz". Deren Aufforderung, nach Österreich auszuwandern, komme, sagt Klotz, "einer Art Vertreibungspolitik sehr nahe".

Nach Jahren des relativ harmonischen Miteinanders und der wirtschaftlichen Blüte in Südtirol drohen sich die Fronten erneut zu verhärten. Nationalismen beider Seiten stießen derzeit aufeinander, sagt Hannes Obermair vom Eurac Research Forschungsinstitut: "Meloni plädiert ja für 'dio, patria, famiglia', also Gott, Nation, Familie. Die Schützen für Gott, Kaiser und Vaterland".

Beide, urteilt Obermair, hätten "im Grunde ein ähnlich konservatives, reaktionäres Weltbild" - die eine auf der italienischen, die anderen auf der deutschsprachigen Seite.

"Völkerrechtlich abgesichert"

Keine neuen Barrikaden in den Köpfen möchte die seit Jahrzehnten in Bozen regierende Südtiroler Volkspartei (SVP). Die deutschsprachige Sammlungsbewegung vereint unter ihrem Dach unterschiedliche politische Strömungen. Julia Unterberger vom linken Flügel der SVP ist optimistisch, dass Meloni nicht am Autonomiestatus Südtirols rütteln wird.

Auch wenn sie einschränkt: "Meloni wird uns sicher nicht helfen, diese Autonomie weiterzuentwickeln". Andererseits glaubt Unterberger nicht, "dass sie es darauf anlegen wird, uns weiß Gott was zu nehmen" - was Meloni auch nicht gelingen würde, unterstreicht die SVP-Senatorin, "weil unserer Autonomie völkerrechtlich abgesichert" und damit nicht nur eine inneritalienische Angelegenheit sei.

Die Jugend der Südtiroler Volkspartei ist auf jeden Fall für klare Abgrenzung: Sie hat die SVP-Vertreter am Montag aufgefordert, im Parlament auf jeden Fall gegen eine von Meloni geführte Regierung zu stimmen.

Jörg Seisselberg, Jörg Seisselberg, ARD Rom, 11.10.2022 12:29 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete NDR Info am 11. Oktober 2022 um 14:48 Uhr.